Freitag, 29. März 2024

Archiv


Starker Franken - Schwache Schweiz

Der starke Franken verteuert vom Emmentaler bis zum Uhrwerk die schweizerischen Exportgüter so stark, dass Unternehmen um ihre Wettbewerbsfähigkeit bangen. Auch die Einzelhändler in der Grenzregion zu Deutschland leiden - und kommen dabei auf Ideen, die nicht unumstritten sind.

Von Thomas Wagner | 05.09.2011
    Ein Fachgeschäft für Damenoberbekleidung mitten in der Kleinstadt Kreuzlingen, gerade mal ein Kilometer von der Grenze zum deutschen Konstanz entfernt: Eine einzige Kundin schaut sich ein paar Blusen an und verlässt die Boutique wieder, ohne etwas zu kaufen. Kein Einzelfall, eher Normalität – seit ein paar Wochen, sagt Christina Zehnt, stellvertretende Geschäftsführerin:

    "Wir haben alles Mögliche versucht, zu agieren, damit die Kunden wieder zu uns zurückkehren. Wir sind einerseits ziemlich verzweifelt, andererseits auch ziemlich kreativ: Man hat versucht, noch mehr im Shop etwas zu machen, mit schönem Schaufenster, mit besonderen Aktionen."

    50 Prozent Rabatt, 70 Prozent Rabatt – so ließt man es in vielen Schaufenstern. Die Geschäfte versuchen verzweifelt, die Kundschaft zu halten. Aber wegen des starken Frankenkurses kaufen viele Schweizer Kunden jetzt lieber und preiswerter in der deutschen Nachbarschaft ein.

    "Also ich würd' mal sagen: Auf den Monat gesehen circa 20 Prozent Verlust. Und das hatte deutliche Auswirkungen. Die Aushilfen wurden früher nach Hause geschickt. Es waren sehr wenige Leute auf der Straße."

    Krisensitzung auf Schwyzerdütsch: Peter Marstaller besucht täglich die Kreuzlinger Einzelhändler. Marstaller ist Vorsitzender der sogenannten "Detaillisten-Vereinigung", also des örtlichen Einzelhandelsverbandes – und diskutiert mit seinen Mitgliedern über einen ungewöhnlichen Vorschlag:

    "Wir überlegen hier beispielsweise, eine separate Parallelwährung einzuführen. Da gibt es verschiedene Modelle, Regionen, die das bereits eingeführt haben, eine separate Währung. Also, dass man einfach sagt: O.k – wenn man zum beispielsweise hier parkiert, dann bekommen sie die Parkgebühr erstattet, aber eben nur in der separaten Währung, die sie nur hier in der Region ausgeben können."

    Das lokale Währungsmodell ist aber nur eine von mehreren Ideen, die Peter Marstaller im Kopf hat, um die Umsatzeinbrüche in Grenzen zu halten. Eine Image-Kampagne gemeinsam mit den Ostschweizer Lokalzeitungen soll ebenfalls Kundschaft zurückbringen. Die Situation ist so ernst wie nie zuvor, sagt Peter Marstaller:

    "Wir verzeichnen im Detailhandel zum Teil einen Umsatzeinbruch von 40 bis 50 Prozent. Und das ist dann wirklich spürbar für den Einzelhandel. Das wird Konsequenzen haben. Da ist der Personalabbau dann mal der erste Schritt. Das kann dann aber wirklich bis zur definitiven Betriebsaufgabe gehen."

    Auch die Schweizer Industrie leidet unter dem starken Frankenkurs: Unterwegs in einer riesigen Fabrikhalle im eher ländlich geprägten Kanton Appenzell. "Bühler" steht auf den Käppis und T-Shirts der Mitarbeiter. Sie schrauben trichterförmige Maschinen zusammen – Anlagen zur Fertigung von Nudeln, Schokolade und Mehl in großen Mengen. Die Bühler AG Uzwil im Kanton Appenzell ist mit 8000 Mitarbeitern in diesem Segment einer der größten Hersteller in ganz Europa.

    "Das ist so, dass Bühler etwa 98 Prozent der Produktion hier exportiert. Also da können Sie sich ausrechnen, wie stark sich der Schweizer Franken ausrechnet auf unser Resultat."

    Unternehmenssprecherin Corina Atzlin nennt zwar keine konkreten Zahlen. Der starke Frankenkurs hat die Preise für die Anlagen der Firma aber so stark verteuert, dass bereits die ersten Kunden abgesprungen sind – ein Alarmzeichen:

    "Es gibt einzelne Kunden, die bereits bei der Konkurrenz eingekauft haben, ja."

    Um dem starken Franken zu trotzen, versucht das Unternehmen zu sparen. Die Leitung ließ Betriebsabläufe vereinfachen und kauft bei Zulieferern ein, die ihre Rechnungen in Euro ausstellen. Doch das alles hat nicht ausgereicht.

    "Wir verlängern die Arbeitszeit jetzt ab 1. September auf 42,5 Stunden. Das heißt: Zweieinhalb Stunden arbeiten wir jetzt mehr, und der Lohn bleibt gleich."

    Mehrarbeit ohne Lohnausgleich – damit will Bühler die Währungsnachteile wieder wettmachen. Die Mitarbeiterkommission, vergleichbar einem deutschen Betriebsrat, hat zugestimmt; die Gewerkschaften sehen die Entwicklung kritisch. Die Beschäftigten selbst, so wollen es die Regeln des Familienunternehmens, dürfen auf dem Werksgelände dazu nicht befragt werden.

    Doch nur wenige Kilometer entfernt, im Zentrum von Oberuzwil, trinken viele von ihnen bei schönem Wetter im Freien ihr Feierabendbier. Mehr Arbeit bei gleichem Lohn als Ausgleich für den harten Franken – dieses Rezept wird dort kontrovers diskutiert.

    "Es ist sicherlich ärgerlich, dass wir länger arbeiten müssen. Ich finde das voreilig, dass das jetzt schon kommt. Sie hätten eine Weile abwarten sollen, ob sich der Euro nicht wieder erholt."

    "Schlechte Idee – länger Arbeiten. Für den gleichen Lohn muss ich schaffe, nur wegen dem Euro. Das find' ich nicht optimistisch, nein."

    "Das find' ich sinnvoll. Das ist nicht schlimm, eine halbe Stunde länger zu arbeiten am Tag. Besser so als keine Arbeit – das ist meine Meinung."

    Die Mehrarbeit ohne Lohnausgleich hat die Bühler AG unbefristet angesetzt. Wenn sich auch der Franken in den letzten Tagen ein wenig abgeschwächt hat, so bleibt er wohl noch über lange Zeit hinweg ungewöhnlich stark gegenüber dem Euro – mit all den unliebsamen Begleiterscheinungen für die Schweizer Wirtschaft.