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Steinkohleförderung
Kohlehändler Seidelmann - einer der letzten seiner Art

Die letzte Zeche in Bottrop wird geschlossen, der deutsche Steinkohlebergbau endet. Und was machen die wenigen übrig gebliebenen Steinkohlehändler? Sie liefern, bis auch die letzten Kunden nicht mehr da sind. Willi Seidelmann und seine Geschwister zum Beispiel.

Von Jörg Marksteiner | 21.12.2018
    Eine Kohlerutsche in den Keller eines Hauses im Ruhrgebiet
    Kohlerutsche in den Keller - heute eher selten (Marksteiner/ Dradio)
    Es ist kurz nach sieben Uhr morgens, auf dem Betriebshof von Familie Seidelmann, mitten in Essen-Kray, wird der erste LKW beladen. Die Seidelmanns liefern Kohle aus. Ein Familienbetrieb seit 1889, in fünfter Generation.
    "Es gibt nicht mehr viele Händler. Hier im Umkreis von 15 Kilometer sind vielleicht noch zwei Kohlenhändler. Darum haben wir immer noch Zulauf. Gott sei Dank!"
    Mit 15 Mitarbeitern und acht Lkw versorgen Willi Seidelmann und seine Geschwister Privatkunden und Betriebe, die noch mit Kohle heizen. 8.000 reine Kohleheizungen gibt es noch in Nordrhein-Westfalen, dazu viele zusätzliche Kaminöfen. Und je kälter es wird, desto länger sitzt Bruder Thomas hinter dem Lenkrad:
    "Die Brandanrufe machen die Leute immer. Die rufen auch noch samstags nachmittags um 15 Uhr an. Also wenn’s kalt ist: Wann können wir die Kohle kriegen? Ja, wenn man fragt – also darf man ja gar nicht machen – also wann möchten Sie die Kohle denn haben, dann sagen die, ja, am liebsten gestern, ne"
    "Fährst du rückwärts raus? Nee, wir fahren gerade durch…"
    Lang vorbei: Kohlerutsche ins Bergmannshaus
    Während er den schweren LKW durch Gelsenkirchen steuert, erinnert sich Thomas Seidelmann an früher: Als sie in den Bergmannssiedlungen fast vor jedem Haus halten und durchs Kellerfenster abladen mussten. Lange her. Heute ist Thomas Seidelmann 20, manchmal 30 Kilometer nur zu einem Kunden unterwegs.
    "Mein Arbeitstag? Schwer zu sagen: 14 Stunden? Es gibt ja manche Tage, da fährst du 50, 60 Tonnen."
    Morgens sind die Privatkunden dran, nachmittags die Betriebe.
    "Wir müssen ja unsere Gartenbaubetriebe und so, die müssen wir ja auch beliefern. Weil das sind auch die Betriebe, die uns in den nächsten Jahren auch erhalten bleiben. Und wenn wir die jetzt nicht beliefern, und da gehen die Blumen kaputt, da sprechen wir ja mal eben von eine Million Töpfe und mehr. Die verheizen im Jahr so zwischen 300 und 500 Tonnen Kohle. Und wenn du die dann nicht belieferst, dann ist das nicht ganz so gut."
    Die Deputatkohle schafft Bindung
    Gärtnereien heizen oft noch mit Kohle, weil sie das anfallende CO2 fürs Pflanzenwachstum nutzen können. Abnehmer sind auch Gartenbau- und Dachdeckerfirmen. Die Hauptkunden sind aber ehemalige und aktive Bergleute.
    "Gibt's noch unheimlich viele von. Macht ja auch Spaß, da hinzufahren. Man kennt die Kunden, ist ja mit den meisten per Du sogar."
    Ihnen liefert Seidelmann Deputatkohle – heimische Kohle, die ihnen vertraglich zu steht. So, wie Brauerei-Beschäftigte Bierkästen erhalten. Doch wenn die letzte deutsche Zeche den Betrieb einstellt, dann fällt die heimische Kohle weg. Stattdessen bekommen die Bergleute dann Geld überwiesen.
    "Die meisten fahre ich wirklich schon 20 Jahre und länger. Die einen sagen dann: nee, jetzt ist Feierabend. Wir steigen um auf Gas. Und andere wiederum: Nee, auf jeden Fall, wir halten Kohle."
    Für viele Kunden ist die Steinkohle immer noch die beste Wahl:
    "Wir haben es mal ausgerechnet: Kommt auf das Gleiche raus. Die Wärme ist besser. Die Kohle heizt schön auf. So sind wir momentan noch bei Kohle. Solange das noch möglich ist."
    "Wie lange noch?"
    Gespräche über die Zukunft der Kohle führt Seidelmann oft:
    "Ich sage immer auch den Leuten im Augenblick, die so dann sagen: Wat meinste denn? Wie lang werden wir bei euch Kohle kriegen? So lange es Kohle gibt, werdet ihr bei uns auch immer Kohle kriegen. Weil wir sind auf jeden Fall da!"
    Wenn die Seidelmanns auf einem Umschlagplatz ihre Lkw neu beladen, unterscheiden sie genau, welcher Kunde welche Kohle bekommt. Wem keine heimische Deputatkohle zusteht, der bestellt meist die günstigere Importware aus aller Welt.
    "Also die wir hier haben: England, also Wales. Argentinien, Venezuela, Kolumbien – eigentlich überall."
    Damit sieht es in vielen Öfen von Privatkunden nicht anders aus als in den deutschen Großkraftwerken. Auch dort wird schon seit Jahren zu weit über 90 Prozent Importkohle verbrannt. Deshalb müssen sie sich jetzt auch nicht groß umstellen: Franz-Josef Wodopia vom Verband der Kohlenimporteure:
    "Unser Hauptlieferland ist jetzt Russland. Dann kommen die USA und Kanada, Australien. Und natürlich auch Kolumbien."
    Die Lücken füllt Importkohle
    Auf dem Weltmarkt ist Steinkohle nur halb so teuer wie in Deutschland, wo sie aus über 1.000 Meter Tiefe gefördert werden muss. Deshalb ist es billiger, sie per Schiff um die halbe Welt zu schicken, als sie von der Zeche nebenan zu holen:
    "Das Erstaunliche ist, dass die Werte relativ niedrig sind. Also , sie brauchen selbst aus Australien keine 20 Dollar pro Tonne. Und wenn Sie jetzt aus Kolumbien und Südafrika aus Kolumbien nach Europa fahren, sind das vielleicht gut 10 Dollar."
    Bei einem Gesamtpreis von rund 100 Dollar pro Tonne. Ein Drittel der Kohle geht in die Eisen- und Stahlindustrie, zwei Drittel verbrennen die Energieversorger.
    Und gerade die Multis wie RWE, Uniper, Vattenfall oder EnBW bekommen immer wieder zu spüren, dass Importkohle auch ihre Schattenseiten hat. Auf den Aktionärstreffen kritisieren Menschenrechtler regelmäßig die fehlenden Sozial- und Umweltstandards, etwa in Kolumbien:
    "Sie als Käufer der Kohle haben die Verantwortung, weil sie die Bergwerksunternehmen unterstützen. Und diese Unternehmen sind die, die bei uns die Gemeinden zerstören, die unsere Umwelt kaputt machen."
    Auch viele Fonds- und Investmentgesellschaften stufen einen hohen Kohleanteil, auch aus Klimaschutzgründen, zunehmend als Risiko ein.
    Das Ende ist absehbar
    Das Ende der heimischen Förderung, die Debatte über den Klimaschutz. Auch Kohlenhändler Seidelmann fragt sich, was über auf seinen Betrieb zukommt. Im Sommer transportieren sie auch Getreide. Doch das ist ein Nebenverdienst. Für den meisten Umsatz sorgt die Kohle:
    "Nee, ist leider so, Kohle ist auf 'm absteigenden Ast. Aber man weiß ja nicht, was kommt. Wie viel Kunden bleiben? Wenn man hinterher nur noch 30 Kunden hat, kann man keinen Betrieb mit aufrecht halten."