Donnerstag, 25. April 2024

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Steinbichlers Kinofilm
Anne Frank ohne Mythos

Das Tagebuch von Anne Frank für eine junge Generation zugänglich zu machen, das war die Absicht der ersten deutschen Kinoproduktion des Stoffs, der nun in die Kinos kommt. Darin wird Anne als "ein sehr kluges, normales Mädchen" gezeigt, so Steinbichler im Corsogespräch.

Hans Steinbichler im Gespräch mit Sigrid Fischer | 01.03.2016
    Faksimile des Tagebuchs der Anne Frank, herausgegeben vom Anne-Frank-Museum in Amsterdam
    Faksimile des Tagebuchs der Anne Frank, herausgegeben vom Anne-Frank-Museum in Amsterdam (picture-alliance / dpa / Ade Johnson)
    Sigrid Fischer: Bei einer so bekannten, historisch verbürgten und tragischen Geschichte wie der von Anne Frank, die auch schon mehrfach verfilmt wurde, wieweit kann man sich da in neue Blickwinkel vorwagen, denn Sie wählen ja einen etwas anderen Zugang, Sie zeigen Anne Frank als pubertierenden Teenager, Sie zeigen das Coming of Age eines Mädchens.
    Hans Steinbichler: Interessanterweise ist es gerade bei einem Stoff wie Anne Frank so, dass ich das Gefühl hab, dass man sich da die meisten Freiheiten nehmen kann. Wenn jeder schon so gut Bescheid weiß über etwas, jeder hat ein Gefühl, eine Empfindung, jeder weiß, wie er seine Anne sehen will, genau da kommt man mit einer Haltung dann dazu, frei zu sein. Die Freiheit konnte ich mir deshalb nehmen, weil nämlich die Lesart des Buches für mein Gefühl bisher war, dass wir es mit einer leicht genialischen, Mutter-Teresa-mäßigen Ikone zu tun hatten. Diesen Mythos streift das Tagebuch aber wunderbar ab. Und siehe da, es kommt ein sehr kluges, normales Mädchen raus, das über Dinge spricht und schreibt, die eigentlich jeden angehen: der Streit und die Konflikte mit den Eltern, die erwachende Sexualität, das sich verlieben wollen, wie man in der Welt steht, diese ganzen Gedanken. Ich hab mich wirklich fast nur auf das beschränkt. Und daraus aber eben sehr viel genommen.
    Fischer: Und damit hatte der Anne Frank Fonds Basel, der den Nachlass verwaltet und mitredet bei so einer Verfilmung, kein Problem?
    Steinbichler: Der Anne Frank Fonds Basel hat ja die Rechte an die Produzenten gegeben, und so konnten wir diesen Film machen. Aber die interessanteste Erfahrung, die ich mit diesem Fonds hatte, war die, dass die selbst Anne Frank von diesem Mythos entladen wollen. Dass ihnen wichtig ist, dass dieses Dokument gelesen wird, was ja heute nicht mehr so oft passiert, weil die Kinder weniger lesen und die Jugendlichen, und dass man Anne Frank wieder auf den Teppich holt. Dass man sie auf Augenhöhe anschauen kann. Und insofern – das hab ich ja bei Ihrer Frage gespürt – gab es überhaupt nichts Zensorisches. Es gab zum Beispiel auch die Szene, wo sie mit Peter im Bett liegt und die so knutschen. Und dann ist ja die Kamera so, dass Annes Bein über den Jungen geht und man die Strumpfbänder sieht. Anne Frank in Strapsen sozusagen, das gibt’s natürlich nicht im Denken der Menschen. Ich habe aber diese Bilder so verteidigt, weil ich sagte, das war ein Mädchen. Sie hat es so gelebt, wir haben es so beschrieben. Was die in ihrem Tagebuch da schreibt, das ist ja nur eine Andeutung dessen, was wir da sehen. Und darüber haben wir schon diskutiert. Aber das Tolle war, der Anne Frank Fonds hat sich da total rausgenommen. Sie wollten wissen, warum? Und wir haben gerungen. Aber er hat dann gesagt: Verstehen wir.
    "Ich habe immer die Täterperspektive gehabt"
    Fischer: Hans Steinbichler, Ihr Film ist die erste deutsche Kinoproduktion des Stoffes, Sie haben auch in deutscher Sprache gedreht. Ist die deutsche Perspektive vielleicht sowieso eine etwas andere als die internationale?
    Steinbichler: Ich fand, gerade die Aufgabe, als deutscher Regisseur den Anne-Frank-Stoff zu drehen, das war die Entscheidung des Fonds, fand ich natürlich sehr stark, weil im Grunde muss man doch darin eine Aufgabe sehen. Es ist, glaube ich, leichter als Engländer oder Amerikaner diesen Film zu drehen, weil man eine andere Perspektive hat. Ich habe immer die Täterperspektive gehabt. Das klingt so komisch, aber ich komme nun mal aus einem Volk, das das Tätervolk ist. Ich kann das nicht abstreifen, ich weiß es über meine Eltern, meine Großeltern, ich kann es nicht abstreifen, ich habe immer auf Anne Frank gesehen mit dem Blick dessen, der sich als Deutscher fühlt und das im Grunde auch - hergeleitet zumindest - getan hat.
    Fischer: Die Täterperspektive einnehmen wird uns Deutschen in der Flüchtlingskrise gerade vom Ausland vorgeworfen. Weil wir uns immer noch schuldig fühlten, ließen wir so viele Flüchtlinge ins Land, heißt es da. Wie ist Ihre Haltung zur Vergangenheitsbewältigung in Deutschland?
    Steinbichler: Ich habe natürlich das Gefühl, dass viele Leute sagen, jetzt lasst uns mal in Ruhe damit. Und die eine theoretische Grenze ziehen und sagen, wir haben uns jetzt mit Sicherheit 40 bis 50 Jahre intensivst damit beschäftigt. In der Schule, Sozialkundeunterricht und so. Große Intensität. Aber der Witz ist: Es hört nicht auf. Der Beweis ist doch die Lage unseres Landes. Wenn das so gefruchtet hätte, wenn das, worauf sich alle berufen und sagen, wir haben doch jetzt genug davon, wenn es gefruchtet hätte, dann hätten wir ja die Situation nicht. Ich fürchte, man muss leider dann nerven mit so einem Film, und weitermachen, und mir war aber wichtig, dass ich nicht rüber käme als jemand, der den Zeigefinger hebt. Sondern ich zeige dieses Mädchen, und wenn zum Beispiel eine 13-jährige Muslima aus Neukölln darein geschleppt wird von der Schule, die braucht nur das Empfinden für ein Mädchen in ihrem Alter, sie soll mitempfinden und sagen, ob sie das in Ordnung findet, was da passiert, oder nicht.
    Fischer: Es gibt schon Fernsehfassungen von Anne Frank, dies ist ein Kinofilm, Sie drehen aber auch manchmal fürs Fernsehen, Hans Steinbichler. Machen Sie da eigentlich an irgendeinem Punkt Ihrer jeweiligen Arbeit einen Unterschied?
    Steinbichler: Merkwürdigerweise überhaupt nicht. Für mich gibt es keine Unterscheidung zwischen Kino und Fernsehen in meinem Angang. Aber für mich ist es ein Riesenunterschied in der Wahrnehmung. Ganz ernsthaft, das meine ich aber nicht böse, weil ich das selber kenne, sehr viele deutsche Kinofilme sollten nicht im Kino sein. Und zwar nicht, weil sie schlecht wären, sondern weil sie nicht für‘s Kino gemacht sind. Weil es Fernsehfilme sind.
    Fischer: Sie schaffen es ja, dem viel kritisierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen um 20.15 Uhr eine inszenatorische Qualität unterzujubeln, die man da selten findet. Ich denke zum Beispiel an Ihren Film "Landauer" mit Josef Bierbichler als früherer Präsident des FC Bayern. Wie gelingt Ihnen das, vom Primetimemuster abzuweichen?
    Steinbichler: Das ist echt eine interessante Frage. Es ist halt so, ich mache nur einen Film pro Jahr, weil ich gar nicht mehr schaffe vom Kopf her. Und das Tolle ist, es gibt eben in Deutschland doch einige Leute, wenn man sich mit denen intensiv beschäftigt, die lassen das dann irgendwann zu. Gute Redakteure, gute Förderung, gute Produzenten, sowas gibt’s. Man muss aber halt sehr nerven.
    Fischer: Das heißt, Ihre Drehbücher gehen da nicht glatt durch.
    Steinbichler: Nee, das geht eben nicht glatt durch, es ist oft schwierig. Und ich hab oft Zerwürfnisse deswegen und ich bin auch gar nicht glücklich über die. Der Witz ist, ich komme nur drüber hinweg, weil ich an das Ergebnis komme. Und mit mir leiden natürlich auch viele, weil man sich wahnsinnig knallt mit Autoren zum Beispiel, mit Produzenten, die dann doch was anderes erwarten. Aber es geht nur mit starken Verbündeten, die man in monatelanger Arbeit manchmal von was überzeugt, was sie einfach nicht wollen oder nicht denken. Aber das geht, aber es ist anstrengend, ehrlich.
    "Ich verstehe gar nicht die Flucht in die Serie"
    Fischer: Das fragt man im Moment jeden Filmemacher: Stehen Sie auch schon mit einem Fuß im Seriengeschäft und mit Streamingdiensten in Verhandlungen? Die werden ja immer wichtiger als Produzenten.
    Steinbichler: Ich glaube, dass das innerhalb von zwei Jahren so große Player wurden, dass dieser Druck einfach was macht. Ich glaube, dass das riesen Sachen öffnet, die dem Fernsehen guttun. Ich find’s nur etwas komisch, dass jetzt plötzlich alle eine Serie machen wollen. Wir könnten doch auch vernünftige Filme machen, das wär auch okay. Ich verstehe gar nicht die Flucht in die Serie, weil 90 Minuten gut zu erzählen und so, dass man wirklich mal sagen kann, okay, das hat sich gelohnt, man nimmt was mit und so, das ist ja extrem schwierig. Ich warne bloß davor, dass man alles über Bord kippt - wir sind doch eh so weit hinterher. Jetzt müssen wir doch erstmal eine liefern, wo man sagt: Ja, die ist richtig toll.
    Fischer: Vielleicht wird "Berlin Babylon" von Tom Tykwer diese Serie sein.
    Steinbichler: Naja, die fangen jetzt an, die drehen 200 Tage, dann muss es 2017 irgendwann fertig sein, dann darf es erst Sky senden. Können Sie sich vorstellen, wann Sie die erste deutsche Serie sehen? 2018. Das ist schon krass.