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Steckbrief mit vielen Gesichtern

Medizin. - Vor nunmehr 25 Jahren tauchten erstmals in den USA rätselhafte Fälle von Immunschwäche auf. Als Viren als Ursache ausgemacht wurden, hielten Forscher einen Impfstoff für möglich. Trotz aller bislang gescheiterten Versuche hoffen Mediziner weiter auf ein Vakzin.

Von Martin Winkelheide | 06.02.2006
    Das Aids-Virus existiert nicht - denn es gibt Millionen unterschiedlicher Aids-Viren. Und jeder Mensch, der sich mit dem Humanen Immundefizienz-Virus HIV angesteckt hat, sagt die US-amerikanische Biologin Bette Korber von den Los Alamos National Laboratories, trägt ein eigenes Virus in sich, das sich zudem ständig weiter verändert.

    "Aids-Forscher müssten also einen Impfstoff entwickeln, der das Immunsystem des Menschen auf alle diese verschiedenen Viren vorbereitet."

    Dokumentiert ist die Virus-Vielfalt in einer riesigen Datenbank in Los Alamos. In ihr sind mehr als 150.000 Aids-Viren gespeichert, genau gesagt: deren Erbgut - die Reihenfolge der genetische Bausteine. Für Bette Korber ist die Datenbank ein unentbehrliches Werkzeug geworden.

    "Mit Hilfe dieser Datenbank können Sie sehr schnell sehen, ob ein Impfstoff wirksam sein wird oder nicht. Vor welchen Virusvarianten er schützt und vor welchen nicht. Sie können aus den Daten logisch und systematisch ableiten, wie ein Impfstoff aussehen müsste, der vor allen diesen Virusvarianten schützt."

    In einem ersten Schritt errechnete Bette Korber dazu mit Hilfe von Hochleistungsrechnern einen Stammbaum der Virus-Varianten. Was sind typische genetische Veränderungen? Wann haben sich welche Varianten entwickelt? So entstand zunächst eine Chronik der AIDS-Epidemie.

    "Das Aids-Virus hat sich ungefähr um das Jahr 1930 unter den Menschen verbreitet. Wahrscheinlich ist es in Afrika von Schimpansen auf den Menschen übertragen worden. Dieser Sprung auf den Menschen ist mehrmals passiert, aber nur eines dieser Ereignisse hat zu der globalen Aids-Epidemie geführt, von der heute 40 Millionen Menschen betroffen sind."

    Aus dem genetischen Stammbaum des Aids-Virus lässt sich aber auch der Ur-Ur-Ahn der heute zirkulierenden Viren ableiten. Ein Virus, das in dieser Form nicht mehr existiert.

    "Dieses Ur-Virus unterscheidet sich weniger von allen heute zirkulierenden Aids-Viren als sich diese voneinander unterscheiden. Nehmen Sie ein beliebiges AIDS-Virus. Es ist – bildlich gesprochen - doppelt so weit von allen anderen Virus-Typen entfernt als von dem Ur-Virus."

    Das Ur-Virus ist ein Modell-Virus, von einem Computer errechnet. Bette Korbers Kollegen haben in einem Experiment die genetische Information des Modell-Virus benutzt und so im Labor Teile des Modell-Virus nachgebaut – zum Beispiel die Virus-Hülle.

    "Wenn Sie bei einem natürlichen Virus die Hülle entfernen und diesen Nachbau einsetzten, dann entsteht ein intaktes neues Virus. Es ist schwach, gerade einmal überlebensfähig. Aber alles funktioniert wie bei einem normalen Virus. Es kann sogar an Zellen andocken. Das Wichtigste aber ist: die Virus-Hülle ist immunogen. Das heißt: das Immunsystem erkennt die Hülle und wird aktiv – auch gegen andere Varianten des Aids-Virus. Und diese Reaktion fällt deutlich stärker aus als bei jedem natürlichen Virus-Typ."

    Als Aids-Impfstoff kommen vollständige lebende Viren nicht in Frage. Es wäre zu gefährlich, gesunde Menschen mit einem potentiell krank machenden Virus zu impfen.

    "Für den Impfstoff wählen wir nur einige wenige Eiweiße des Ur-Virus aus. Dazu gehören Bruchstücke der Virushülle sowie Eiweiße, die das Aids-Virus unbedingt für seine Vermehrung braucht. Das Immunsystem soll so lernen, möglichst viele verschiedene Aids-Viren zu erkennen, aber auch infizierte Zellen."

    Nach ersten Erfolg versprechenden Test an Mäusen soll der neuartige experimentelle Impfstoff jetzt an Affen getestet werden. Ein einziger Aids-Impfstoff für alle Menschen – das bleibt das Ziel für Bette Korber von den Los Alamos National Laboratories. Aber sie bleibt vorsichtig: Rückschläge sind für Aids-Forscher an der Tagesordnung – gerade wenn es um einen Impfstoff gegen Aids geht.