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Steigende Löhne in Tschechien und der Slowakei

Nach der letzten EU-Erweiterungsrunde im Mai 2004 verschwanden immer mehr Arbeitsplätze in Richtung Osten: Innerhalb kurzer Zeit sind Tschechien und die Slowakei zu den größten Automobil-Produzenten in Europa aufgestiegen. Vor allem die geringen Lohnkosten üben eine unglaubliche Anziehungskraft auf die Autoindustrie aus. In den letzten Jahren aber sind an den neuen Standorten die Gehälter in der Branche um satte 30 Prozent gestiegen. Über die Gründe und die aufziehenden Globalisierungsängste in Tschechien und der Slowakei berichtet Kilian Kirchgeßner.

27.12.2006
    Wieder einmal wird gebaut in Mlada Boleslav. Das historische Zentrum der 43.000-Einwohner-Stadt in Böhmen präsentiert sich herausgeputzt, die mächtige Befestigungsanlage und die kleinen Häuser sind fast komplett renoviert. Den Menschen hier geht es gut. Das hat vor allem mit der Firma Skoda zu tun. Der tschechische Autohersteller hat in Mlada Boleslav seine Zentrale. Er zählt zu den größten Arbeitgebern im ganzen Land und bringt Wohlstand in die böhmische Region. Die Tochterfirma des deutschen VW-Konzerns wächst von Jahr zu Jahr, unter jungen Tschechen gilt sie als Traumarbeitgeber.

    "Wenn ich dort eine Stelle angeboten bekäme, dann könnte ich dazu nicht Nein sagen, erklärt Jana Plevova, eine 20-jährige Studentin. Mir würde ein Posten im Verkauf oder im Marketing am besten gefallen."

    Schlecht stehen die Chancen nicht für Jana Plevova. Sie studiert an der Skoda-Universität, einer unternehmenseigenen Hochschule. In ganz Europa ist die kleine Einrichtung mit ihren knapp 600 Studenten einzigartig, kein anderer Autohersteller leistet sich eine offiziell akkreditierte Universität. Hinter der millionenschweren Bildungsinvestition steckt indes handfestes Kalkül, sagt die Prorektorin der Auto-Hochschule, Miroslava Nigrinova.

    "Wir sind der Praxis im Unternehmen sehr nahe, sei es bei der Produktion, der Entwicklung oder in der Buchprüfung. Damit sind die Absolventen gut vorbereitet auf ihren Einsatz nach dem Studium. Für Skoda ist die Hochschule ein Instrument, um talentierte Studenten anzulocken und für eine passende Stelle im Unternehmen zu motivieren."

    Um gute Mitarbeiter ist unter den Autoherstellern eine regelrechte Schlacht entbrannt. In Tschechien und der Slowakei haben inzwischen so viele Firmen aus dieser Branche investiert, dass der Arbeitsmarkt beinahe leer gefegt ist. Außer Skoda haben Toyota, Peugeot, Citroen, Hyundai, Kia und Volkswagen jeweils eigene Werke in den beiden Ländern. Um ihre Standorte herum scharen sich dutzende Zuliefer-Betriebe - und alle suchen qualifizierte Mitarbeiter. Den Arbeitern haben sie damit eine neue Perspektive eröffnet, sagt Emil Machina, Vorsitzender der slowakischen Metaller-Gewerkschaft.

    "Die Slowakei war ein Industriestaat, vor allem die Rüstungsindustrie ist hier stark gewesen. Nach der Wende war damit von einem Tag auf den anderen Schluss, das hat allein in Bratislava mehr als 100.000 Arbeitsplätze gekostet. Die qualifizierten Leute für die Automobilbranche waren also von Anfang an da. Durch den großen Bedarf werden die Kosten der Arbeit jetzt höher und auch die durchschnittlichen Löhne steigen."

    Wer in der Autobranche arbeitet, gehört in der Slowakei zu den Spitzenverdienern. Bei 32.000 Kronen liegt nach Gewerkschafts-Angaben das durchschnittliche Gehalt im Bratislavaer VW-Werk. Das sind etwa 900 Euro im Monat - gut 50 Prozent mehr als der slowakische Durchschnittslohn. Das Wachstum in der Branche hat aber auch seine Kehrseite, sagt Emil Machina.

    "Es ist nicht so, dass hier das Paradies auf Erden wäre. In der Slowakei gibt es eines der liberalsten Arbeitsgesetze überhaupt, die Leute haben befristete Verträge und werden gezwungen, als selbständige Unternehmer zu agieren. Damit können die Firmen bei den Sozialabgaben viel Geld sparen. Wichtig ist deshalb eine Änderung des Arbeitsrechts. Dafür setzen wir uns derzeit vehement ein."

    Der Kampf um bessere Bedingungen für die Mitarbeiter fällt in eine schwierige Zeit. Nach langen Jahren des ununterbrochenen Wirtschaftswachstums machen sich auch Tschechen und Slowaken jetzt ihre Gedanken über die Globalisierung. Der Anlass dafür ist ganz aktuell: Die ersten Unternehmen ziehen bereits weiter in Richtung Osten, weil in den neuen EU-Ländern die Löhne ständig steigen. Bald, fürchtet Emil Machina von der slowakischen Metaller-Gewerkschaft, ist vielleicht auch die Konjunktur der Automobilindustrie vorbei.

    "80 Prozent der Menschen auf der ganzen Welt haben einen niedrigeren Mindestlohn als wir hier in der Slowakei. Auch mit denen müssen wir um die Arbeitsplätze konkurrieren, das ist ganz klar. Wie gut uns das gelingt, ist letztlich für die ganze Slowakei von Bedeutung. Allein das Volkswagen-Werk nämlich macht mehr als zehn Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts aus - wenn die auch nur einen Teil der Produktion ins Ausland verlagern, schlägt sich das gleich auf die Handelsbilanz der ganzen Slowakei nieder."