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Steigende Flüchtlingszahlen
"Wir brauchen ein gerechteres Verteilsystem"

Die Verteilung von Flüchtlingen in Europa muss nach Größe und Finanzkraft der Zielländer vorgenommen werden, meint der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul. Gleichzeitig müssten Menschen ohne Asylgrund "entschlossen zurückgeführt" werden, sagte er im DLF.

Herbert Reul im Gespräch mit Reinhard Bieck | 24.04.2015
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Europaparlament, hält am 10.12.2014 eine Rede auf dem CDU-Bundesparteitag in Köln.
    Der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul während einer Rede in Köln (imago / Sven Simon)
    Christoph Heinemann: Mit einer Verdreifachung der Mittel für die Seenotrettung und mehr Schiffen reagiert die Europäische Union auf die jüngsten Bootsunglücke im Mittelmeer mit Hunderten toten Flüchtlingen. Damit stehen für die EU-Grenzschutzmissionen Triton und Poseidon monatlich rund neun Millionen Euro zur Verfügung. Das beschlossen die Staats- und Regierungschefs gestern bei einem Sondergipfel in Brüssel. Und darüber sprach mein Kollege Reinhard Bieck mit dem CDU-Europapolitiker Herbert Reul.
    Reinhard Bieck: Herr Reul, kommt dieser Sondergipfel nicht viel zu spät? Muss sich Europa unterlassene Hilfeleistung vorwerfen lassen?
    Herbert Reul: Es ist immer eine Frage, wann der Zeitpunkt der richtige ist. Das Problem ist eben kompliziert, und deswegen führen natürlich solche Ereignisse, wie sie jetzt da auf dem Meer zu sehen, zu erleben sind, dazu, dass Prozesse beschleunigt sind. Aber die Probleme sind natürlich seit Langem die alten. Die Mengen, die unterwegs sind an Menschen, haben sich erhöht und das erhöht den Druck.
    Bieck: Wir haben gerade gehört, dass einige EU-Länder verhältnismäßig viele Flüchtlinge aufnehmen, andere dagegen gar nicht. Deutschland gehört zu denen, die viele aufnehmen. Wie könnte man denn diese Verteilung gerechter machen?
    Reul: Das ist ganz schwer. Was heißt gerecht? Es gibt Länder, nehmen Sie mal Polen. Polen nimmt relativ viele Ukrainer auf, die aber in diesen Berechnungen gar nicht aufgezogen werden. Es gibt Länder, die sind dadurch stärker belastet, weil sie an den Grenzen liegen, an den Rändern liegen, wie die Italiener oder die Griechen. Von den Mengen, die da aufgenommen worden sind, sind es aber viel weniger als in Deutschland, obwohl wir weiter weg sind. Man kann sagen, das muss nach Kriterien gehen wie Größe des Landes oder nach Kriterien wie Finanzkraft eines Landes.
    Es ist nicht so ganz einfach, dafür den richtigen Maßstab zu finden, und ich glaube, einen großen Apparat aufzubauen, der nach Quoten dann über die Kommission das Ganze über Europa verteilt, ist möglicherweise auch wieder falsch, klingt dann zwar gerecht, aber ist ein Riesenaufwand. Vermutlich muss man irgendwas Praktikables dazwischen finden, dass die Länder, wo die Asylanten ankommen, zuerst zuständig sind und dass man dann, wenn man merkt, da ist ein Land überfordert, dass man dann einen Mechanismus organisiert, der quasi wie eine Quote sagt, dann wird weiterverteilt auf all die anderen. Das klingt immer alles so einfach, aber es ist leider irrsinnig kompliziert.
    "Nicht nur an einer Stelle arbeiten"
    Bieck: Bei dieser Quotenregelung, die Sie gerade angesprochen haben, da müssten dann ja auch Länder, ich sage mal, wie Bulgarien oder Rumänien mitmachen. Aber da kämen die Flüchtlinge wohl vom Regen in die Traufe, oder?
    Reul: Die wollen die nicht unbedingt haben. Das kann ich verstehen, weil die viele eigene Sorgen in ihren Ländern auch haben. Und umgekehrt wollen die Flüchtlinge da auch nicht hin. Die haben natürlich meistens auch bestimmte Absichten, in welches Land sie wollen. Ich glaube, bei all diesen Fragen müssen wir aufpassen, uns davor bewahren, dass wir glauben, es gäbe für dieses Problem irgendeine Sonderlösung oder eine absolute Lösung, mit der man das alles hinkriegt. Es wird ein Bündel von Maßnahmen sein, genauso wie die Quote allein es nicht ist, aber wir brauchen ein gerechteres Verteilsystem, genauso wie es die Frage, wir erhöhen die Seenotrettung, um den Menschen, die da in Not sind, zu helfen, das ist auch keine Lösung, weil das natürlich im Umkehrschluss auch wieder die Schlepper unterstützt, die damit sicher sein können, dass sie kurz nach Abfahrt von einem Schiff schon ihre Sorgen oder ihre Menschen, die sie transportieren, wieder loswerden. Genauso wie man sich kümmern muss um die Schlepper, und da finde ich, sind schon ein paar dieser Beschlüsse, die jetzt da gefasst worden sind, erfrischend konkret mal. Man muss aus diesen, sage ich mal, Punkteplänen wegkommen und muss zu ganz konkreten Maßnahmen kommen, und zwar mehrere, nicht nur eine. Da kann man auch nicht nur an einer Stelle arbeiten.
    Bieck: Sie haben gerade diese sogenannte Sogwirkung angesprochen. Es gibt ja Fachleute, die sagen, je sicherer der Seeweg wird, desto mehr Menschen werden die Flucht wagen. Das ist natürlich irgendwo eine vollkommen inhumane Logik.
    Reul: Ja, das stimmt!
    Bieck: Aber möglicherweise ist doch was dran, oder?
    Reul: Sie stimmt, und trotzdem kann man sie nicht zum Maßstab machen, weil es inhuman ist. Aber man muss es bedenken, damit man nicht glaubt, man müsse jetzt nur alle da aufsammeln und schon wäre das Problem gelöst. Im Übrigen, auch bei Quote, bei Seenotrettung, bei Zuwanderung ermöglichen müssen wir immer wissen: Die Mengen, die da unterwegs sind an Menschen, sind so gigantisch. Es geht ja nicht um 1.000, 10.000 oder 100.000, es geht ja um Millionen. Die sind überhaupt nicht alle aufzunehmen in Europa, egal wie schön und wie richtig und wie perfekt man verteilt.
    "Entschlossenes Zurückführen von Menschen ohne Asylbewerbergrund"
    Bieck: Wir beide sprechen jetzt über die große europäische Ebene. Dann kommt ja die nationalstaatliche, danach die einzelnen Bundesländer, schließlich die Städte und Gemeinden und am Ende haben dann die Anwohner der XY-Straße in AB-Stadt 40 neue Nachbarn aus Syrien. Haben Sie Verständnis dafür, dass sich manche davon überfordert fühlen?
    Reul: Nachvollziehen kann man die Sorge. Das kommt aber auch wieder ganz darauf an, welche Leute kommen. Wie integriert man diese Menschen? Wie kümmert sich die heimische Bevölkerung darum? Welche Menschen kommen? - Ich glaube zum Beispiel, dass es in Deutschland eine relativ große Bereitschaft gibt, den Kriegsflüchtlingen - Sie haben Syrien genannt - zum Beispiel aus dem syrischen Raum zu helfen. Da hat jeder das Gefühl, das muss sein. Aber es gibt Unruhe, wenn man sagt, da kommen welche aus osteuropäischen Ländern, die eigentlich gar zumindest keine lebensbedrohenden Probleme zuhause haben. Da müssen wir genauso konkret sagen, dann müssen wir die auch wieder zurückschicken. Dieses Helfen an der einen Seite, dem muss auch gegenüberstehen ein entschlossenes Zurückführen von Menschen, die gar keinen Asylbewerbergrund haben.
    Heinemann: Herbert Reul (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments. Die Fragen stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.