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Stegner zu Tarifeinheitsgesetz
"So hatten wir das 50 Jahre lang"

Bei dem neuen Tarifeinheitsgesetz gehe es der SPD "überhaupt nicht darum, das Streikrecht einzuschränken", sagte der stellvertretende Partei-Vorsitzende Ralf Stegner im Deutschlandfunk. Vielmehr solle bewirkt werden, dass Gewerkschaften sich nicht untereinander streiten. "Das hat Arbeitnehmern noch nie genutzt."

Ralf Stegner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.05.2015
    Ralf Stegner (SPD) sitzt bei einer Pressekonferenz vor vielen Mikrofonen und schaut in die Kamera.
    Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender (picture alliance / dpa/ Maja Hitij)
    Nur in den wenigen Fällen, in denen sich konkurrierende Gewerkschaften nicht auf einen Tarifvertrag einigen können, soll der Vertrag der größeren Gruppierung gelten, erklärte Stegner den Inhalt des neuen Tarifeinheitsgesetzes, das am 1. Juli in Kraft treten soll.
    "Es geht darum, dass wir nicht monatelangen Streit zwischen den Gewerkschaften haben. Das nutzt den Arbeitnehmern gar nichts." Schwache Gewerkschaften könnten nun mal häufig auch nur wenig erreichen, weswegen es wichtig sei, dass sich möglichst viele Mitglieder in derselben Gruppierung organisieren. "Wir wollen, dass die Gewerkschaften sich einigen." Innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen nutzten häufig in erster Linie nur den Arbeitgebern.
    Mit dem neuen Tarifeinheitsgesetz werde bloß eine fünf Jahre bestehende Gesetzeslücke geschlossen, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende. "Es war jahrzehntelang gelebte Praxis, dass es keine konkurrierenden Tarifverträge gibt." Den Vorwurf, die SPD wolle mit dem Gesetz das Streikrecht einschränken, wies Stegner zurück. "Sowas wäre mit uns nicht zu machen."

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Die Stoßrichtung war von Anfang an klar: Gesucht wurde ein Mittel gegen zu viele Streiks von kleinen, aber sehr mächtigen Gewerkschaften, und zwar schon lange bevor die Lokführer und die Bahn sich in ihrem scheinbar unlösbaren Konflikt verhakt haben. Herausgekommen ist ein Gesetz, das vor allem eines betont, das Prinzip der Tarifeinheit, und es diktiert: Wo immer sich zwei Gewerkschaften in einem Unternehmen nicht über ihre Forderungen einigen können, soll der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten, die dort die meisten Mitglieder hat. Ob diese Regeln vereinbar sind mit dem Grundrecht, Gewerkschaften zu gründen und Arbeitskämpfe zu führen, das wird wohl das Verfassungsgericht klären müssen. Die ersten Klagen sind angekündigt. Kritiker bezweifeln aber auch, ob das Gesetz überhaupt dazu taugt, die Macht der kleinen, aber mächtigen Gewerkschaften zu stutzen. Am Telefon ist Ralf Stegner, der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD. Schönen guten Morgen!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    Barenberg: Die SPD sagt ja, das Gesetz schränkt die Möglichkeiten einiger kleiner Gewerkschaften ein, aber es soll gleichzeitig dazu führen, die Arbeitnehmerrechte zu stärken. Wie passt das zusammen?
    Stegner: Na ja, es war jahrzehntelang gelebte Praxis in Deutschland, dass es keine konkurrierenden Tarifverträge innerhalb der Belegschaft gibt, also unabhängig von der Frage, in welcher Gewerkschaft man war, Elektriker, Lokomotivführer, Piloten, Krankenhausärzte, alle sollten dem gleichen Tarif... unterliegen. Das hatten wir, damit Arbeitskämpfe nicht zwischen der Belegschaft und den Arbeitgebern, die da ja geführt werden sollen, nicht in die Belegschaft hineingetragen werden. So hatten wir das 50 Jahre lang, und 2010 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es dafür keine ausreichende Gesetzesgrundlage gibt, für diese Praxis, also muss ein Gesetz gemacht werden, und das hat Andrea Nahles jetzt vorgelegt, dass das wieder regelt. Es war im Grunde eine Gesetzeslücke, seither haben die Gewerkschaften untereinander konkurriert, und wir haben noch nie gute Erfahrungen damit gemacht, wenn die Arbeitnehmer, statt geschlossen mit den Arbeitgebern zu verhandeln, untereinander streiten.
    Barenberg: Ich möchte mal versuchen, das an einem Beispiel festzumachen. Lokrangierführer sind Mitarbeiter bei der Bahn, für die die GdL sich in der derzeitigen Auseinandersetzung einsetzt. Wenn es der GdL jetzt gelingt, in Verhandlungen mit der Bahn bessere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen für Lokrangierführer zu erreichen, warum wollen Sie diese Möglichkeit für die Zukunft unterbinden? Schaden Sie damit nicht Arbeitnehmern?
    "Unser Ziel ist, dass Gewerkschaften sich möglichst einigen"
    Stegner: Nein. Ich will mich im Detail überhaupt nicht einmischen – das ist nicht Sache der Politik – in das Tarifgeschäft. Es gibt dort die große Eisenbahnergewerkschaft EVG, die GdL ist schon immer zuständig für die Lokführerinnen und Lokführer, dagegen habe ich nichts einzuwenden. Aber sie will eben jetzt gar nicht, und das ist ja der Kern, über die normalen Fragen höherer Lohn, bessere Vergütung von Überstunden und Wochenarbeitszeit verhandeln, das ist nicht das Thema, sondern sie will für Zugbegleiter, Servicepersonal und die anderen verhandeln, die in ihrer großen Mehrheit bei der EVG organisiert sind. Das ist eine innergewerkschaftliche Auseinandersetzung, die nutzt im Übrigen am Ende eher den Arbeitgebern. Und unser Ziel ist nicht, das zu verändern, sondern unser Ziel ist, dass Gewerkschaften sich möglichst einigen. Jeder kann in der Gewerkschaft sein, in der er will oder Tarifgemeinschaften gründen, nur in den ganz wenigen Fällen, wo sie das nicht tun können, gilt dann das Mehrheitsprinzip, und das Mehrheitsprinzip ist in einer Demokratie, wie ich finde, eine ja doch sehr bewährte Einrichtung. Und uns geht es, noch mal, überhaupt nicht darum, das Streikrecht einzuschränken. Das wäre ja auch kurios. Die SPD stimmt seit über 150 Jahren für starke Gewerkschaften und wissen, wie wichtig das Streikrecht ist. Das würde es mit uns niemals geben, dass wir nun ausgerechnet das Streikrecht einschränken würden. Das käme uns nicht in den Sinn.
    Barenberg: Was bringt ein Streik, wenn die streikende Gewerkschaft von vornherein sagen muss, dass das Ziel des Streikes gar nicht erreichbar ist, nämlich andere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und anderes mehr?
    Stegner: Ich glaube nicht, dass das Ziel nicht erreichbar ist, sondern ich glaube, dass Tarifeinheit eine gute Sache ist und dass man in Tarifgemeinschaft eine Menge erreichen kann. Das zeigt übrigens natürlich die Geschichte auch der Gewerkschaften, dass man mit starken Gewerkschaften, die viele Arbeitnehmer organisieren, übrigens auch in Streiks, die wehtun, die lange dauern, wo das schwierig ist, das durchzusetzen, dass man was erreichen kann. Und deswegen ist es uns damit zu tun, dass wir nicht eine Situation haben, wo wir Unfrieden in die Betriebe hineinbekommen. Am Ende nützt das den Arbeitnehmern gar nicht. Und Sie merken ja auch bei dem Streik, den wir jetzt hatten mehrmals hintereinander, dass allmählich der Rückhalt ja auch schwindet für so etwas, und das kann nicht im Interesse der Gewerkschaft und auch nicht im Interesse der Sozialdemokratie sein, denn wir stehen für gute Arbeit, wir wollen Mindestlöhne, wir wollen Tarifbindung und wir wollen auch wirksames Streikrecht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
    Barenberg: Lässt sich Tarifeinheit, lässt sich eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen konkurrierenden Gewerkschaften erzwingen und ist das vereinbar mit dem Grundgesetz?
    Stegner: Wir hatten das fünf Jahrzehnte, und das, was über viele Jahrzehnte funktioniert hat, warum soll das heute nicht mehr möglich sein? Im Grunde hatten wir nur dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, ihr müsst eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen, für eine gewisse Weile eine Gesetzeslücke. Die wird jetzt geschlossen. Ich akzeptiere natürlich auch, dass es da verfassungsrechtliche Zweifel gibt, dass es da andere Meinungen gibt. So ist das bei uns in der Demokratie und im Rechtsstaat. Das mag auch jeder dann beklagen, und am Ende wird das Bundesverfassungsgericht auch darüber vermutlich entscheiden. Aber warum soll das, was sich seit Jahrzehnten bewährt hat, jetzt nicht mehr funktionieren? Die Behauptung, wir wollten die Gewerkschaften schwächen oder wir wollten uns einseitig auf die Seite der Arbeitgeber stellen, die ist wirklich gegenüber der SPD absurd. Wir stehen für gute Arbeit und sind an der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das gilt immer.
    Barenberg: Auf der anderen Seite können wir doch auch festhalten: Das Gesetz, was jetzt beschlossen wurde, wird in Zukunft nicht Streiks von Piloten, Fluglotsen und Ärzten verhindern.
    Stegner: Das ist ja auch in Ordnung, weil wir gar nicht Streiks verhindern wollen, ich sagte das ja eben schon. Das ist Sache der Tarifpartner. Und es gehört eben auch manchmal wirklich dazu, die Anliegen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Streiks durchzusetzen. Das sind legitime Interessen. Es sei denn, ich ...
    Barenberg: Wozu dann das Gesetz, wenn es nicht Streiks unterbinden soll?
    "Kein Mensch will den Arbeitnehmern vorschreiben, in welche Gewerkschaft sie gehen sollen"
    Stegner: Nein, es geht darum, dass wir nicht monatelangen Streit unter Gewerkschaften haben, es nützt den Arbeitnehmern ja gar nichts, sondern dass wir eben eine Tarifeinheit haben, die dafür sorgt, dass starke Gewerkschaften, die viele Arbeitnehmer organisieren, sich auch durchsetzen können. Wir merken doch in all den Bereichen, wo die Gewerkschaften schwach sind, dass sie auch wenig erreichen können. Nehmen Sie mal das Beispiel im Altenheim, um mal ein Beispiel zu nehmen ... Altenpflegekräfte ... und da sind die nicht besonders gut organisiert, da ist es schwer, was durchzusetzen. Und deswegen sind starke Gewerkschaften, die viele Arbeitnehmer organisieren, wichtig, und Tarifgemeinschaften ja möglich zwischen verschiedenen Gewerkschaften. Kein Mensch will den Arbeitnehmern vorschreiben, in welche Gewerkschaft sie gehen sollen, sondern das entscheiden sie natürlich selbst. Aber dafür gibt es Tarifgemeinschaften. Und nur in den wenigen Fällen, wo sich Gewerkschaften untereinander nicht einigen können, soll die Mehrheit entscheiden. Das ist in der Demokratie ein gutes Prinzip.
    Barenberg: Die wenigen Fälle sind ja vielleicht die, die im Moment so viel Ärger hervorrufen und für Empörung sorgen, Beispiel Ärzte: Da gibt es keine Rivalität von Gewerkschaften, also haben Klinikärzte weiter die Möglichkeit, hat der Marburger Bund weiter die Möglichkeit, einen Klinikbetrieb lahmzulegen.
    Stegner: Noch mal: Es ist manchmal so, dass Arbeitnehmer, um ihre Interessen durchzusetzen, zum Streikrecht greifen müssen, das finde ich in Ordnung. Und jetzt geht es auch nicht darum, ob einen das jetzt stört oder nicht, das ist ja mehr oder weniger der Fall, je nachdem, um welchen Bereich es geht, sondern es geht darum, dass nicht Gewerkschaften untereinander sich streiten. Es hat noch nie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern genutzt, wenn man, statt die Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern zu führen, sich untereinander streitet. Das ist das, was wir sehen. Und insofern, glaube ich, gibt es da einen Regelungsbedarf, den, wie gesagt, das Bundesverfassungsgericht ja auch erst auf den Plan gerufen hat. Das klären wir jetzt, das haben wir vereinbart im Koalitionsvertrag, und dann wird sich ja finden, ob das verfassungskonform ist, wenn die anhängigen Klagen entschieden worden sind.
    Barenberg: Dass Wenige die Arbeit niederlegen, aber Hunderttausende teils unter Wochen darunter leiden, das ist ja auch ein Punkt in der Diskussion. Und jetzt schlägt beispielsweise Unionsfraktionsvize Michael Fuchs vor, da ranzugehen, indem man das Streikrecht tatsächlich selber verändert, beispielsweise durch Ankündigungsfristen oder die Pflicht, eine Vermittlung, eine Schlichtung, Gespräche zu führen, bevor man die Arbeit niederlegt. Gehen Sie da mit?
    Stegner: Nein, das ist ja nicht von dieser Welt, also ernsthaft zu glauben von der Union, die SPD wäre bereit, das Streikrecht in der Substanz einzuschränken. Das ist völlig absurd, das kommt überhaupt nicht infrage. Im Übrigen geht es unserem Land Deutschland ja doch deswegen gut, weil die, die den Wohlstand erwirtschaften, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gute Arbeit leisten. Wir sind über Jahrzehnte gut gefahren mit dem Streikrecht, das wir haben, und das muss es auch weiter geben können. Und da geht es nicht um Bequemlichkeit oder dass einen was stört oder nicht stört, sondern dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier legitim Interessen vertreten. Die SPD ist die Partei der guten Arbeit und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So was wäre mit uns niemals zu machen, dafür muss sich Herr Fuchs schon jemand anderes suchen, mit der SPD geht das nicht.
    Barenberg: Der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD heute hier live im Deutschlandfunk, danke für das Gespräch, Ralf Stegner!
    Stegner: Sehr gerne! Tschüss, Herr Barenberg!
    Barenberg: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.