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Religionsfreiheit in der Türkei
Kirchenneubau in Istanbul

Es ist der erste Neubau einer christlichen Kirche in Istanbul: Die syrisch-orthodoxe Gemeinde in Istanbul bekommt ein neues Gotteshaus. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war bei der Grundsteinlegung dabei - ein demonstratives Bekenntnis zur Religionsfreiheit - zumindest teilweise.

Von Katrin Kleinbrahm | 11.09.2019
Die syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul bekommen eine neue Kirche, hier ein Modell.
Die syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul bekommen eine neue Kirche, hier ein Modell. (ARD/Katrin Kleinbrahm)
Die Bodenplatte ist fertig und dort, wo später die Säulen und Wände stehen werden, ragen Bewehrungsstäbe aus Stahl nach oben.
Was hier auf 700 Quadratmetern entsteht, ist alles andere als gewöhnlich: Im Istanbuler Stadtteil Yeşilköy wird eine neue Kirche gebaut – die erste in der Geschichte der modernen Türkei. Die Grundsteinlegung Anfang August war ein Großereignis – und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan warf persönlich den Betonmischer mit an:
"Ist der Betonmischer bereit? Er ist bereit." Beton fließt.
Der Metropolit der syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul und Ankara, Yusuf Cetin, zeigte davon sehr bewegt. Das erste Mal in ihrer 2000-jährigen Geschichte hätte die Gemeinschaft eine solche Geste erfahren.
Er sagte: "Erstmals hat ein Staatsoberhaupt den Spatenstich einer unserer Kirchen vorgenommen."
Der Priester erhebt Einspruch
In Istanbul leben inzwischen rund 17.000 syrisch-orthodoxe Christen – türkeiweit sind es nur ein paar tausend mehr. Offiziell sind sie eine nicht von der Türkei anerkannte christliche Minderheit. Die Gemeinde hat zwar eine Kirche im Bezirk Beyoğlu – aber die ist deutlich zu klein. Deswegen weichen die Christen leihweise auf einige andere Kirchen im Stadtgebiet aus. Nicht ohne Probleme, erzählt Sait Susin, der Vorsitzende der Gemeinde:
"Wir haben Platz- und Zeitmangel. Zum Beispiel wird uns die katholische Kirche in Yeşilköy nur von 11.00 bis 13.00 Uhr zur Verfügung gestellt. Und sie ist auch zu klein für unsere Gemeinde; die schwappt vom Kirchenhof bis auf die Straße."
Vor zehn Jahren trat die Gemeinschaft erstmals mit dem Wunsch nach einer neuen Kirche an Erdoğan heran, damals noch türkischer Ministerpräsident. Und bekam Zustimmung: Die Stadt Istanbul sollte ihr ein Grundstück für den Neubau zuweisen. Das fand sich im Stadtteil Yeşilköy: Eine Freifläche, auf der sich auch eine kleine Kapelle und ein stillgelegter Friedhof der katholischen Kirche befindet – und damit fingen die Probleme an. Denn obwohl das Grundstück vor Jahrzehnten an die Stadt Istanbul übergegangen war, erhob der Priester der benachbarten katholischen Kirche Einspruch.
"Der Denkmalschutz hat unser Projekt 2015 genehmigt. Zur ungefähr selben Zeit zog die katholische Gemeinde vor Gericht, bis eine einstweilige Verfügung verhängt wurde. Wir wandten uns zweimal an den Vatikan. Der türkische Außenminister hat sich eingeschaltet. Kontaktiert wurde auch der Botschafter des Vatikan in Ankara. Wir haben dann eine Spende vorgenommen und die katholische Kirche hat uns ihren Segen gegeben."
Bauzeit hängt von der Menge der Spenden ab
Das Gerichtsverfahren läuft allerdings immer noch – und je nachdem, wie es ausgeht, könnte eine weitere Summe an die katholische Kirche fällig werden. Vermutlich ein ganz schöner Batzen für die Gemeinde, die den Kirchenneubau aus Spenden ihrer Mitglieder finanziert – und eben so schnell baut, wie es das Budget hergibt.
"Der türkischen Wirtschaft geht‘s dieser Tage leider nicht gut. Die Bauzeit hängt also auch ein bisschen von der Menge der Spenden ab."
Wenn’s gut läuft, ist die neue Kirche in Yeşilköy in zwei Jahren fertig. Er sei glücklich und aufgeregt, sagt Susin, als wir vor dem beleuchteten Modell der Kirche stehen. Ein gelber Sandsteinbau. Traditionelle Elemente der alten syrisch-orthodoxen mit Türmchen und einer Dachterrasse sind kombiniert mit moderneren, katholischen Elementen wie zum Beispiel Spitzbögen. Das mit Abstand Modernste der neuen Kirche dürfte jedoch das Untergeschoss werden – hier entsteht eine Tiefgarage für die Gläubigen.
Was die Unterstützung der türkischen Behörden angeht, hört man von dem Gemeinde-Vorsitzenden nur Lob. Vor allem sei es eine große Hilfe, dass die Stadt das Grundstück für die Kirche kostenlos zur Verfügung stelle.
Religiöse Minderheiten in der Türkei hatten es in der Geschichte oft schwer. Zum Beispiel wurden Christen im Südosten der Türkei, wo auch die syrisch-orthodoxe Gemeinde ihren Ursprung hat, eingeschränkt und unterdrückt – unter anderem wurden ihre Schulen geschlossen und Klöster enteignet. Manches davon wurde inzwischen wieder rückgängig gemacht – aber nicht alles.
Gemeindechef Susin sieht in puncto Religionsfreiheit einen Aufschwung, seit Erdogans AKP 2002 in der Türkei in die Regierung kam.
"So tolerant wie seit 17 Jahren waren die Umstände noch nie. Insbesondere das 2008 reformierte Stiftungsrecht ist regelrecht ein Rettungsring für die Minderheiten geworden. Früher musste man fünfzig Behörden anschreiben, wenn man zum Beispiel eine Kirche restaurieren wollte."
Der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für Freiheit in Istanbul, Hans-Georg Fleck, bestätigt, dass die Religionsfreiheit mit der AKP gewachsen sei. Das bedeute aber nicht, dass die Minderheiten gleichberechtigt wären mit der muslimischen Mehrheit in der Türkei. Zum Beispiel in Sachen Geld:
"Wenn man sieht, wie sehr über das Religionsministerium Diyanet die muslimische Glaubensgemeinschaft vom Staat finanziert wird – und das war auch in kemalistischen Zeiten schon so – dann ist da, ich sag mal: sehr viel Spielraum nach oben."