Donnerstag, 25. April 2024

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Steiner: USA müssen sich in internationale Klimapolitik einbinden

Der Direktor des UNO-Umweltprogramms, Achim Steiner, hat die Industrieländer zu einem stärkeren Engagement für den Klimaschutz aufgefordert. Nur dann sei es möglich, auch wirtschaftlich aufstrebende Länder wie China, Indien und Brasilien von einer Reduzierung der CO2-Emissionen zu überzeugen. Deutschland könne bei den Verhandlungen auf Bali eine Vorbild- und Schlüsselrolle zukommen.

Moderation: Jule Reimer | 25.11.2007
    Jule Reimer: Herr Steiner, wie viel Liter Benzin verbrauchen die Autos der Dienstwagenflotte des UN-Umweltprogramms durchschnittlich auf 100 Kilometer?

    Achim Steiner: Also, wenn wir unsere Flotte weltweit nehmen, dann ist es sehr unterschiedlich. Denn in Montreal und in Genf und in Paris sind unsere Fahrzeuge schon Toyota-Hybridfahrzeuge, hier in Nairobi haben wir noch alte Mercedesse, und da liegt der Durchschnitt bei elf bis 13 Litern. Aber wir sind dabei, diese auch zu ersetzen, nur bislang liefert Toyota keine Hybridfahrzeuge nach Afrika, darauf warten wir noch.

    Jule Reimer: Haben Sie Verständnis dafür, dass die deutsche Flotte im Mittel 173 Gramm CO2 pro Kilometer ausstößt, obwohl die französischen Autohersteller vormachen, dass es auch mit weniger geht?

    Achim Steiner: Ich verstehe die historischen Gründe dafür, nur bedaure ich schon seit einiger Zeit, dass deutsche Automobilhersteller nicht die Art von Innovationen auf technologischem Fortschritt uns als Konsumenten anbieten, die wir aus Japan und auch aus Frankreich und Italien gesehen haben - wobei man natürlich auch sagen muss: Solange Menschen Fahrzeuge kaufen, die heute noch 17, 18, 20 Liter auf 100 Kilometer schlucken, wird es auch irgendwo jemanden geben, der diese Autos baut. Nur da müssen wir an beiden Enden ansetzen - Konsument und Produzent.

    Jule Reimer: Wird sich denn die deutsche Durchschnittsfamilie in 20 Jahren ein eigenes Auto leisten können?

    Achim Steiner: Ich glaube, das hängt sehr von der technologischen Entwicklung ab und wie wir auch mit den Fahrzeugen umgehen. Ich glaube, wir sind heute viel zu sehr darauf fixiert, mit Fahrzeugen alles zu bewältigen und nicht andere Verkehrsmittel - öffentliche oder alternative Verkehrsmittel - zu nutzen. Aber ein Fahrzeug in 20 Jahren könnte auch schon ein Fahrzeug sein, das Solarzellen auf dem Dach hat, das sich tagsüber auflädt mit Energie, und man fährt abends nach Hause und speist den Rest in das Stromnetz ein. Das sind vielleicht futuristische Gedanken heute, aber gar nicht so weit gegriffen. Und man muss sich immer wieder vor Augen halten, wie wir mal mit dem Internet begonnen haben vor 20 Jahren und wie rasant die Entwicklung hier gelaufen ist.

    Jule Reimer: Eine in der deutschen Presse geäußerte Kritik an den Berichten des UN-Klimarates lautet: Aus diesem Wissenschaftlerkreis käme nur noch die Minderheit zu Wort, die Katastrophenszenarien beschwöre - die gemäßigten Wissenschaftler würden gar nicht mehr gehört. Was sagen Sie dazu?

    Achim Steiner: Also, bei 2000 Wissenschaftlern, die diesen Bericht erstellt haben, ist es schwer zu argumentieren, dass eine Minderheit diesen Bericht dominiert. Dieser Bericht ist ja in einem sehr langwierigen und komplizierten Prozess entwickelt und auch verabschiedet worden. Hier hat nicht eine Minderheit Feder geführt, sondern hier haben Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse uns vor allem vor Augen geführt, dass Klimawandel und Globalerwärmung eine drastische Veränderung in unserem Leben und in unserer Wirtschaft herbeiführen wird, nicht zuletzt aufgrund dessen, was es auf unserem Planeten anrichtet.

    Aber man muss immer wieder hervorheben: Der Bericht hat ja nicht nur sozusagen die Problematik Klimawandel unter wissenschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten dargestellt, sondern er hat ja vor allem in diesem Jahr auch die ökonomischen und technologischen Möglichkeiten uns aufgezeigt, wie wir diesen Veränderungen entgegentreten können. Nur es kommt auf den politischen Willen an.

    Jule Reimer: Sie haben gesagt, Deutschland habe eine Schlüsselrolle im weltweiten Klimaschutz und könnte auf der UN-Klimakonferenz in Bali einem weltweiten Klimaabkommen für die Zeit nach 2012, also nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls, zum Durchbruch verhelfen. Wissen Sie mehr als wir? Hat Bundeskanzlerin Merkel George Bush bei der jüngsten Grillparty auf der Ranch in Texas vielleicht doch dazu überreden können, verbindliche Obergrenzen für den CO2-Ausstoß zu akzeptieren?

    Achim Steiner: Tja, was bei diesen Grillpartys besprochen wird, ist eben Privatsphäre, das heißt, da kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen. Aber ich glaube, allein dass Bundeskanzlerin Merkel in China, in Indien, in den USA mit einem solchen Interesse empfangen wird und auch mit einem gewissen Vertrauen, das sie sich mit der Zeit vor allem bei der Klimathematik erarbeitet hat. Dass sie international eine einflussreiche Rolle spielt, ist, glaube ich, inzwischen von allen erkannt. Wobei Deutschland auch durch seine Entscheidung in Brüssel während der EU-Präsidentschaft und in Heiligendamm bei dem G8-Gipfel und auch jetzt mit der Entscheidung, eine fast vierzigprozentige Reduzierung von CO2-Emissionen in Deutschland bis 2020 zu erreichen, letztlich mit gutem Beispiel versucht, voranzugehen. Und gerade in Bali, in einem komplexen internationalen Verhandlungsprozess, können Länder, die mit gutem Beispiel vorangehen und die sich ja auch als Vermittler in eine Diskussion einbringen, sehr wohl die politische Diskussion beeinflussen.
    Jule Reimer: Laut IPCC-Bericht haben wir ein Zeitfenster von zehn bis 15 Jahren, um zu handeln. Was muss geschehen, damit Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien sich ab 2012 ebenfalls offensiv an der notwendigen Reduktion der Treibhausgase beteiligen?

    Achim Steiner: Das Ziel zehn bis 15 Jahre ist sehr eng verknüpft damit, dass wir erreichen müssen, dass der Zuwachs an CO2-Emissionen gestoppt wird. Das müssen wir in diesem Zeitraum erreichen, damit wir dann bis 2050 diese Emissionen um die Hälfte reduzieren können, um damit einen noch extremeren Klimawandel zu vermeiden.

    Was im Augenblick Voraussetzung ist dafür, dass wir dies erreichen können, ist zum einen, dass die USA sich wieder in einen internationalen Prozess, also in eine internationale Klimapolitik einbinden, dass zum anderen natürlich die Länder wie China, Indien, Brasilien, wo der Zuwachs an Emissionen im Augenblick sehr hoch ist, sich auch an einem internationalen Prozess beteiligen. Nur, was sehr wichtig ist und was wir alle verstehen müssen ist, dass dieses nicht unter gleichen Vorzeichen stattfinden kann.

    Es bleibt weiterhin Realität, dass das Verursacherprinzip, das heißt, dass die letzten 200 Jahre Industrieentwicklungen in Europa, in Amerika, in Japan stattgefunden haben, aber nicht in Uganda oder in Brasilien oder in Nepal. Das heißt, wir müssen die Industrieländer davon überzeugen, dass sie mit großen und konkreten Schritten Emissionsreduzierungen herbeiführen. Dann werden sich auch die Entwicklungsländer aktiver beteiligen, wobei auch hier schon festzuhalten ist: Auch heute werden bereits in China und in Brasilien eine Reihe von Initiativen gestartet, die sich emissionsreduzierend auswirken, das heißt, Wirtschaftswachstum wird abgekoppelt von dem Zuwachs an CO2-Emissionen. Und das ist bereits ein gutes Vorzeichen.


    Jule Reimer: Der Chef des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, hat an Bali die Forderung gestellt, es müssten Verhandlungen mit einem klaren Schlusstermin beschlossen werden, damit kein Vertragsland den Prozess verschleppen kann. Was noch darf außer einer fehlenden Deadline in Bali nicht passieren?

    Achim Steiner: Ich glaube, vor allem müssen wir darauf achten, dass in Bali nicht Verhandlungen begonnen werden unter dem Vorzeichen, mit dem Finger immer auf andere zu weisen. Jedes Land muss letztlich in Bali ankommen mit dem Verständnis und auch mit dem Ansatz, hier konstruktiv an einem internationalen Konsens zu arbeiten.

    Wenn sich große Länder, ob das nun die USA oder Australien oder China oder Brasilien oder in der Tat auch Länder in Europa, die ihre Kyoto-Ziele nicht erfüllen in der gegenwärtigen Periode, hinter einer internationalen Gemeinschaft, die nicht handeln kann, verstecken wollen, dann kann man sehr schnell diese Verhandlungen in Bali aus dem Lot bringen. Also, Voraussetzung ist ein auf allen Seiten vorhandenes Interesse, hier weiter zu kommen. Zweitens, dass wir auch die Pakete, die wir schnüren müssen in diesem Verhandlungsprozess bei Emissionsreduzierung, bei Anpassungsstrategien, Technologietransfer, Finanzierung, das sind die vier Kernbereiche, in denen die Verhandlungen der nächsten zwei Jahre stattfinden werden, hier müssen konkrete Verhandlungsansätze auf den Weg gebracht werden, und vor allem auch der Terminkalender 2009 Kopenhagen ist eindeutig die Zielgerade.

    Jule Reimer: Die Internationale Energieagentur IEA empfiehlt, in den kommenden Jahren 600 Atomkraftwerke zu bauen, um den CO2-Ausstoß weltweit zu halbieren. Auch die EU will mit Afrika einen Dialog über eine nukleare Partnerschaft aufnehmen. Atomkraftwerke für die Sahel-Zone, ist das ein richtiger Weg?

    Achim Steiner: Das, was die Internationale Energieagentur als wichtiges Fakt erst mal auf den Tisch gebracht hat, ist, dass in der Welt weiterhin ein großer Zuwachs an Energiebedarf bestehen wird. Dass ein Szenario auch die Nuklearenergie sozusagen als Möglichkeit aufzeigt, ist auch legitim, denn wir wissen, dass diese Technologie uns zur Verfügung steht. Ich persönlich muss sagen, jeder sollte sich einen Moment zurück lehnen und sich überlegen, was es bedeutet, 600 neue Kernkraftwerke in der Welt zu bauen.

    Es gibt heute nach 50 Jahren Kernenergie lediglich 400, und mit diesen 400 haben wir schon einige Probleme gehabt, nicht zuletzt aufgrund der Proliferation von Nukleartechnologie, auch im Sinne der Waffenentwicklung. Wir haben allein in den letzten 24 Monaten zwei Mal einen internationalen Konflikt vor Augen gehabt und haben ihn immer noch mit Iran aufgrund von Kernenergie und dem Technologiezugang, den sie verspricht. Eine Welt, in der 600 neue Kernkraftwerke gebaut werden, und wenn man wirklich den Klimawandel und die Emissionsreduzierungsziele erreichen will, die wir erreichen müssen, bedeutet das sogar 4000 neue Kernkraftwerke, halte ich im Augenblick nicht für real. Und man muss sich auch immer wieder vor Augen halten, wir haben uns oft mit Thesen auseinandersetzen müssen, wo es nur eine Wahl gab.

    Ich glaube, in jeder Gesellschaft sollte man die Frage stellen, ist das wirklich ökonomisch der rationellste Weg? Wollen wir diese Risiken, gerade auch im Sinne der internationalen Politik eingehen? Und können wir es uns wirklich leisten, im 21. Jahrhundert radioaktiven Müll zu produzieren, der auf hunderte beziehungsweise tausend Jahre herumliegen wird? Denn wir haben bis heute noch keine Lösung für das, was uns die Kernkraftwerke letztlich übrig lassen. Aber, wie gesagt, jedes Land ist hier verschiedene Wege gegangen. Wir müssen aufpassen, dass wir der Welt nicht nur einen Lösungsweg aufzeigen.

    Jule Reimer: In Deutschland wird der Bau neuer Kohlekraftwerke diskutiert. In Indien sind Kohlekraftwerke ein wichtiger Bestandteil des derzeitigen und des zukünftigen Energiemixes. Unter welchen Bedingungen halten Sie, Herr Steiner, als Chef des UN-Umweltprogramms, den Einsatz von Kohle zur Energieerzeugung für akzeptabel?

    Achim Steiner: Ja, wenn man die Frage so stellt, müsste natürlich die Antwort heißen, nur unter der Voraussetzung, dass wir nicht zusätzliche CO2-Emissionen in die Atmosphäre treiben. Und das ist im Augenblick mit dem Technologiestand, den wir heute haben, noch nicht möglich. Nun gibt es natürlich die Carbon Capture Technology. Das heißt, manche erwarten sich davon, dass wir CO2-Emissionen sozusagen entweder in den Meeresboden oder in andere unterirdische Lager langfristig lagern können.

    Das wäre eine Möglichkeit, wie man bei Kohlekraftwerken in Zukunft zumindest den Faktor CO2-Emissionen reduzieren könnte. Heute einen massiven Ausbau von Kohlekraftwerken zu befürworten, ist sicherlich eine Politik, die uns nicht dabei hilft, mit den Zielen, die wir im Rahmen der internationalen Klimapolitik erreichen wollen, fertig zu werden. Das heißt, jedes Land steht hier vor einem Dilemma. Gleichzeitig sollte man sich wirklich fragen, ob wir nicht andere Alternativen haben. Uns wurde vor zehn Jahren noch gesagt, dass weder Windenergie noch Fotovoltaik wirklich eine Rolle spielen können.

    Heute haben wir bereits in Deutschland in weniger als zehn Jahren es erreicht, dass wir der weltgrößte Stromproduzent von Windenergie geworden sind. Also hier ist eine Frage der öffentlichen Hand, aber auch der privaten Unternehmen, der Energieunternehmen gefragt, die sich mit den Alternativen wirklich in einem objektiven Sinne dem Markt und der Öffentlichkeit stellen sollten. Es gibt nicht nur einen Weg, das ist eindeutig klar.

    Jule Reimer: Aber auch nicht alle Formen der Erneuerbaren Energien machen glücklich. "Dams are dirty" - Staudämme sind schmutzig - lautet ein kritischer Einwand der Umweltbewegung gegen große Wasserkraftwerke. Sie selbst waren Vorsitzender der Weltstaudammkommission, die der Weltbank sinnvolle Umwelt- und Sozialkriterien für den Bau von großen Wasserkraftwerken an die Hand geben sollte. Wo sind die Hoffnungen in Erneuerbare Energien gerechtfertigt, wo vielleicht nicht?

    Achim Steiner: Meiner Meinung nach sind die Hoffnungen in Erneuerbare Energien noch lange nicht ausgereizt, im Gegenteil. Wir sind heute erst am Anfang dessen, was möglich ist. Wie gesagt, wenn wir heute bereits eine installierte Leistung von 19.000 Megawatt haben, dann zeigt das ja, wie schnell wir mit den richtigen ökonomischen Vorzeichen uns hier voranbewegen können.

    Ein Ölpreis von 100 Dollar macht viele von den Argumenten, die wir noch vor fünf Jahren hatten, dass Erneuerbare Energien niemals mit Öl konkurrieren können, hinfällig, denn keiner hätte erwartet, dass wir im Jahr 2007 100 Dollar pro Barrel Öl zahlen müssen. Das heißt, die ökonomischen, auch betriebswirtschaftlichen Vorzeichen sind andere. Und zum Zweiten: Wenn die Welt sich wirklich darauf einigt, dass wir CO2-Emissionen drastisch reduzieren müssen, dann wird sich dies auch in nationalen wirtschaftspolitischen Entscheidungen widerspiegeln.

    Jule Reimer: Das heißt, auch große Wasserkraftwerke?

    Achim Steiner: Ja. Nicht jeder Staudamm ist ein schlechter Staudamm. Ganz im Gegenteil. Was wir mit der Welt-Staudamm-Kommission damals in dem Bericht festgehalten haben, ist, dass bei dem Bau von Staudämmen einer der größten Faktoren, warum sie oft gescheitert sind oder nicht so funktioniert haben, wie es der Gesellschaft verkauft wurde, ist, dass man die sozialen und ökologischen Faktoren einfach nicht berücksichtigt hat. Wer heute einen Staudamm baut, muss sich konkret mit den sozialen und ökologischen Konsequenzen auseinandersetzen.

    Nicht jeder Staudamm wird auch in Zukunft dann gebaut werden, der heute in einem Planungsbuch steht. Aber wir können sicherlich davon ausgehen, dass es bei Wasserkraftwerken, vor allem bei den sogenannten "Run of the River-Technologies", also, wo nicht ein Stausee gebraucht wird, sehr wohl noch ein Potenzial gerade auf so Kontinenten wie Afrika besteht.

    Ich will jetzt nicht eine Technologie herausheben, ich sage nur, wenn wir Solar- mit Fotovoltaik-, Windenergie, geothermischer Energie, Wellenkraftwerke und Wasserkraftwerke zusammennehmen, dann ist das nicht irgend eine theoretische Möglichkeit, sondern wir haben für jeden dieser Bereiche bereits Beispiele. Und um nur eines zu nennen: Hier in Kenia ein geothermisches Kraftwerk, in Kenia ein mögliches Beispiel für viele weitere, weil wir ein Potenzial von fast 7000 Megawatt allein in dem Rift-Valley haben, mit geothermischer Energie Strom zu produzieren.

    Jule Reimer: Herr Steiner, Sie halten sehr bewusst Kontakt zur Wirtschaft, wird Ihnen nachgesagt. Würden die Unternehmen in den USA und in der Europäischen Union denn mitziehen, wenn die Politik strengere Klimavorgaben macht - und zwar nicht nur über den Emissionshandel, sondern auch zum Beispiel anhand des Ordnungsrechtes, zum Beispiel Verbrauchsobergrenzen für Autos, für Heizungen et cetera?

    Achim Steiner: Absolut, wobei man immer sich vor Augen halten muss, es gibt ja in dem Sinne nicht "die Wirtschaft", sondern wir haben in der Wirtschaft ein Geflecht von Unternehmen, von alten Unternehmen mit etablierten Technologien, von neuen Unternehmen, die mit Innovationen auf den Markt kommen. Was wir leider - und das ist ja einer der Gründe, warum wir vielleicht so lange gebraucht haben - uns immer wieder klar machen müssen, ist: Diejenigen, die heute den Markt beherrschen, haben natürlich in den letzten 20, 30 Jahren ihr Kapital in eine bestimmte Technologie investiert, in ein bestimmtes Szenario. Dass diese Unternehmen heute nicht gerne sozusagen einen Technologiesprung herbeiführen wollen, ist ja nachvollziehbar.

    Aber wir haben ja gerade bei der Windkraft in Deutschland erlebt: Wenn die Regierung andere Marktvorgaben und Vorzeichen gibt, wie schnell der Finanzmarkt, der Technologiemarkt und die Unternehmen reagieren können. Die Wirtschaft als solche wird, glaube ich, aufgrund des Klimawandels in den nächsten Jahren einen enormen Impuls erleben. Wir haben ja schon jetzt in der deutschen Wirtschaft mit Energietechnologien eine Million Arbeitsplätze.

    Roland Berger hat vor einigen Monaten eine Studie vorgestellt, in der Umwelttechnologien, also der Sektor der Umwelttechnologien in Deutschland, die Zahl der Arbeitsplätze der Automobilindustrie bis 2020 übertreffen wird. Das ist aus der Wirtschaft ein Beispiel, wie schnell der Markt und auch letztlich Unternehmen reagieren können, wenn sie andere Vorzeichen haben und wenn sie vor allem davon überzeugt sind, dass die Zukunft und die Zukunft des Marktes davon ausgeht, dass CO2-Emissionen reduziert werden müssen.

    Jule Reimer: Sie haben als Chef des UN-Umweltprogramms UNEP Ihren Dienstsitz in Nairobi. Wie wirkt sich die Klimaerwärmung in Afrika, in den Entwicklungsländern aus?

    Achim Steiner: Zum ersten muss man feststellen, dass Afrika vor allem darunter leidet, dass es noch nicht einmal die Infrastruktur hat, um die Veränderung wirklich beobachten zu können. Afrika leidet darunter, dass es im Moment ein Achtel der meteorologischen Infrastruktur hat, um Wetter überhaupt beobachten zu können, wie es von den Vereinten Nationen empfohlen wird. Das heißt, wir bewegen uns hier noch oft auch im anekdotischen Bereich, weil der empirische Überblick fehlt.

    Aber was eindeutig klar ist, dass wir auf dem Kontinent Veränderungen bei Wetter, bei Regenfall, bei Dürre, bei Temperaturen und auch bei den Jahreszeiten erleben. Wir haben in UNEP vor einigen Monaten einen Bericht erstellt über den Sudan, wo wir auf die letzten hundert Jahre versucht haben, mit meteorologischen und Umweltdaten festzustellen, welche Klimaveränderungen dort stattgefunden haben. Und da wird es sehr interessant und man kann auch verstehen, warum dies so konkret für Afrika von Konsequenz ist. Allein in Darfur, dieser Provinz, die ja nun wirklich tagtäglich in den Nachrichten ist, haben wir über die letzten 20, 30 Jahre eine Verringerung des Regenfalls von 16 bis 30 Prozent feststellen können. Das wiederum hat zu einer Verdürrung geführt, und das bei zuwachsender Bevölkerung. Und im Sudan insgesamt haben wir auch festgestellt, dass die Wüste in den letzten 40 Jahren um 100 Kilometer südwärts gewandert ist.

    Das sind Entwicklungen, die wir auch in anderen Teilen Afrikas sehen und jetzt auch versuchen, landesweit und kontinentweit zu erheben. Das sind Entwicklungen, die letztlich auch dazu führen, dass Menschen zunehmend unter Stress geraten, nicht nur Stress im individuellen Sinne, sondern auch unter Druck geraten zwischen zum Beispiel pastoralen Bevölkerungsgruppen und denen, die ansässige Landwirtschaft betreiben. Daher sind auch Ursprünge des Konfliktes in Darfur bis zu einem gewissen Punkt auch in einen Zusammenhang zu bringen mit Klimawandel und den Veränderungen in den Umweltbedingungen.

    Jule Reimer: Melden sich denn Militärs und Sicherheitspolitiker bei Ihnen, um sich über diese Konfliktprognosen zu informieren?

    Achim Steiner: In der Tat, das tun sie, und zwar öfters, als man denkt. Bei vielen meiner Präsentationen, ob das jetzt in Washington in den USA ist oder in Europa oder auch bei uns hier in Nairobi, haben NATO wie auch US-Streitkräfte wie auch Militärstrategen und Institute für internationale Sicherheit ein rapides Interesse an diesem Thema gewonnen, denn sie haben begriffen, nicht zuletzt aufgrund der Arbeit, wie wir sie im Sudan gemacht haben, dass die Konsequenzen des Klimawandels drastische Konsequenzen auch bei der globalen Sicherheitspolitik haben werden.

    Man nehme ein Land wie Bangladesh, das wir auch gerade wieder in den letzten Tagen in den Nachrichten hatten: Wenn dort zum Beispiel durch den Anstieg des Meeresspiegels zehn, 20 Millionen Menschen nicht mehr auf dem Land leben können, wo sie jetzt leben, letztlich zu Umweltflüchtlingen werden, versuchen, über Landesgrenzen in andere Regionen zu kommen - das erleben wir ja auch mit Afrika und Europa zunehmend - dann führt das unweigerlich zu Konflikten, wenn wir es nicht frühzeitig erkennen und mit diesen Problemen auch konstruktiv umgehen. Das heißt, Klimawandel hat eindeutig Konsequenzen für die globale Sicherheit und für die internationale Sicherheitspolitik.

    Jule Reimer: Im Rahmen der WTO-Verhandlungen verlangen die Industriestaaten, darunter auch die EU, von den Entwicklungsländern, den Marktzugang für Holz- und Fischereiprodukte zu liberalisieren.

    Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass das angesichts der schwachen Umweltschutzbehörden in den meisten Entwicklungsländern einer Lizenz zum Abholzen und Leerfischen gleich kommt. Gleichzeitig beschwören europäische Politiker die Speicherfähigkeit der Regenwälder und die Notwendigkeit der Armutsbekämpfung. Können Sie sich erklären, warum die Europäer so wenig kohärent in ihrer Politik sind?

    Achim Steiner: Das kann man philosophisch beantworten, ansonsten ist die Frage an sich an Brüssel und die Hauptstädte zu richten. Aber Sie haben in der Tat Recht, denn zum Beispiel selbst bei der Problematik, Ländern Zugang zu Märkten zu ermöglichen, ist es ja bedauerlich, dass gerade Fischereiflotten aus Europa im Augenblick vor der westafrikanischen Küste Bestände dezimieren, auch in der Nordsee, dass wir einerseits beklagen, dass wir die Ressourcen übernutzen und es nicht schaffen, in der Ostsee eine Fischereiquote zu verabschieden innerhalb der Europäischen Union, die den Realitäten letztlich angepasst ist.

    Also, hier bestehen noch sehr viele Widersprüche, vor allem zwischen dem, was wir heute wissen, was auf unserem Planeten geschieht und mit den Ressourcen, und wie Politik und Wirtschaft bereit sind zu handeln. Aber diese Widersprüche sind nicht überraschend. Wir leben in einer sehr komplexen Welt, in der Warenströme einerseits das große Credo sind für wirtschaftliche Entwicklung, wo Warenströme andererseits genau das herbeiführen, was wir auch in unserem GEO-Bericht, also dem "Global Environment Outlook"-Bericht vor drei Wochen der Welt noch einmal vor Augen gehalten haben, dass wir dabei sind, das natürliche Kapital dieses Planeten aktiv zu zerstören, und zwar nachhaltig in diesem Sinne.

    Und hier muss natürlich Wirtschafts-, Handels- und Umweltpolitik ineinander greifen. Damit tun wir uns heute noch sehr schwer. Wir haben eine Welthandelsorganisation, in der Umweltthemen nur sehr selten überhaupt angesprochen werden können, weil sie oft als Handelshemmnisse verstanden werden. Und wir haben in den internationalen Umweltverhandlungen immer wieder Länder, die sagen, Handelspolitik gehört nicht in die Umweltkonvention, darf also nicht angesprochen werden.

    Jule Reimer: Mehrere Industriestaaten, darunter auch Staaten der EU, plädieren dafür, UNEP von einem UN-Programm zu einer eigenständigen Weltorganisation aufzuwerten, wie es zum Beispiel die FAO ist oder auch die WTO. Was wäre der Unterschied?

    Achim Steiner: Wir wissen heute, dass wir mit dem Konstrukt der letzten 30 Jahre den Problemen, die uns heute vor Augen sind, nicht mehr gerecht werden können. Das heißt, wir müssen Institutionen und auch Konventionen rationeller gestalten. In diesem Rahmen wird natürlich auch die Zukunft des Umweltprogramms der Vereinten Nationen diskutiert, wobei es für viele noch nicht offensichtlich ist, ob nun ein Programm so viel anders ist als eine Organisation.

    Denn letztlich muss man sich fragen, warum ist das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, das ja vom Mandat her sehr wohl handlungsfähig wäre heute, mit dem Budget einer mittleren Kleinstadt in Deutschland versorgt wird. Das ist auch für viele Entwicklungsländer nicht immer nachvollziehbar. Wenn die Industrieländer heute, vor allem auch Europa, eine schlagkräftige Umweltorganisation verlangen, warum investieren sie dann nicht erst einmal in die Organisation, die sie heute schon haben? Letztlich wird sich die Welt aber fragen müssen, ob wir eine Organisation - nicht analog vielleicht, aber ähnlich - der Logik einer Weltgesundheitsorganisation brauchen werden. Denn das, was wir heute tun, ist, Dienstleistung bereit zu stellen. Das, was wir morgen vielleicht brauchen werden, ist ein Mechanismus, in dem die Welt sich auch gegenseitig rechenschaftspflichtig sein kann.