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Steinhuder Meer
Mit dem "Auswandererboot" auf die Festungsinsel Wilhelmstein

Ungefähr 30 Kilometer nordwestlich von Hannover, mitten im Steinhuder Meer, liegt die Festungsinsel Wilhelmstein des Fürstenhauses Schaumburg-Lippe. Mitte des 18. Jahrhunderts aus militärischen Gründen errichten, ist das Eiland heute ein beliebtes Touristenziel.

Von Alfried Schmitz | 30.09.2018
    Die mitten im Steinhuder Meer gelegene Inselfestung Wilhelmstein wurde Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet. Sie war der Rückzugsort für Graf Wilhelm, der in Friedenszeiten auf Schloss Bückeburg residierte. Heute ist sie eine regionale Touristenattraktion.
    Die mitten im Steinhuder Meer gelegene Inselfestung Wilhelmstein. (Alfried Schmitz)
    Weil der normale Schiffsverkehr von Steinhude erst ab 10 Uhr startet, ich aber auf jeden Fall vor dem ersten Touristenansturm auf der Insel sein möchte, werde ich mit einem kleinen Motorboot vom Festland abgeholt. Mit dem schnellen Flitzer dauert die Überfahrt nur ein paar Minuten. Am Steuer: Peter Mundt. Er steht mehr, als er sitzt, beobachtet das Wasser ganz genau. Er muss höllisch aufpassen, denn die trockenen Sommerwochen haben den Pegel beträchtlich sinken lassen.
    "Die Wassertiefe ist jetzt wie?"
    "Maximal einen Meter. An einigen Stellen auch nur fünfzig Zentimeter. Es fehlen fast 40 Zentimeter Wasser."
    "Das Boot kommt wann zum Einsatz?"
    "Damit holen wir Ware und Personal und ab und zu den Fürsten. Das ist unser Transportboot."
    Peter Mundt ist Ende 50 und hat eine sportliche Statur. Er trägt ein traditionelles dunkelblaues Fischerhemd, wie man es auch von der Nordseeküste her kennt. Mundt steht schon seit einigen Jahren in Diensten des Fürstenhauses Schaumburg-Lippe. Seit Mitte März ist er Verwalter der Inselfestung Wilhelmstein, die um diese Uhrzeit fast noch im Dornröschenschlaf liegt. Doch das wird sich schlagartig ändern, wenn die Touristenschiffe anlegen. Kellnerin Christine bereitet das Inselrestaurant auf den Ansturm vor.
    Die Ruhe vor dem Sturm
    "Ich bin auf jeden Fall immer schon anderthalb Stunden vor dem ersten Schiff hier. Bereite alles vor, dass die Tische wieder sauber sind, die Aschenbecher wieder da sind, alles wieder schön ist. Dass die Leute, wenn sie essen wollen, auch wieder Besteck haben. Sorge dafür, dass Kaffee fertig ist oder für die Schlafgäste das Frühstück fertig steht. Das ist so meine Aufgabe. Und dann kommen nachher meine Kollegen und das erste Schiff und dann geht der Job richtig los."
    Von Mitte März bis Mitte Oktober dauert die Saison auf Wilhelmstein. 80.000 Besucher kommen jährlich auf die kleine künstlich angelegte Insel, die noch nicht einmal ausreichend Platz für zwei ausgewachsene Fußballfelder hätte.
    Damit sich Wilhelmstein den vielen Touristen immer bestens herausgeputzt präsentiert, kümmert sich Christian Tatje um die Pflege und die Sauberkeit von Wegen und Grünanlagen. Auch wenn es irgendwo etwas zu reparieren gibt, ist er sofort zur Stelle. Er ist so etwas, wie der "Inselhausmeister", der nicht nur tagsüber im Einsatz ist, sondern auch nachts.
    Übernachten auf der Insel
    "Grundsätzlich wird die Insel ja die Saison über beschlafen, dass immer jemand Vorort ist. Entweder der Leiter der Gastronomie oder meine Wenigkeit, um zu gewährleisten, wenn irgendwas sein sollte, dass immer wer Vorort ist. Gerade wenn wir Schlafgäste haben, falls die sich mal aussperren könnten oder was anderes vorfällt, dass man Hilfeleistung geben kann."
    Sogenannte Auswandererboote legen an der Inselfestung Wilhelmstein im Steinhuder Meer an
    Sogenannte Auswandererboote legen an der Inselfestung Wilhelmstein an (Alfried Schmitz)
    Großartig passiert ist zum Glück noch nichts. Auch ungebetene nächtliche Besucher kommen nicht auf die Insel, denn auf dem Steinhuder Meer besteht aus Umwelt- und Naturschutzgründen absolutes Nachtfahrverbot, das streng kontrolliert wird. Daher wird es nach Sonnenuntergang vollkommen ruhig und einsam auf Wilhelmstein. Wer die totale Abgeschiedenheit, die durchaus etwas Unheimliches haben kann, einmal erleben möchte, kann sich ein Zimmer in einem der historischen Gästehäuser mieten und die Ruhe bis zur Ankunft der ersten Touristen am Morgen genießen.
    Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe: "Ich denke, dass die Insel eine ganz eigene Atmosphäre hat, einen besonderen Charme, den vielleicht kein anderer Ort auf der Welt hat. Dass sie künstlich ist, spürt man, wenn man auf der Insel drauf ist, überhaupt nicht. Sie wirkt organisch gewachsen. Der alte Baumbestand gibt ihr eine sehr schöne Atmosphäre. Die alten Gebäude lassen Geschichte wieder lebendig werden. Das ist ein Ort, auf dem man sich wirklich wohlfühlen kann."
    Alexander Fürst zu Schaumburg Lippe ist Eigentümer der Festungsinsel, die von einem seiner Vorfahren, dem Militärexperten Graf Wilhelm, zwischen 1761 und 1765 aufgeschüttet und bebaut wurde. Die ausgeklügelte Festungsanlage hielt einer Belagerung durch die Hessen stand, diente später als Elite- Militärschule, wurde als ausbruchssichere Gefängnisinsel genutzt und ist heute mit dem Festungsmuseum und der Inselgastronomie eine Attraktion besonders für Tagestouristen.
    Die ersten kommen heute per Kanu. Vier muntere junge Männer. "Inselhausmeister" Christian Tatje muss einschreiten.
    Die Invasion beginnt
    "Guten Morgen! Ihr dürft gerne hier Pause machen! Darf ich Euch aber bitten, hinter das Boot zu fahren, denn da kommt ein großes Fahrgastschiff, welches hier anlegen möchte und dann würdet Ihr hier im Wege liegen."
    Eine amtliche Ansage. Die Vier haben ihr Kanu nicht so ganz im Griff und kommen dem ersten Fahrgastschiff, das an diesem Morgen anlegen will, gefährlich nahe. Aber alles geht noch mal gut.
    Zur gleichen Zeit ist auf der Stirnseite der Insel die Touristen-Invasion vom Festland schon in vollem Gange.
    Hier legen die sogenannten Auswandererboote an. Das sind etwa zehn Meter lange Holzjollen, die je nach Wetter- und Windverhältnissen wahlweise mit Segel oder Motorkraft zwischen Festland und Insel verkehren.
    Mit dem "Auswanderer" auf die Insel
    Dieter Bruns: "Ich hab hier einen Dreizylinder-Diesel unter. Natürlich werden unsere Schiffe auch ab und an gesegelt, heute, wie Sie selber sehen, wäre Segeln fast unmöglich, bei totaler Windstille, da macht das keinen Sinn. Auch wenn man hier 25 Leute an Bord hat, dann mit Segel, kleine Kinder eventuell noch dabei, das ist immer ein bisschen diffizil zu betrachten."
    28 dieser historischen Boote gibt es. Der Name Auswanderer erinnert daran, dass man in vorigen Jahrhunderten per Boot übers Steinhuder Meer ganz einfach von einem autonomen Fürstentum ins nächste gelangen, also quasi auswandern konnte. Es ist Familientradition, dass die Boote von einer Generation auf die nächste vererbt werden. Dieter Bruns, vor 35 Jahren aus Hannover nach Steinhude gezogen, hatte Glück. Er konnte vor einiger Zeit eines der begehrten Boote kaufen. Käpt‘n eines Auswandererbootes zu sein, ist für ihn ein Traumjob.
    "Jeden Tag andere Menschen an Bord zu haben, mit denen ins Gespräch zu kommen, denen was zu erklären… und es gibt durchaus viele nette Menschen, die man hier kennenlernt… das macht Spaß. Muss ich ganz ehrlich sagen."
    Inselbesuch im Stundentakt
    Die meisten Besucher bleiben nur knappe zwei Stunden auf der Insel, schauen sich das Festungsmuseum im Schnelldurchgang an, lassen sich kurz im Inselrestaurant oder am Imbissstand mit Getränken, einer flotten Mahlzeit, Kaffee und Kuchen versorgen, bis es wieder mit dem Linienschiff oder einem der Auswanderer zurück ans Festland geht.
    Noch eiliger hat es eine Gruppe von Ausflüglern, die mit dem Bus nach Steinhude gekommen sind und für die Insel nur knapp eine halbe Stunde eingeplant haben. Die Schiffshupe erinnert an das straffe Programm und mahnt zum Aufbruch.
    Käpt’n Manfred Tatje, genannt Teddy, ist der Bruder von Christian, den wir eben schon kennengelernt haben. Die beiden Brüder haben ein ganz besonderes Verhältnis zu Wilhelmstein.
    Teddy Tatje: "Für mich ist das ein Stück Heimat geworden über die Jahre. Ich bin als Sechsjähriger immer schon mit dem Großvater mitgefahren hierher mit dem Auswanderer. Und ich sag immer, hier ist wie Urlaub. Wir sitzen häufig auf der Insel, wenn man das Wetter genießen darf, besonders abends dann, wenn irgendwann Ruhe einkehrt."
    Belle Etage und dunkle Gänge
    Doch jetzt wird es Zeit zum Ablegen. Noch einmal kurz gehupt, damit auch alle Fahrgäste wieder an Bord kommen und dann geht es für die 30-Minuten-Inseltouristen wieder weiter.
    Ich habe noch etwas Zeit und bin mit Magdalena Fuhrmann verabredet. Mit ihr geht es jetzt in die Festung. Über Holztreppen gelangen wir von den kalten, feuchten, dunklen und zugigen Kasematten, wo sich früher einmal bis zu 150 Soldaten drängten und wo man heute alte Waffentechnik bestaunen kann, in die Belle Etage, die wie eine kleine Villa auf den dicken Festungsmauern thront.
    Magdalena Fuhrmann: "Aber hier kann man schon erkennen, hier könnte man wirklich einziehen. Schöne große Räume, ein Speisezimmer, ein Ankleideraum, ein Schlafraum."
    Dort wo im 18. Jahrhundert der Insel-Erbauer Graf Wilhelm und später die jeweiligen Inselkommandanten ganz feudal wohnten, kann man sich heute in nobler Nostalgie-Atmosphäre trauen lassen. In der Region der große Renner. Die Möblierung der Räumlichkeiten ist historisch. Einer der Tische ist noch von der letzten Trauung festlich geschmückt.
    Über weitere Holztreppen geht es nun über den Dachboden ganz hoch hinaus, auf den Aussichtsturm.
    "Ja, und der Aufstieg belohnt mit diesem tollen Blick hier. Und jetzt kann man auch ganz gut erkennen, weshalb der Graf Wilhelm das hierher gebaut hat. Und man kann hier auch schön, diese Sternschanzenform erkennen. Das war einfach die Form, in der man damals Befestigungsanlagen gebaut hat."
    Vom windumspielten Aussichtsturm und nach vielen Treppenstufen runter, geht es durch das Drängelgitter wieder nach draußen. Dort befinden sich die letzten Inselbesucher im Aufbruch und besteigen die Auswandererboote. Die Tische werden abgeräumt. Jede Menge Gläser, Besteck und Geschirr. Die Hinterlassenschaften eines turbulenten Tagesgeschäfts.