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Steinbrück wirft Nokia "Karawanen-Kapitalismus" vor

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat dem finnischen Nokia-Konzern mangelnde gesellschaftspolitische Verantwortung vorgeworfen. Mit der angekündigten Schließung des Bochumer Werks untergrabe das Unternehmen das Vertrauen der Menschen in die soziale Marktwirtschaft, sagte Steinbrück. Der SPD-Politiker sprach von einem "Karawanen-Kapitalismus", mit dem Nokia sein Image erheblich schädige.

Moderation: Jochen Spengler | 18.01.2008
    Jochen Spengler: In Bochum kommen heute Vertreter von Stadt, Land und Gewerkschaften an einem "Runden Tisch" zusammen, um über den Erhalt von Nokia-Arbeitsplätzen und die Suche nach Ersatzstellen zu beraten. Das Handy-Unternehmen Nokia will seine Handy-Produktion in Deutschland einstellen, bis Mitte des Jahres den Standort Bochum schließen und die Produktion nach Rumänien und Ungarn verlagern. Insgesamt 4300 Mitarbeiter stünden dann auf der Straße. Über einen Sozialplan soll kommende Woche verhandelt werden. Die IG Metall hat zu einer Protestkundgebung aufgerufen. Heute Nacht gab es eine Mahnwache vor dem Werkstor. Stimmen aus Bochum:

    "Man kann das immer noch nicht realisieren. Wir sind eigentlich noch in einem Zustand, wo man einfach sagt "bin ich im Traum". Man ist einfach noch nicht real."

    "Na ja, die sind doch bereit zu verhandeln. An irgendetwas klammert man sich dann. Das ist halt so. Und wenn es das kleinste Grashälmchen ist, an was man sich klammert."

    "Schlimmer kann's nicht mehr werden. Es kann nur noch besser werden und das ist nur zu erreichen mit konsequenter Arbeitsniederlegung. Aus diesem Werk darf kein Handy mehr raus, weil man die Herren in Finnland ja nur an den Verhandlungstisch kriegt, wenn man was zu verhandeln hat."

    "Die Hoffnung stirbt eigentlich zuletzt. Sagen wir mal so!"

    Spengler: Bundes- und Landesregierung Nordrhein-Westfalens haben Nokia zu Gesprächen über die geplante Schließung aufgefordert. Es wird wohl auch zu einem Gespräch kommen. Der Konzern erklärte aber, es werde bei der Schließung bleiben. Die Entscheidung sei gefallen. - Am Deutschlandfunk-Telefon ist Peer Steinbrück (SPD), Bundesfinanzminister, ehemals Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen Herr Steinbrück!

    Peer Steinbrück: Guten Morgen Herr Spengler.

    Spengler: Herr Steinbrück, glauben Sie, dass sich das Unternehmen noch von seinem Beschluss abbringen lässt?

    Steinbrück: Ich glaube man sollte da keine falschen Hoffnungen wecken oder entstehen lassen. Da sind Entscheidungen offenbar in Finnland getroffen worden. Aber ich kann die Empörung verstehen. Das ist ein Ausdruck eines Karavanen-Kapitalismus, von dem viele wissen müssen, dass er die Zustimmung zu diesem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell systematisch unterminiert. Die Menschen verlieren Vertrauen und das ist eminent gefährlich und von politischer Bedeutung.

    Spengler: Müssen verantwortungsvolle Manager in einer Marktwirtschaft nicht so handeln wie die Nokia-Manager, so schlimm es für die Menschen in Bochum auch sein mag?

    Steinbrück: Ja, das ist mein Appell. Diese Manager verlieren ihre gesellschaftspolitische Verantwortung, übrigens für die Sicherung der Grundlagen, die ja für sie nach wie vor ein wirtschaftlicher Standortfaktor sind, nämlich gesellschaftliche Stabilität. Das heißt wenn ein Unternehmen eine solche Entscheidung trifft, weil die Gewinnmarge nicht 20 Prozent ist, sondern 15 Prozent ist, und sie argumentieren, dass die Lohnkosten zu hoch sind, obwohl der Lohnkostenanteil unter fünf Prozent ist, dann müssen sie wissen, dass dies nicht überzeugend ist und dass das darauf hinausläuft, dass Menschen ihre Zustimmung, ihr Vertrauen entziehen. Das hat langfristige Auswirkungen!

    Spengler: Wenn Deutschland einerseits wie kaum jemand sonst von den Vorteilen der Globalisierung profitiert und dann andererseits aufschreit und von einem Skandal oder auch einem unanständigen Unternehmen spricht, wie Edmund Stoiber jetzt, wenn wir dann gelegentlich auch die Schattenseiten der Globalisierung spüren, ist das nicht auch ein bisschen billig und scheinheilig?

    Steinbrück: Ja, einverstanden. Deutschland ist wie kaum eine andere Wirtschaft weltweit vernetzt und integriert in die Globalisierung. 40 Prozent unseres Bruttosozialprodukts erwirtschaften wir über Außenwirtschaftsbeziehungen. Das ist in der Liga, in der wir spielen, die größte Integration und Vernetzung weltweit mit der Globalisierung. Die USA generieren vielleicht 12 bis 15 Prozent.

    Spengler: Das heißt unterm Strich lohnt sich für uns die Globalisierung noch immer, trotz Nokia, trotz BenQ, trotz Motorola und so weiter?

    Steinbrück: Der Hinweis ist richtig. Wir sind Exportweltmeister und jede Konsequenz aus diesen fürchterlichen Fällen: Wir müssten an den Grenzen unseres Landes die Rollos herunterlassen, um uns aus den Widrigkeiten und Ambivalenzen der Globalisierung, die es gibt, herauszulösen. Das liefe auf Wohlstandsverluste für Deutschland hinaus.

    Spengler: Müssen wir dann nicht damit leben, dass so etwas wie Nokia passiert?

    Steinbrück: Ja, aber da gibt es gleitende Übergänge. Das was hier am meisten empört ist ja erstens die Plötzlichkeit, fast das Überfallkommando, das da losgesetzt worden ist, und dass die Zahlen eigentlich eine solche Entscheidung jedenfalls aus dem Verständnis derjenigen, die darauf gucken, so etwas von außen nicht hergeben.

    Spengler: Das können Sie besser beurteilen als die Nokia-Manager?

    Steinbrück: Nein, das maße ich mir nicht an. Ich stecke in den Zahlen nicht drin. Nur noch einmal: mir scheint eine Argumentation überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn ich einen fünfprozentigen Personalkostenanteil habe und eine Gewinnmarge von 15 Prozent und dann sage, ich treffe diese Entscheidung darauf, dass ich Personalkosten noch weiter runterbringen will, meinetwegen auf zwei Prozent Anteil, und im Übrigen eine Gewinnmarge von 20 Prozent haben will. Entscheidend ist folgender Hinweis: Das Unternehmen muss wissen, welche Image-Schäden es dabei hervorruft, insbesondere natürlich bei deutschen Konsumenten. Das heißt es kommen ein paar Argumente hinzu, die sich nicht nur in Zahlen ausdrücken lassen.

    Spengler: Nokia begründet ja den Schritt mit zu hohen Gesamtkosten in Deutschland, nicht nur zu hohen Arbeitskosten. Warum sorgt die Politik nicht endlich für ein einfacheres Steuerrecht, für eine geringere Abgabenquote und für weniger Bürokratie?

    Steinbrück: Was das Steuerrecht betrifft wissen Sie vielleicht, dass seit 14 Tagen ein verbessertes Steuerrecht in Deutschland vorliegt. Wir bewegen uns in Europa in einem sehr guten Mittelfeld.

    Spengler: Also in Rumänien gilt ein Steuersatz von 16 Prozent!

    Steinbrück: Das ist klar. Sie werden auch nicht gegen Vietnam und gegen Südkorea oder gegen Thailand in den Steuersätzen konkurrieren können. Aber die Entscheidungen von Investitionen richten sich ja auch noch an ein paar anderen Faktoren: zum Beispiel soziale Stabilität, geringe Streiktage, gute Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ein sehr legal verlässliches Rechtssystem. Das sind ja auch alles Faktoren und es gibt erste Hinweise, dass vor dem Hintergrund mancher Investor, der in den Osten gezogen ist, auch etwas enttäuscht und desillusioniert übrigens nach Deutschland zurückkommt.

    Spengler: Haben wir keinen Nachholbedarf im Abbau von Bürokratie?

    Steinbrück: Das behaupte ich gar nicht. Auf der anderen Seite nicht immer so platt sagen "wir haben zu viel Bürokratie". Viele Verfahren sind auch entschlackt worden. Genehmigungsverfahren in Nordrhein-Westfalen nach dem Bundesemissionsschutzgesetz sind sehr viel schneller und sehr viel besser geworden.

    Spengler: War die Subventionierung eines Weltkonzerns wie Nokia mit Steuergeldern falsch?

    Steinbrück: Ich glaube nicht. Ich gebe zu: Wir haben letztlich das gemacht, was andere jetzt auch gegen uns richten. Wir haben Entscheidungen auf Deutschland gezogen, die vorher vielleicht dazu führten, dass man sonst in Finnland oder anderswo investiert hätte. Das Unternehmen hat dies natürlich in Anspruch genommen. Die Haltefristen sind wahrscheinlich alle eingehalten worden. Deshalb will ich da nicht zu viele Hoffnungen machen.

    Spengler: Waren die zu kurz?

    Steinbrück: Ich weiß nicht, wie lange die im Einzelnen gewesen sind. Ich glaube sie waren fünf, sechs Jahre in manchen Fällen, insbesondere mit Blick auf das, was an Forschungsförderung gemacht worden ist. Eine andere Förderung ist nach der Gemeinschaftsaufgabe der regionalen Wirtschaftsförderung gemacht worden. Die Haltefristen sind offenbar 2006 ausgelaufen.
    Wichtig ist allerdings, dass es innerhalb der Europäischen Union nicht einen entsprechenden Subventionswettbewerb gibt. Darauf hat Herr Barroso gestern hingewiesen, dass das in Rumänien nicht der Fall sein soll.

    Spengler: Glauben Sie das?

    Steinbrück: Das wird zu hinterfragen sein, aber ich habe jetzt aus dem Stand heraus keine Veranlassung, Herrn Barroso nicht zu glauben.

    Spengler: Herr Steinbrück, sehen Sie denn Chancen, dass der Steuerzahler die 88 Millionen Euro Subventionen, die Nokia bekommen hat, zurückerhält?

    Steinbrück: Ja, an einer Stelle. Ich glaube die Landesregierung Nordrhein-Westfalens prüft, ob die damit verbundenen Arbeitsplatzaufgaben noch in der Zeit während die Haltefristen gelaufen sind wirklich eingehalten worden sind. Das scheint mir im Augenblick jedenfalls aus der Sicht, die ich aus Berlin habe, ein Hebel zu sein, den man deutlich und massiv dem Unternehmen entgegenhalten sollte.

    Spengler: Sollte der Staat für künftige Fälle ganz auf Unternehmenssubventionen verzichten, jedenfalls bei den großen?

    Steinbrück: Nein! Man kann darüber reden, ob er sich stärker konzentrieren sollte, Forschung und Entwicklung, Bildungsangebote, Weiterbildungsangebote zu fördern, ob er sich eher darauf verlegen soll, Kapital zur Verfügung zu stellen für Existenzgründungen, und im Ausmaß von Investitionsförderung dieser Dimension zurückhaltender zu sein.

    Spengler: Richten wir noch unseren Blick von Nokia weg auf die allgemeine Situation. Wir erleben den Börsenabsturz bei Hypo Real Estate, Gewinneinbrüche bei der City-Bank. Merrill Lynch, die weltgrößte Investmentbank, meldet einen Jahresnettoverlust von acht Milliarden Dollar und der US-Notenbankchef Bernanke spricht von einer drohenden Rezession. Wie gefährlich ist das alles für uns?

    Steinbrück: Es ist ernst zu nehmen, aber zunächst einmal dahin zu verweisen wo es entstanden ist und das ist in den USA.

    Spengler: Das wird uns notfalls nicht helfen!

    Steinbrück: Ja, aber noch mal: nicht so schnell! In Deutschland und in Europa haben wir es, wie wir gestern übrigens in einem Gespräch mit meinem italienischen und meiner französischen Kollegin sowie meinem englischen Kollegen festgestellt haben, nach wie vor mit sehr robusten ökonomischen Fundamentaldaten zu tun. Deshalb ist die Aussage zweierlei. Das muss man sehr ernst nehmen. Ich glaube, dass wir durch diese Finanzmarktturbulenzen noch längst nicht durch sind. 2008 wird uns das beschäftigen. Aber bitte nicht in dieser hohen Geschwindigkeit deutscher Gemütsveränderung von "himmelhoch jauchzend - zu Tode betrübt". Wir haben es nach wie vor mit einer guten ökonomischen Entwicklung zu tun. Wir haben es 2007 mit einem Wachstum von 2,5 Prozent zu tun gehabt. Das wird sich etwas abschwächen. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wird insgesamt nach wie vor erfreulich in Deutschland.

    Spengler: Und es gab in dieser Woche eine erfreuliche Meldung, dass erstmals seit dem Fall der Mauer im letzten Jahr keine neuen Schulden, sondern ein Überschuss für den gesamten Staatshaushalt zu verzeichnen ist. Im Bund wollen Sie allerdings erst 2011 schwarze Zahlen schreiben. Können Sie das angesichts sinkender Wachstumsraten? Werden Sie Ihr Versprechen halten können?

    Steinbrück: Das ist ganz witzig. Bis vor wenigen Wochen bin ich von vielen aufgefordert worden, Steinbrück müsste das schon 2009 alles schaffen. Eigentlich hätte er es gestern schaffen müssen. Und jetzt sagen einige Leute, na mein lieber Mann, hast du nicht die Lippe zu dick gemacht dabei und die Backen zu weit aufgeblasen. Nein! Ich glaube, dass unsere bisherigen mittelfristigen Finanzplanungen erhalten werden können, dass auch der Bund bis 2011 die Nettokreditaufnahme auf null bringen kann. Aber die großen schönen Zeiten, wo alle dachten, ich laufe mit einer Schürze unter dem Himmel her und die goldenen Euros fallen in meine Schürze, die sind vorbei.

    Spengler: Wenn Sie schon von Backen aufblasen reden. Tut es Ihnen leid, dass Sie die Beschäftigten zu einem kräftigen Schluck aus der Gehaltspulle aufgefordert haben, angesichts der sinkenden Wachstumsraten?

    Steinbrück: Wo habe ich das getan?

    Spengler: Sie haben gesagt, es sei jetzt Nachholbedarf und die Arbeitnehmer hätten genügend Beiträge erbracht.

    Steinbrück: Nein, auch hier ein realistischer Blick. Die abhängig Beschäftigten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in den letzten Jahren reale Einkommenseinbußen erlebt. Das Reallohnniveau der Arbeitnehmer ist gegenüber einem Jahr nach der Wiedervereinigung um 1,5 Prozent gesunken. Die Lohnquote ist auf einem historisch niedrigem Stand. Also ist automatisch die Gewinnquote in Deutschland auf einem extrem hohen Stand. Vor dem Hintergrund sage ich: Balance. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben müssen - in der gewerblichen Wirtschaft in meinen Augen immer in der Größenordnung des Wachstumsspielraumes, des Produktivitätsfortschritts, den wir haben. Das halte ich für richtig, was übrigens auch positiv für die Kaufkraft wäre und damit nicht ganz irrelevant für die Wachstumsentwicklung in Deutschland.

    Spengler: Und für neue Wohltaten wie ein deutlich höheres Wohngeld wäre auch noch Spielraum?

    Steinbrück: Nein! Da bin ich skeptisch. Da glaube ich, dass mein Kollege Tiefensee in der Tat gestern den Fehler gemacht hat, dass er erst in die Öffentlichkeit gegangen ist und dann erst mit mir sprechen möchte.

    Spengler: Sprechen Sie in der Bundesregierung nicht mehr von SPD-Minister zu SPD-Minister? Woran liegt das?

    Steinbrück: Das ist so ein Fall, wo ich darum bitte, dass wir die Reihenfolge einhalten. Dass das Thema Wohngeld ein Thema ist, das erörtert werden sollte, das ist mir sehr bewusst, aber ehe ich die ganze Öffentlichkeit wieder verrückt mache mit irgendwelchen Ankündigungen, möchte ich genau wissen was wir tun können und gegebenenfalls auch was wir nicht tun können, weil wir es uns nicht leisten können.

    Spengler: Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister. Danke für das Gespräch, Herr Steinbrück.