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Statistiken mit Sprengkraft

Vor einigen Monaten kritisierte ein Journalisten-Team der ARD ein Versäumnis in der Arbeit der Welt-Antidoping-Agentur. Die WADA konnte kaum Aussagen treffen über die Antidoping-Bemühungen in einzelnen Weltverbänden und Ländern, weil sie derlei Informationen bis dato nicht angefordert hatte. Nun hat die Agentur das geändert – wie zwei hoch brisante Statistiken auf ihrer Homepage verraten.

Von Grit Hartmann | 18.10.2011
    "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast" – selten traf diese gängige Formel weniger zu als für jene Tabellen, die jetzt die Welt-Antidoping-Agentur WADA ins Internet gestellt hat. Es handelt sich um zwei Jahresbilanzen für 2010. Sie verraten, was die Dopingtests der Weltverbände und der Nationalen Antidoping-Agenturen ergeben haben – und noch ein wenig mehr. Vorab: Es sind ernüchternde Papiere von enormer Sprengkraft.

    Die Weltverbände des Sports: Von mehr als 60 sind nur 35 gelistet. Die anderen kommen ihrer Berichtspflicht offenkundig nicht nach, mithin sind hier Verstöße gegen den WADA-Code festgehalten. Für die Biathleten etwa steht das auch so in der Statistik; der Fußball-Weltverband FIFA oder die Fechter hingegen fehlen ohne Angabe von Gründen.

    Über die Hälfte der gelisteten Verbände, nämlich 18 von 35, haben im letzten Jahr mit ihren Kontrollen keinen einzigen Doper überführt. Darunter sind nicht nur Klettern oder Tauziehen, sondern auch olympische Spitzenverbände: Handball, Rudern, Taekwondo, Tischtennis, Hockey, Rodeln. In fünf weiteren Sportarten führten die Tests zu gerade einmal einem positiven Befund. Insgesamt gingen – nach dieser Statistik – den Fahndern der Weltverbände ganze 117 positive Fälle ins Netz. Über Zahl und Art der Kontrollen verrät die Bilanz zwar nichts. Aber sie wirft höchst unangenehme Fragen auf zum Reinheitswillen der Funktionäre.

    Die Bilanz der Regionalen und Nationalen Agenturen verschärft diesen Eindruck noch. Aus ihr geht hervor, dass zwar auch in Mauritius oder Nepal Dopingkontroll-Instanzen am Werk sind – wenngleich Sünder von dort nicht vermeldet wurden, ebenso wenig wie übrigens aus Bulgarien oder einigen afrikanischen Regionen. Gelistet sind aber nur 57 Agenturen.

    Das ist mehr als ein Fingerzeig für das Dilemma der weltweiten Dopingbekämpfung. Nicht zuletzt verrät diese Statistik, wie ernst die Hüter des Fairplay im Sport, das Internationale Olympische Komitee, die Betrugsbekämpfung nehmen. Startberechtigt bei Olympia sind ja theoretisch nur Länder, die ihre Athleten auch kontrollieren. Auffälligste Lücke in der Länderliste: Es fehlt die Sportgroßmacht Brasilien – die aber darf bekanntlich mit Rio de Janeiro sogar auch die Sommerspiele 2016 ausrichten.