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Stechlinsee
Himmelsleuchten im Dienst der Wissenschaft

Welche Auswirkungen hat die zunehmende künstliche Beleuchtung von Städten und Dörfern auf die Natur? Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei wollen die Folgen der sogenannten Himmelshelligkeit am Stechlinsee erforschen - einem der dunkelsten Orte Deutschlands.

Von Sven Kästner | 18.08.2016
    Das Seelabor auf dem Stechlinsee bei Nacht
    Das Seelabor auf dem Stechlinsee bei Nacht (A. Jechow)
    Ein Labor mitten auf dem Stechlinsee in Brandenburg: Auf dem Wasser schwimmen 24 Aluminiumringe, jeder neun Meter im Durchmesser und mit schwarzen Auftriebskörpern dran. Unter den Aluminiumringen hängen Kunststoffschläuche bis hinab zum Seegrund in 20 Metern Tiefe – wie riesige, in den See eingelassene Reagenzgläser. Diese Forschungszylinder ermöglichen Beobachtungen auf begrenztem Gebiet, aber im Freiland. Mark Gessner leitet das Seelabor des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Es sei weltweit einzigartig, sagt er.
    "Weil hier die Möglichkeit besteht, experimentelle Untersuchungen an Seen durchzuführen. Und zwar im großen Maßstab. Das gibt es sonst nicht auf der Welt. Unser Schwerpunkt der Forschung liegt bei den Abschätzungen der Auswirkungen des Klimawandels."
    Gerade laufen die letzten Vorbereitungen für das diesjährige Großexperiment, in dem es allerdings um eine andere Umweltveränderung geht. Gut 60 Wissenschaftler beobachten mehrere Wochen, wie sich die künstliche Himmelshelligkeit bei Nacht auf das Ökosystem See auswirkt.
    "Eigentlich ein ganz einfaches Experiment. Was es besonders macht ist, dass wir es in einem komplexen System durchführen. Nicht einfach ein Fisch in einem Aquarium im Labor, sondern hier haben wir alles, was einen See ausmacht, auch vorliegen. Und damit untersuchen wir zwar auch die Effekte auf einzelne Organismen. Aber vor allen Dingen, wie diese Organismen zusammenwirken. Wie verändern sich diese Wechselwirkungen? Und was hat das dann für Auswirkungen auf Stoffflüsse im gesamten See, die Organisation der ganzen Biodiversität im ganzen Gewässer."
    Künstliche Seebeleuchtung
    Fünf Männer hieven einen großen, sperrigen Aluminiumreifen von einem Floß auf das Seelabor. Die Bänder mit Leuchtdioden daran sind Teil der Beleuchtung für die Forschungszylinder. Der Physiker Andreas Jechow hat sie konstruiert. Diffus und gleichmäßig soll das Licht sein, und seine Intensität einstellbar, damit das Himmelsleuchten in der Nähe einer Kleinstadt ebenso simuliert werden kann, wie das über einer Metropole.
    "Wenn wir dieses unterste Level anpeilen, diese 0,06 Lux, ist das hundertmal so hell wie eine sternenklare Nacht. Das entspräche einem Himmelsleuchten, wie man es außerhalb einer Stadt wie Fürstenberg beobachten würde. In Berlin beobachten wir in einer bewölkten Nacht teilweise über tausendfache Überhöhung. Also noch zehnmal mehr als das, was wir hier haben. Und das obere Level, was wir anpeilen, das ist so was, was man so in Städten wie Hongkong oder anderen asiatischen Städten gemessen hat."
    Wenn der Kleinste die Großen beeinflusst
    Während des Experiments beobachten die Wissenschaftler vor allem Schlüsselarten wie Wasserflöhe, die mit ihrem Verhalten auch andere Lebewesen beeinflussen. Diese winzigen Krebstiere verstecken sich tagsüber vor ihren Fressfeinden – den Fischen – in den tiefen, dunklen Schichten des Sees. Erst im Schutz der Dunkelheit wagen sie sich an die Wasseroberfläche, um sich dort von Algen zu ernähren, erklärt Laborleiter Mark Gessner.
    "Jetzt ergibt sich eigentlich sofort das Problem: Wenn ich nachts Beleuchtung habe, dann gibt es dieses Refugium nicht mehr. Und sie sind eigentlich hin und her gerissen zwischen verhungern und selbst gefressen zu werden. Das könnte dramatische Auswirkungen haben."
    Mit Infrarotkameras registrieren die Wissenschaftler rund um die Uhr, wo sich die winzigen Tiere aufhalten. Sie nehmen regelmäßig Wasserproben und analysieren das Algenwachstum. Die Biologin Franziska Kupprat richtet am Rand eines Versuchszylinders gerade ein Sonar ein – ein Schallmessgerät, mit dem man unter Wasser zum Beispiel Fische orten kann.
    "Wir möchten untersuchen, wie Fische sich verhalten, wenn es nachts heller ist. Ob die Fische jetzt das Licht als Stress empfinden und in tiefere Regionen abtauchen und sich verstecken. Oder ob sie an die Oberfläche kommen, weil sie mehr sehen und vielleicht mehr fressen können."
    Ende Oktober werden die Freilandversuche beendet. Endgültige Ergebnisse sollen nach Auswertung aller Daten in zwei bis drei Jahren vorliegen.