Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Steilvorlage

Während andere Menschen hilflos erstarren, werden Sie aufgefordert, doch mal einen Schwank aus ihrem Leben zu erzählen, dürfte diese Offerte für Michael Tetzlaff eine Steilvorlage sein. Schließlich besteht sein Buch über das Leben in der DDR aus einer Aneinanderreihung von Schwänken aus seiner Kindheit. Einige der Texte, die jetzt unter dem Titel Ostblöckchen. Neues aus der Zone erschienen sind, waren schon als Kolumnen in der Frankfurter Rundschau zu lesen, wo Tetzlaff als Blattmacher im Feuilleton arbeitet.

Von Shirin Sojitrawalla | 18.08.2004
    Im Grunde genommen gibt es ja gar keinen Bedarf mehr an Büchern über Kindheiten in der ehemaligen DDR, doch Tetzlaff unterscheidet sich in seiner Art des Erinnerns. Während andere Autoren seiner Generation sich wehmütig und genau ihre Kindheit in der DDR vergegenwärtigen wie etwa Jana Hensel in "Zonenkinder" oder Claudia Rusch in "Meine freie deutsche Jugend" nimmt Tetzlaff sich selbst und das Leben gar nicht so wichtig und produziert einen wahren Anekdotenstadel aus der Zone, sodass man unwillkürlich denkt: Mensch, so eine Kindheit in der DDR, die war bestimmt lustig.

    Meine Kindheit war, glaube ich, eigentlich wie jede Kindheit ziemlich banal und langweilig und ich glaube, für ein Kind ist das relativ, also relativ egal, ob es in der DDR groß geworden ist oder im Westteil. Ich glaub, die Erlebnisse sind die gleichen, die Gefühle, ob das nun Weihnachten ist, was ich zum Beispiel beschreibe oder sonstiges. So, wie ich es da geschrieben habe, war es natürlich nicht. Das ist schon streng übertrieben.

    Streng übertrieben ist maßlos untertrieben für die münchhausenhafte Fabulierlust, die in den Geschichten zum Tragen kommt. Tetzlaff schreibt nicht, wie es war, sondern wie es sich anfühlte; da dauert die Zugfahrt in die Sowjetunion dann eben etwa 190 Stunden und die Leute dort geben 37 Stück Zucker in ein Glas Tee. Sein Buch vereinigt in erster Linie hübsche Schoten, die zwar keinen Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben, aber trotzdem von ihrem hohen Wiedererkennungseffekt profitieren.Mit einem schelmischen Dauergrinsen im Gesicht erzählt Tetzlaff den Osten sympathisch großmäulig aus der Kindskopfperspektive, so dass sich im Buch schnell eine Schunkelatmosphäre breit macht, die sich die Laune aber auch durch gar nichts verderben lassen möchte. In einer der witzigsten Stellen des Buches zitiert Tetzlaff etwa einen Brief aus der Feder seiner russischen Brieffreundin Nina.

    Dort bellst du? Hast du die Maschine schon gegessen? Meine Eltern sind Friseure. Sie gehen jeden Tag baden und lachen. Wir haben hier schöne Wurst, fast jeden Tag. Meine Birne ist drei Jahre jünger als ich. Sie pflegt. Kannst Du Zäunchen Stahl? Dem ist ein schöner Kindergeburtstag
    hier im Sojus. In der Bäckerei üben wir sitzen. Willst Du sein?

    Hergestellte Grüße
    Dich Ninotschka


    Natürlich ist dieser Brief erstunken und erlogen, aber deswegen auch umso kabaretttauglicher. Nicht immer geht es in dem Buch allerdings so munter zu. Der Alltag in der DDR war auch für die Kleinen nicht immer leicht. Die real existierenden Westbesuche, von denen man dachte, sie seien die wahre Freude, waren, möchte man Tetzlaff glauben, die Hölle auf Erden. Warum eigentlich?

    Ja, die sind dann einmal im Jahr zu uns gekommen und haben uns belagert und saßen die ganze Zeit in der Wohnung und haben wirklich nur Krach gemacht und Bier gesoffen und die Wohnung voll geraucht und unmögliche Sachen erzählt. Es war wirklich wie so eine Belagerung wie, die keine Ahnung, wie die spanische Inquisition. Es war einfach furchtbar langweilig und furchtbar anstrengend und die Sachen, vielleicht bin ich da ungerecht, aber die Sachen wusste ich irgendwie nie zu schätzen. Also Jeans aus dem Westen habe ich natürlich bekommen und den ganzen Quatsch, aber, tja, ich wäre wahrscheinlich auch ohne die Jeans groß geworden. Das war nie irgendwie ein Statussymbol zum Beispiel, wenn man das hatte, zumindest für mich nicht. Deswegen, also die hätten ihr Zeug behalten sollen und in Frankfurt bleiben sollen.

    Doch nicht nur der Westbesuch, sondern auch Intershop, LPG, 1. Mai und die Sero-Annahmestelle bringt der Autor in seinem Buch unter. Dabei hält er sich aber beim in vergleichbaren Werken bis zur Erschöpfung praktizierten namedropping von Marken und Sonderlichkeiten aus dem DDR-Alltag wohltuend zurück. Ja, recht eigentlich kommt in dem Band viel weniger Osten vor, als der Titel verspricht. Tetzlaff belässt es bei ein bisschen Lokalkolorit. Dabei ist auffallend, wie unsentimental und ungerührt er seine Kinderzeit Revue passieren lässt, was auch daran liegt, dass ihn der Blick zurück nicht schmerzt. Während Claudia Rusch etwa in ihrem Buch das Gefühl beschreibt, ausgeschlossen von der Welt und im Osten inhaftiert und vergessen zu sein, kann Tetzlaff nichts von derartigen Erfahrungen berichten.

    Also ich war ja 17 als die Wende dann kam oder wie auch immer man das nennen möchte, als die Mauer fiel. Und ich glaub als Siebzehnjähriger oder alles was davor ist fühlt man sich noch nicht wirklich so eingeengt, dass man jetzt nicht Nietzsche lesen kann oder nach Amerika fahren kann oder was weiß ich. Das ist einem dann relativ egal. Also ich glaub', was dann wichtig ist oder für mich zumindest wichtig war, waren die Freunde. Da fühlte ich mich eigentlich überhaupt gar nicht eingeengt und es gab schon dann Situationen gerade zum Ende hin, wo man schon mal durch die Straßen gerannt ist und Scheiß-Kommunisten gebrüllt hat, aber das war glaube ich eher unbewusst.

    Es ist dieser harmlos versöhnliche Ton, der von den überspitzten, satirischen Erinnerungen im Gedächtnis haften bleibt. Der Einwand, er verhöhne mit seinen sonnigen Erinnerungen womöglich die Opfer der SED-Diktatur, ficht ihn nicht an. Er mache sich ja nicht über die Schattenseiten des Regimes lustig, wie er sagt. Das stimmt schon deswegen, weil die Schattenseiten bei ihm erst gar nicht vorkommen. Mit seiner naiven Beobachtungsgabe und kindlichen Erzählweise nimmt
    Tetzlaff vielmehr dem Leben insgesamt den Ernst. Ihm geht es nicht um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, sondern um einen parodistisch flapsigen Blick auf eine verschwundene Welt. Wahnsinnig gerne schreiben tut er nach eigenen Aussagen ohnehin nicht. Sein Buch lässt er mit der Wende enden, die bei ihm Oma Lisbeth erfunden hat, weil es ihr zu bunt wurde. Für den Autor war die Wende auch das Ende der eigenen Kindheit. Und wie sieht er selbst das heutige Deutschland?

    Ich glaub nicht, dass da irgendwas zusammengewachsen ist. Ich glaub auch nicht, dass da irgendwas zusammenwachsen will. Es soll vielleicht, aber ich glaube, es will nicht, weil, ich weiß es nicht. Die Diskussion, wer war das, Helmut Schmidt, der gesagt hat, dass die Rentner im Osten nicht so jammern sollten. Dann sind die Rentner im Osten beleidigt, dann ist Helmut Schmidt beleidigt, und das geht glaube ich so hin und her. Ich weiß nicht, ob es jemals ein Zusammenwachsen gibt.

    Michael Tetzlaff
    Ostblöckchen. Neues aus der Zone
    Schöffling Verlag, 159 S., EUR 14,90