Dienstag, 19. März 2024

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Start der neuen Großen Koalition
Miersch: Ausstiegsklausel ist "scharfes Schwert"

Matthias Miersch, Vertreter der SPD-Linken, fordert eine schnelle Umsetzung sozialdemokratischer Vorhaben des Koalitionsvertrags. Denn nach zwei Jahren gebe es die Möglichkeit, die Koalition frühzeitig zu beenden. Er nehme diese "Ausstiegsklausel" sehr ernst, sagte er im Dlf.

Matthias Miersch im Gespräch mit Mario Dobovisek | 14.03.2018
    Matthias Miersch, Bundestagsabgeordneter der SPD, in der Bundespressekonferenz zum Thema Atom-Endlagersuche 2.0.
    Matthias Miersch, Bundestagsabgeordneter der SPD. (imago - Metodi Popow)
    Entscheidend sei für ihn nach zwei Jahren eine "Gesamtschau" der bis dahin erzielten Ergebnisse, sagte Miersch. Besonders wichtig seien ihm aber die Punkte Bildung, Europa, Klimaschutz und Migration. So müsse das Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Bildungspolitik bis dahin abgeschafft sein sowie ein Klimaschutzgesetz und ein Einwanderungsgesetz umgesetzt sein.
    Die Volksparteien müssten unterscheidbar sein, so Miersch. Die SPD brauche ein eigenes Profil. Die Partei müsse neben der Großen Koalition wieder neue Visionen erarbeiten.

    Mario Dobovisek: Sie geht ab heute in eine neue Runde, die inzwischen nicht mehr ganz so große Koalition aus Union und SPD, mit der Wahl der Kanzlerin im Bundestag und der Ernennung ihrer Minister durch den Bundespräsidenten. Der hatte sich am Ende durchgesetzt. Neuwahlen kamen für ihn nicht in Frage. So zwang er die Parteien nach dem Jamaika-Aus an den Verhandlungstisch, gegen das stellenweise ohrenbetäubende Zähneknirschen vieler Sozialdemokraten. So war er steinig und teuer, Angela Merkels Weg zur vierten Kanzlerschaft.
    Am Telefon begrüße ich Matthias Miersch, SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag, dort Sprecher der Parlamentarischen Linken seiner Fraktion, die sich gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition ausgesprochen hatte, gegen ein "weiter so!" und für eine Erneuerung der Partei in der Opposition. Guten Morgen, Herr Miersch!
    Matthias Miersch: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    "Linke innerhalb der SPD sind in der Pflicht"
    Dobovisek: Sie haben argumentiert, gestritten gegen die Große Koalition, hatten auch die Kooperationskoalition ins Spiel gebracht. Jetzt stecken Sie als Abgeordneter plötzlich wieder mitten drin in der GroKo, vor Ihnen eine Kanzlerin, die nach der Wahl gesagt hat, sie könne nicht erkennen, was sie anders hätte machen sollen. Werden Sie der Kanzlerin heute Ihre Stimme geben?
    Miersch: Na ja. Die Wahl ist geheim. Das sieht die Verfassung so vor. Aber Sie können sicher sein: Der lange Prozess hat bei mir auch Spuren hinterlassen und ich weiß, wie die SPD mehrheitlich votiert hat, und daran werde ich mich natürlich halten.
    Dobovisek: Sie gehen davon aus, dass es Abweichler geben wird?
    Miersch: Das kann ich nicht sagen. Das werden wir sehen. Ich bin sicher, dass sie gewählt wird, und dann fängt die Arbeit an. Das ist für mich das Entscheidende, dass wir - und ich denke, da sind die Linken innerhalb der SPD auch in der Pflicht - wirklich kein "weiter so!" haben in dieser Großen Koalition.
    "Die SPD braucht ein eigenständiges Profil"
    Dobovisek: Werden Sie mit dem Tag heute von einem überzeugten Gegner der Großen Koalition zu einem überzeugten Mitläufer?
    Miersch: Nein, mit Sicherheit nicht. Ich glaube, dass all die, die das Ganze skeptisch sehen und gesehen haben, weiter natürlich ihre Argumente haben, nämlich wir müssen als Volksparteien unterscheidbar sein. Die SPD braucht ein eigenständiges Profil. Wir werden jetzt auf der einen Seite den Koalitionsvertrag abarbeiten, die Inhalte, die vor allen Dingen auch sozialdemokratisch geprägt sind, sehr schnell umsetzen. Ich verweise da immer auf diese Zwei-Jahres-Klausel, die wir ja haben, die Überprüfungs-Revisionsklausel.
    Dobovisek: Eine Sollbruchstelle, die Sie tatsächlich ernst nehmen?
    Miersch: Absolut! Ich habe das immer wieder gesagt. Das ist für mich ein scharfes Schwert. Die Dinge gerade, die hoch umstritten waren in den Koalitionsverhandlungen, müssen jetzt umgesetzt werden innerhalb dieser Frist, und ich nehme diese Frist sehr, sehr ernst. Die steht nicht nur auf dem Papier und im Zweifel werden wir auch mit den Mitgliedern der SPD besprechen, ob sich diese Große Koalition nach zwei Jahren ausgezahlt hat, ob geliefert worden ist. Darüber hinaus - und das ist für mich das Entscheidende - sind große Fragen auch nach wie vor offen. Die werden auch nach vier Jahren offen sein. Wie beispielsweise geht es weiter mit den sozialen Sicherungssystemen? Welches Staatsverständnis haben wir? Da brauchen wir wieder Visionen in der SPD und das muss neben der Großen Koalition erarbeitet werden.
    Von Bildungspolitik über Europa bis Klimaschutz
    Dobovisek: Welche drei großen Punkte sind für Sie die Bedingung, damit dass scharfe Schwert, wie Sie es bezeichnet haben, nach zwei Jahren nicht doch noch nach unten schnellt und die Koalition zerteilt?
    Miersch: Für mich ist sicherlich dann eine Gesamtschau entscheidend, denn wir haben ja in vielen, vielen Politikfeldern gute Sachen.
    Dobovisek: Dann machen wir es doch konkret mit drei Punkten.
    Miersch: Aber ich sage schon, dass solche Dinge wie zum Beispiel das Thema, was wir in der Bildungspolitik vereinbart haben, Kooperationsverbot abschaffen, ein ganz wichtiges ist, dass das Thema solidarisches Europa, weg von der Austeritätspolitik, ein wichtiges Thema ist, dass das Thema schaffen wir einen öffentlichen Beschäftigungssektor für Langzeitarbeitslose, geht es weiter im Bereich sozialer Wohnraum und kriegen wir das Klimaschutzgesetz - das ist ein Thema, wo ich ja sehr stark auch mit gearbeitet habe und arbeiten werde -, kriegen wir all diese Punkte hin. Das sind für mich schon Dinge, die in den ersten zwei Jahren geliefert werden müssen, einschließlich zum Beispiel einer solchen umstrittenen Sache wie zum Beispiel das Einwanderungsgesetz.
    "Ich will mich nicht an Jens Spahn abarbeiten"
    Dobovisek: Sehen Sie da genug Willen bei der Union?
    Miersch: Das hoffe ich. Ich glaube, das was wir im Moment bei der CDU sehen ist, dass die Nach-Merkel-Ära eigentlich begonnen hat, dass sich Menschen wie Jens Spahn in Stellung bringen. Die haben ein Politikverständnis inhaltlicher Art, was meinem nicht entspricht, und da werden wir uns richtig reiben müssen, auch in den nächsten Jahren. Aber wir haben Vereinbarungen im Koalitionsvertrag geschaffen. Diese Vereinbarungen tun diesen Leuten sicherlich an vielen Stellen weh. Und wir werden jetzt darauf drängen, dass das umgesetzt wird.
    Dobovisek: Bleiben wir bei Jens Spahn von der CDU. Der sagt, wer Hartz IV habe, sei nicht arm. Er hätte alles, was er zum Leben brauche. Spahn erfährt dafür auch Unterstützung aus den Reihen der Union. Heute wird er zum Gesundheitsminister Ihrer gemeinsamen Koalition ernannt. Wie sollen Sie auf dieser Grundlage gemeinsam in den kommenden Jahren Sozialpolitik machen?
    Miersch: Ich finde das erst mal richtig, dass wir uns streiten. Das gehört zur Politik dazu. Aber wir haben einen Koalitionsvertrag. Da steht so etwas nicht drin, sondern da steht drin, wie Menschen Arbeit bekommen, vor allen Dingen auch zum Beispiel Langzeitarbeitslose, wie wir sie an den Arbeitsmarkt und in den Arbeitsmarkt wieder integrieren - insofern was völlig anderes als zu sagen, ist doch alles gut, die Leute bekommen Arbeitslosengeld II und dann hat sich das. Ich will mich nicht an Jens Spahn abarbeiten, weil das ist ja dieses mediale Spielchen, was wir hier in Berlin alle kennen: Man macht einen Spruch, provoziert, und alle springen drauf.
    Mir geht es darum, wie kriegen wir eigentlich wirklich das hin, was wir im Moment jedenfalls aus meiner Sicht kritisieren müssen, dass die Spaltung der Gesellschaft immer mehr und immer größer und immer weiter wird. Wie kriegen wir es hin, dass wir als Politiker im Sinne von vielen, vielen Menschen wieder Steuerungsfähigkeit erlangen. Da sind die Dinge, zum Beispiel sozialer Beschäftigungssektor, aber auch das Thema Grundsicherung im Alter, eine Solidarrente zu schaffen für die, die lange gearbeitet haben, aber nie so richtig viel einzahlen konnten. Da ist das Ding sozialer Wohnraum. All diese Fragen sind entscheidend und die müssen wir angehen in den nächsten Jahren. Dann ist es mir ehrlicherweise völlig egal, was Herr Spahn sagt.
    Konkrete Politik und Visionen
    Dobovisek: Dann gucken wir uns doch noch mal einen Punkt genauer an. Jetzt soll zum Beispiel das Kindergeld um 25 Euro angehoben werden. Bei Hartz-IV-Empfängern würde das aber gleich wieder abgezogen, hat zum Beispiel Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband am Montag hier an dieser Stelle moniert. Also doch ein "weiter so!", Herr Miersch, weil am Ende gar nicht mehr wirklich das Geld bei den Bedürftigen ankommen kann?
    Miersch: Nein, wir haben ganz unterschiedliche Maßnahmen ja vereinbart in diesem Koalitionsvertrag. Das Kindergeld ist das eine. Aber wir haben, gerade was für Familien, die geringere Einkommen haben, ja ganz entscheidend ist, zum Beispiel ganz viel im Bereich Kinderbetreuung vereinbart, im Bereich Bildung, aber auch zum Beispiel in der Frage Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Das sind Dinge, die kommen genau diesen Gruppen zugute, und ich sage noch mal: Wir machen ja nicht Politik in irgendeiner Form für eine Gruppe, sondern es geht um den Zusammenhalt dieser Gesellschaft. Da ist die Sozialdemokratie seit über 150 Jahren unterwegs, dass wir sagen, wir wollen Gerechtigkeit realisieren.
    Deswegen sage ich, solche Dinge wie beispielsweise Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Verbesserung der Pflege, all diese Dinge, die müssen ins Zentrum der Politik, und ich verspreche mir, dass wir in den nächsten dreieinhalb Jahren Dinge dort liefern, ganz konkret, die das Leben, so sagt man ja immer, vieler Menschen verbessern. Aber darüber hinaus brauchen wir sicherlich auch Visionen, wie diese Gesellschaft gestaltet wird, und ein Thema ist mir da ganz wichtig, nämlich zum Beispiel die Frage auch, wie stellt sich Europa zukünftig auf. Wir sehen in diesen Stunden, was in Amerika passiert, die Spaltungstendenzen von anderen innerhalb der EU. Da müssen wir jetzt richtig Flagge zeigen.
    "Vermögenssteuer als ein Symbolthema"
    Dobovisek: Jetzt wird Ihr Parteifreund Olaf Scholz Finanzminister, hütet dann die Kasse der Großen Koalition. Erwarten Sie das Ende der schwarzen Null zu Gunsten sozialer Wohltaten?
    Miersch: Nee! Für mich ist das Thema schwarze Null ehrlicherweise erst mal sekundär, sondern das Entscheidende ist, dass wir definieren, was soll dieser Staat leisten. Und da sage ich, ich bin für einen sehr handlungsfähigen Staat.
    Dobovisek: Aber dann muss man auch definieren, was sich der Staat leisten kann.
    Miersch: Richtig! Richtig! Und da werden wir darüber reden, was heißt für uns zum Beispiel Daseinsvorsorge, was soll der Staat tatsächlich vorhalten an Infrastruktur, sozialer Infrastruktur. Wenn ich alleine den Pflege- und Gesundheitsbereich sehe, dann reicht mir das in keiner Weise. Dann möchte ich einen viel, viel leistungsfähigeren Staat. Und dann muss ich sagen, woher es kommen soll, nämlich die Einnahmeseite dann diskutieren, und da sind wir bei den Fragen Steuergerechtigkeit etc. Auch darüber werden wir innerhalb der SPD reden müssen. Sie wissen, dass wir zum Beispiel das Thema Vermögenssteuer als ein Symbolthema, sage ich mal, im Moment einer Kommission überantwortet haben.
    Aber wenn wir wollen, dass wir diese Gesellschaft stark machen, dass wir den Staat stark machen, leistungsfähig machen, müssen wir auch über diese Einnahmesituation reden und dann können wir meinetwegen auch die schwarze Null sagen. Aber als erstes ist für mich das Entscheidende, was wollen wir eigentlich, was dieser Staat tatsächlich leistet.
    Dobovisek: Matthias Miersch, er ist Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD im Bundestag. Heute startet sie, die Neuauflage der Großen Koalition. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Miersch: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.