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Starker Zuwachs oder Stagnation

Klimaforschung. - Die globale Jahresmitteltemperatur ist im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nicht gestiegen, der Ausstoß an Treibhausgasen dafür umso mehr. Klimaforscher suchen nach Erklärungen, um beide Trends miteinander zu vereinbaren. Die Treibhausgase müssten für einen ordentlichen Anstieg der Energie in der Atmosphäre gesorgt haben. Inzwischen deutet sich an, wo die vermisste Energie abgeblieben sein könnte.

Von Volker Mrasek | 03.01.2013
    Am Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in den USA gibt es eine Arbeitsgruppe, die die unterschiedlichen Phasen im Temperaturverlauf der letzten Jahrzehnte genauer unter die Lupe nimmt. Ihr Chef ist der Klimadynamiker Gerald Meehl. Da wären zum Beispiel die 70er- und 80er-Jahre.

    "Von Mitte der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre gab es einen starken Sprung in der globalen Durchschnittstemperatur. Sie stieg um fast 0,4 Grad Celsius."

    Ganz anders dagegen das zurückliegende Jahrzehnt:

    "Wenn man den Verlauf der Temperatur nachzeichnet, dann ist sie seit rund zehn Jahren nicht mehr weiter gestiegen. Manche Leute haben die Klimaerwärmung deshalb schon für beendet erklärt!"

    Beiden Episoden ist gemein, daß der Ausstoß von Treibhausgasen stetig zunahm. Und daß folglich mehr Wärme in der Erdatmosphäre zurückgehalten wurde und dem Klimasystem zur Verfügung stand. Doch offenbar hatte das nicht dieselben Auswirkungen. Warum nicht? Wohin floss die zusätzliche Energie? Wo landete sie in den 70er-Jahren, wo im letzten Jahrzehnt? Genau das wollten Gerald Meehl und seine Mitarbeiter herausfinden. Dazu benutzten die US-Forscher ein globales Klimamodell. Damit simulierten sie zunächst die vergangene Dekade. Und jetzt auch die 70er- und 80er-Jahre. Nach ihrer neuen Studie spielt der Wärme-Transport im Ozean die entscheidende Rolle. Meer und Atmosphäre stehen in ständigem Energieaustausch miteinander. Meehl:

    "In den Phasen, in denen die globale Erwärmung stagniert, fließt die zusätzliche Energie vor allem in die Tiefsee. Dort ist die Erwärmungsrate dann höher als in den oberen Wasserschichten. In Phasen, in denen sich die Atmosphäre rasch aufheizt, ist es genau umgekehrt: Das Meer erwärmt sich dann oben schneller als unten. Es kommt immer darauf an, wo das System die Wärme hinpackt."

    Die Tiefsee steht nicht im unmittelbaren Kontakt mit der Erdatmosphäre, die oberen Meeresschichten schon. Sie können Wärme auch wieder an die Luft abgeben und sie dadurch stärker erwärmen. Das ist nach dem Verständnis von Gerald Meehl in den 70er- und 80er-Jahren passiert. In der letzten Dekade dagegen soll die zusätzliche Treibhaus-Energie quasi in die Tiefsee abgetaucht sein und sie um mehrere Zehntel Grad erwärmt haben. Deshalb konnte sie nicht mehr auf die Atmosphäre rückwirken – die Erwärmung der bodennahen Luftschicht stagnierte.

    "Bevor wir unsere Studie begannen, gab es schon Vermutungen, daß die Wärme zuletzt in der Tiefsee gelandet sein könnte. Unsere Modellsimulationen scheinen diese Hypothese jetzt zu bestätigen. Sie sind die einzige Methode, mit der wir das überprüfen können, solange es keine besseren direkten Meßdaten aus der Tiefsee gibt."

    Es gibt auch eine Erklärung für die Launen des Ozeans. Meehl sieht hier eine natürliche Klimaschwankung im Pazifik am Werk. Australische Forscher haben sie erst vor knapp zwei Jahrzehnten identifiziert – und auf den Namen IPO getauft: Innerdekadische pazifische Oszillation. Demnach wechselt der tropische Pazifik zwischen kälteren und wärmeren Grundzuständen hin und her, und das etwa alle zehn Jahre. Wolfgang Müller vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg spricht von einer Umwälzpumpe:

    "Und die bringt mal etwas kälteres, mal wärmeres Wasser an die Oberfläche. Und dieses Wasser interagiert sozusagen mit der Atmosphäre. Das findet man dann wieder in der globalen Mitteltemperatur."

    Das ist zwar nicht der einzige bekannte dekadische Klimafaktor; so gibt es auch im Nordatlantik und im Antarktischen Ozean natürliche Schwankungen auf ähnlichen Zeitskalen. Doch die pazifische Oszillation scheint die wichtigste von allen zu sein und so etwas wie der Taktgeber. Die Klimaforscher erwarten, daß er in Kürze wieder von Kalt auf Warm umschaltet. Dann wird man sehen, ob es erneut zu einem kräftigen Temperaturschub in der Erdatmosphäre kommt.