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Status quo in Schutzgebieten kaum haltbar

Welche Folgen hat der Klimawandel für Naturschutzgebiete? Ein EU-Projekt hat den Einfluss steigender Temperaturen untersucht. Erste Ergebnisse diskutierten Experten auf einer Konferenz in Dresden, bei der regionale Auswirkungen des Klimawandels und mögliche Anpassungsstrategien erörtert wurden.

Von Volker Mrasek | 29.05.2013
    Seit gut 20 Jahren hat Europa eine Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Sie gilt für alle Naturschutzgebiete, Naturparks und Biosphärenreservate in den EU-Mitgliedsstaaten. Die Richtlinie verfolgt ein hehres Ziel, mit dem auch Nico Frischbier vertraut ist, Referent für Klima und Wald bei der Thüringer Forstverwaltung in Gotha:

    "Nämlich den Schutz von Habitaten, ohne dass die verschlechtert oder verändert werden."

    Es gibt nur ein Problem mit diesem Ziel der Richtlinie: Es wird sich nicht erreichen lassen. Den Grund nennt Marco Neubert, Geograf am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden:

    "Das Verschlechterungsverbot bezog sich bisher eigentlich nur auf menschliche Einflüsse oder weitgehend auf menschliche Einflüsse. Das wird natürlich konterkariert durch die Einflüsse des Klimawandels. Also, das hat man damals überhaupt noch nicht berücksichtigt."

    Marco Neubert und Nico Frischbier waren beide an einem EU-Projekt beteiligt, das jetzt zu Ende geht. Insgesamt 14 Schutzgebiete in Mittel- und Osteuropa wurden dabei in Fallstudien behandelt. Zwei deutsche waren auch mit dabei: die Biosphärenreservate Vessertal/Thüringer Wald und die Flusslandschaft Elbe-Brandenburg. Die Frage war: Welche Auswirkungen wird der Klimawandel auf die Schutzgebiete haben?

    Nach dreijähriger Arbeit geben Marco Neubert und die anderen Forscher eine klare Antwort: Die Habitate werden sich auf jeden Fall verändern. Und nicht so bleiben, wie sie heute sind. Neubert:

    "Es ist halt vor allem die Sache, dass viele Gebiete sich der Auswirkungen, die auf sie zukommen, noch gar nicht bewusst sind."

    Nico Frischbier hat untersucht, mit welchen Veränderungen im Biosphärenreservat Vessertal zu rechnen ist. Mittendrin liegt das bekannte ostdeutsche Wintersportzentrum Oberhof ...

    "Das sind unsere höchsten Flächen in Thüringen, bis fast 1000 Meter Höhe. Typischerweise müsste in den tieferen Lagen die Buche stehen, Buchenwälder. Und nur in den Kammlagen gibt es dann Regenmoore. Also, das sind Fichtenmoore mit etwas Eberesche drin. Das finden wir häufig, beispielsweise auch im Harz, wieder. Oder in Bayern. Und genau das war eben auch ein Grund, warum wir uns dieses Biosphärenreservat als Forschungsfläche ausgesucht haben. Aber genau da schlägt eben der Klimawandel zu."

    Im Computermodell hat der Forstwissenschaftler simuliert, welches Klima im Thüringer Wald Mitte des Jahrhunderts herrschen dürfte. Heraus kam nicht nur, dass es wärmer wird. Sondern auch, dass während der Vegetationsperiode weniger Regen fällt. Dadurch treten vermehrt Wasserdefizite auf.

    Die Buchen kommen damit ganz gut zurecht. Die Kiefern in den hoch gelegenen Moorwäldern aber nicht. Zu ihrer Pflanzengemeinschaft zählen im übrigen auch Rausch- und Preiselbeeren.

    Frischbier: "Im Moment sind unsere höchsten Buchenbestände bei etwa 800 Metern. Wir kommen bis 942 im Thüringer Wald. Also, dieses Hochklettern, das schafft eben die Buche. Es wird eben einen Florenwandel geben, der dafür sorgt, dass diese Hochlagen-Fichtenwälder bedroht sind von der hochkletternden Buche."

    Und noch etwas könnte den Moorgehölzen dann stärker zusetzen: heftige Stürme, weiß Frischbier:

    "Das sind leider Erfahrungen, die wir nach den letzten Ereignissen - Kyrill 2007, Emma 2008 - machen mussten."

    Der Klimawandel hält für Schutzgebiete noch weitere Gefahren bereit. Zum Beispiel können sie schlichtweg überflutet werden, wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt. Ein Problem, das in Slowenien ganz deutlich zutage trat - in einer stillgelegten Saline an der Adria. Früher wurde in ihr Salz gewonnen. Heute beherbergt sie eine besondere Vogelfauna. Doch weil der Wasserpegel im Mittelmeer steigt, droht die Saline zu versinken.

    Für dieses Schutzgebiet aus dem EU-Projekt wurde sogleich ein Rettungsplan umgesetzt, wie Marco Neubert erzählt:

    "Dort wurden künstliche Inseln angelegt, um den Vögeln neue Brutgebiete zu eröffnen."

    Dadurch wurde die Schutzzone mehr als nur verändert - sie wurde sogar verlegt.

    Eigentlich widerspricht das dem Geist der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Doch Naturschutzgebiete und Biosphärenreservate könnten sich dem Klimawandel nun mal nicht entziehen, sagen die Forscher. Es sei unausweichlich, dass sie sich veränderten und nicht so, wie heute blieben - so sehr sich Naturschützer das auch wünschten. Dieser Realität müssten auch sie ins Auge sehen.