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Statistiker zur Fußball-WM
Deutschland zweiter Top-Favorit

Das deutsche Team hat eine Chance von 15,8 Prozent auf den Fußball-Weltmeistertitel, so die Prognose des Statistikprofessors Achim Zeileis. Für die Berechnungen nutze er das Wissen der Buchmacher. Auch die wahrscheinlichen Turnierverläufe könne man vorhersagen, sagte er im Dlf.

Achim Zeileis im Gespräch mit Ralf Krauter | 13.06.2018
    Weibliche Deutschland-Fans verfolgen beim "Public Viewing" am Brandenburger Tor das WM-Halbfinalfußballspiel Deutschland - Brasilien.
    Wird es ein Sommermärchen 2018 geben? (Daniel Bockwoldt/dpa )
    Ralf Krauter: Normalerweise befasst sich der Statistikprofessor Achim Zeileis von der Uni Innsbruck damit, im Auftrag von Banken zu berechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass bestimmte Kunden ihre Kredite zurückzahlen werden oder dass am nordwestlichen Stadtrand von Castrop-Rauxel morgen ein heftiger Hagelschauer niedergeht. Weil der Statistikprofi Fußball-Fan ist, nutzt er seine Prognosetools vor sportlichen Großereignissen aber gern auch mal, um zu berechnen, welches Team mit welcher Wahrscheinlichkeit ins Finale kommt. Seiner Prognose für die morgen beginnende Fußball-WM in Russland zufolge haben Deutschlands Kicker eine Chance von 15,8 Prozent, Weltmeister zu werden und sind damit nach Brasilien der zweite Top-Favorit. 15,8 Prozent - im Interview erklärt Achim Zeileis, wie er auf diese Zahl gekommen ist.
    Achim Zeileis: Unsere Prognose startet da, dass wir uns anschauen, wer verdient denn Geld damit, solche Fußballturniere richtig einzuschätzen - und das sind in erster Linie die Buchmacher. Die Buchmacherquoten enthalten also Informationen darüber, wer wohl Fußballweltmeister wird, man muss die nur noch richtig prozessieren, die Gewinnmargen der Buchmacher rausrechnen und mitteln über die Buchmacher hinweg. Und dann kann man eben sagen, die Deutschen werden es mit 15,8 Prozent und die Brasilianer mit 16,6 Prozent.
    Berechnung nach Crowdsourcing-Prinzip
    Krauter: Ist das so eine Art Crowdsourcing, was Sie betreiben? Sie zapfen also das Wissen der Sportwettenanbieter an und unterstellen, die werden sich schon ordentlich informiert haben, bevor sie diese Wettquoten festgelegt haben.
    Zeileis: Genau, das ist das, was wir tun. Ob das dann schon Crowdsourcing ist, weiß ich nicht, weil es nur 26 Buchmacher sind, die wir uns angeschaut haben, was jetzt noch keine Riesencrowd ist. Aber im Prinzip ist es die gleiche Idee: Wir bauen auf dem Wissen auf, wo Leute, die ganz starke Anreize haben, gute Einschätzungen abzugeben, weil ihr Geschäft davon abhängt - das bereiten wir nur noch entsprechend auf.
    Halbfinale Deutschland - Spanien wahrscheinlich
    Krauter: Gut, Sie haben schon gesagt, Deutschlands Chance 15,8 Prozent auf den Weltmeistertitel, bei Brasilien ein bisschen höher. Was ist mit den anderen Topteams, die man da immer so auf der Liste hat? Also Italien dieses Jahr ja leider nicht, aber Spanien und Frankreich zum Beispiel.
    Zum Nachhören der Langfassung: das ganze Interview mit Achim Zeileis
    Zeileis: Genau, Spanien und Frankreich sind hinter Brasilien und Deutschland auch sehr gut noch mit dabei mit Gewinnwahrscheinlichkeiten von knapp über 12 Prozent, beide. Und das sind auch tatsächlich die wahrscheinlichsten Halbfinals, dass also Brasilien gegen Frankreich im ersten Halbfinale spielt und Spanien gegen Deutschland im zweiten Halbfinale. Und ab da ist es aber fast auf Augenhöhe, ganz kleine Vorteile nur noch für Brasilien und Deutschland.
    "Ab und an passiert doch mal etwas Ungewöhnliches"
    Krauter: Und wie wahrscheinlich ist es dann Ihren Berechnungen zufolge, dass Deutschland bei dieser WM erneut auf Brasilien trifft - wie 2014 im Halbfinale?
    Zeileis: Das wahrscheinlichste Aufeinandertreffen von Brasilien und Deutschland ist im Finale, so wie die Turnierauslosung ist, weil beide hoffentlich ihre Gruppen gewinnen werden und dann vielleicht auch bis ins Finale kommen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist absolut aber relativ klein, 5,5 Prozent. Wäre aber natürlich ein Traumfinale, wäre natürlich super, das noch mal zu haben nach dem, was vor vier Jahren passiert ist.
    Krauter: Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das Spiel dann erneut 7:1 für Deutschland ausgehen könnte, die ist doch praktisch gleich null, oder?
    Zeileis: Die war auch vor vier Jahren praktisch null, aber ab und an passiert halt doch mal etwas so Ungewöhnliches. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das noch mal passiert, aber drauf wetten würde ich nicht.
    Buchmacherquoten in Gewinnwahrscheinlichkeiten umrechnen
    Krauter: Lassen Sie uns noch mal im Detail auf dieses Berechnungsverfahren zu sprechen kommen, dass Sie da einsetzen. Also Eingangsdaten sind quasi die Wettquoten von Buchmachern. Wie geht es dann weiter, Sie simulieren ja letztlich den gesamten Spielverlauf, alle möglichen Partien billionenfach im Computer, wenn ich es recht verstanden habe. Wie muss man sich das vorstellen?
    Zeileis: Also der erste Schritt ist, dass wir die Buchmacherquoten in Gewinnwahrscheinlichkeiten umrechnen. Also wenn Brasilien eine Wettquote von fünf hat momentan ungefähr, dass ich also für einen eingesetzten Euro im Falle, dass Brasilien gewinnt, fünf Euro bekomme, dann wäre das naiv, eine Gewinnwahrscheinlichkeit von ungefähr ein Fünftel, die das impliziert, 20 Prozent. In Wirklichkeit ist es aber ein bisschen geringer, weil die Buchmacher noch eine Gewinnmarge haben, wo sie Sachen in die eigene Tasche stecken. Und das mittel ich dann über die Buchmacher hinweg. Und daraus ergibt sich dann meine Prognose Wahrscheinlichkeit, Weltmeister zu werden.
    Nachgeschaltet kommt dann noch ein zweiter Teil der Analyse: Wir überlegen uns, welche Turnierverläufe können denn zu diesen Gewinnwahrscheinlichkeiten kommen. Wenn ich eine Teamstärke für jedes Team anlege und die Turnierauslosung kenne, kann ich millionenfach das Turnier simulieren, damit ich auf genau die gleichen Gewinnwahrscheinlichkeiten wieder komme - aber auch rekonstruiere, wie verläuft das Turnier wahrscheinlich.
    "Wir kennen auch die wahrscheinlichen Turnierverläufe"
    Krauter: Das heißt, Sie spielen sozusagen Szenarien durch, die zu einem bestimmten Ergebnis führen - also eben Brasilien bekommt den Weltmeistertitel, zum Beispiel.
    Zeileis: Wir kalibrieren unsere Simulation so, dass in ungefähr 16,5 Prozent aller Millionen Simulationen, die wir da machen, Brasilien gewinnt und dass in 15,5 Prozent der Fälle Deutschland die Simulation gewinnt, und so weiter und so fort. Der Mehrwert, den wir dadurch generieren, ist, dass wir auch die wahrscheinlichen Turnierverläufe kennen. Mit welcher Wahrscheinlich gewinnt Brasilien die Gruppe oder werden nur Zweiter und mit welcher Wahrscheinlichkeit treffen Deutschland und Spanien im Halbfinale aufeinander und so weiter.
    "Es gibt auch Fälle, wo es dann nicht so gut klappt"
    Krauter: Wie groß ist denn Ihr Vertrauen in diese Form von Prognosen? Wie oft lagen Sie zum Beispiel bei vergangenen Fußballturnieren richtig oder vielleicht auch daneben?
    Zeileis: Die Prognosen sind halt Prognosen mit Wahrscheinlichkeiten, deshalb würde ich erwarten, dass wir auch häufig daneben liegen. Häufig sind die Gewinnwahrscheinlichkeiten so knapp an 20 Prozent dran, sodass ich erwarten würde, na ja, in einem Fünftel unserer Prognosen sollten wir auch den Weltmeister erwischen und in den anderen Fällen halt nicht. Und da sind wir sogar eher noch ein bisschen besser dabei, wir haben 2010 den richtigen Weltmeister Spanien vorhergesagt und auch 2012 den richtigen Europameister Spanien. In den anderen Fällen war es dann häufig so, wir haben vielleicht das richtige Finale oder drei von vier Halbfinalisten gehabt - bei der letzten WM zum Beispiel.
    Aber es gibt auch Fälle, wo es dann mal nicht so gut klappt. Die letzte Europameisterschaft, da waren wir im Prinzip mit unserer Prognose genau auf Kurs, haben gesagt die Topfavoriten Frankreich und Deutschland treffen im Halbfinale aufeinander, und wer das gewinnt, gewinnt dann auch den Europameistertitel. Und wenn der Gignac in der 92. Minute das Tor statt den Pfosten getroffen hätte, hätten alle gesagt, da habt ihr die Kristallkugel unter dem Tisch liegen gehabt. War aber nicht so, denn in der Verlängerung hat dann Portugal die Chance genutzt, und da sagen dann alle, ja, das ist ja total unwahrscheinlich gewesen. Und die Wahrheit liegt genau dazwischen. Es ist das unwahrscheinlichere Ergebnis gewesen, aber nicht sehr unwahrscheinlich.
    Berechnungen können im laufenden Turnier angepasst werden
    Krauter: Sind Sie denn in der Lage ihr Modell, ihre Berechnungen noch auf aktuelle Veränderungen während des Turnierverlaufs anzupassen? Also zum Beispiel den Ausfall eines Weltklassestürmers bei einem Team, was dessen Gewinnchancen ja wahrscheinlich verändern würde.
    Zeileis: Das ist grundsätzlich möglich, wenn so Ereignisse eintreten, dass ich mir die Buchmacherquoten einfach erneut hole und damit das noch mal durchspiele. Man kann das auch machen, dass man zum Beispiel nach der Vorrunde, wenn man dann weiß, welches jetzt die 16 von den 32 Teams sind, die weitergekommen sind, dass man dann noch mal den restlichen Turnierverlauf durchsimuliert. Aber die Veränderungen sind häufig nicht so riesig, weshalb wir es nicht routinemäßig machen. Aber wenn jetzt irgendwer ganz Prominentes tatsächlich ausfallen sollte bei einem der Topfavoriten, könnte das durchaus Motivation sein, das in diesem Fall noch mal zu tun.
    "Als Fußballfan freue ich mich auf spannende Spiele"
    Krauter: Die Frage an den Fußballfan und nicht an den Forscher/Statistiker: Was glauben Sie, wer wird gewinnen?
    Zeileis: Das ist eine gute Frage. Also ich als Fußballfan habe da eigentlich keine große Meinung dazu. Die beste Prognose, die ich abgeben kann, ist die, die ich als Statistiker abgegeben habe, und als Fußballfan freue ich mich einfach darauf, spannende Spiele zu sehen. Und wenn dann irgendein Team, dem ich die Daumen drücken würde - natürlich den Deutschen auch -, wenn die dann schlecht spielen, wenn die so wie in den Vorbereitungsspielen jetzt spielen, bin ich nicht böse, wenn die nicht Weltmeister werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.