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Steinmeier: Das Rennen ist noch offen

Trotz schlechter Umfragewerte tue die SPD alles dafür, die Perspektive für Rot-Grün bei der Bundestagswahl aufrecht zu halten, sagt Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef im Bundestag. Vorbereitungen für eine große Koalition gebe es nicht.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 18.09.2013
    O-Ton Andrea Nahles: "Wir haben in Bayern noch nie die Bäume in den Himmel wachsen sehen als Sozialdemokraten und gemessen daran und vor allem, seitdem wir auch in den letzten Wochen immer Umfragen hatten, wo wir hinten lagen, also hinter dem Ergebnis, was wir jetzt erreicht haben, fanden wir das ein gutes Ergebnis."

    Dirk-Oliver Heckmann: 20,6 Prozent – das Wahlergebnis für die Sozialdemokraten in Bayern fiel ernüchternd aus, auch wenn sich SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, wie gerade gehört, bemühte, dem Ergebnis etwas Positives abzugewinnen, nämlich einen Stimmenzuwachs von zwei Prozentpunkten. Rückenwind jedoch sieht anders aus für die Bundestagswahl. In sämtlichen Umfragen ist die SPD weit von der 30-Prozent-Marke entfernt. Und auch der Wunschkoalitionspartner, die Bündnis-Grünen schwächeln. Wurden sie nach Fukushima noch bei fast 25 Prozent gesehen, drohen sie nun, ein einstelliges Ergebnis einzufahren. Das Steuerkonzept, der Veggie Day, die Vorwürfe in Sachen Pädophilie, sie bleiben nicht ohne Wirkung. Am Telefon ist jetzt Frank-Walter Steinmeier, Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Steinmeier.

    Frank-Walter Steinmeier: Guten Morgen, Herr Heckmann. Ich grüße Sie.

    Heckmann: Die Generalsekretärin Andrea Nahles spricht bei 20,6 Prozent bezogen auf Bayern also von einem guten Ergebnis. Sind Ihre Erwartungen schon so heruntergeschraubt?

    Steinmeier: Nein. Ich glaube, der Wahlabend am letzten Sonntag hat doch gezeigt, dass wir Ergebnisse nicht versuchen umzudeuten. Ich und viele andere haben ganz klar von Berlin aus gesagt, der Gewinner dieser Wahl in Bayern ist die CSU. Sie hat das erreicht, was wir zu verhindern versucht haben, nämlich die absolute Mehrheit. Daran gibt es nichts rumzudeuteln, auch nicht an dem notwendigen Respekt vor dem Sieger dieser Wahl. Gleichwohl bleibt die Betrachtung unserer Zahlen, die haben Sie eben angestellt. Wir hätten uns mehr gewünscht als die zwei Prozent, die wir obendrauf gelegt haben. Als Christian Ude in die Kanzlerkandidatur kam, lagen wir noch bei, ich weiß nicht, 15, 16 Prozent, etwa in der Größenordnung. Insofern zeigt sich, es war der richtige Spitzenkandidat, der auch die Partei mit nach oben gezogen hat. Wir hätten gern mehr als diese zwei Prozent obendrauf gekriegt, aber die sind es immerhin geworden.

    Heckmann: Und Sie sehen tatsächlich auf Bundesebene, um jetzt darauf zu sprechen zu kommen, Herr Steinmeier, noch reale Chancen für Rot-Grün, oder muss man da eher auf Autopilot geschaltet sein, um da noch dran zu glauben?

    Steinmeier: Was heißt Autopilot? Ich meine, Sie sehen dieselben Umfragen, wie ich sie sehe, und die Umfragen, die ich gestern noch einmal gesehen habe: Ich kann sie nicht ignorieren. Sie werden nicht das Wahlergebnis bis auf die Stelle hinterm Komma voraussagen können.

    Heckmann: Aber Rot-Grün, Herr Steinmeier, ist laut den Umfragen ja nun meilenweit von einer Mehrheit entfernt.

    Steinmeier: Ja, aber trotzdem bleibt doch der Fakt, dass das Rennen jedenfalls offen ist. Und was soll ein Wahlkämpfer in einer solchen Situation tun, als dafür zu sorgen, dass die eigene Partei stark wird. Und das tue ich, gestern in Recklinghausen, in Bottrop, in Velbert, in Düsseldorf, und ich werde es heute in vielen Städten in Hessen tun. Das werde ich tun und deshalb kann ich nur vorschlagen, Herr Heckmann, dass wir bei unseren unterschiedlichen Berufungen bleiben. Sie müssen mit diesen Zahlen umgehen und Koalitionsspielchen machen und Spekulationen anstellen. Ich muss das tun, was meine Aufgabe ist: jetzt zu versuchen, die SPD so stark wie irgendwie möglich zu machen für den nächsten Sonntag.

    Heckmann: Herr Steinmeier, es ist nachvollziehbar, dass Sie das sagen. Jetzt hat Sigmar Gabriel aber in einer Wahlkampfrede gesagt, wenn die FDP unter fünf Prozent bleibe, dann gebe es gute Chancen auf Rot-Grün. Glauben Sie denn wirklich, dass die Liberalen an dieser Hürde scheitern? Derzeit macht sich die Union ja eher Sorgen, dass die Zweitstimmen-Kampagne zu erfolgreich wird, wie man ja auch in Niedersachsen gesehen hat.

    Steinmeier: Ja. Auch das ist eine der offenen Fragen und am Ende auch nicht nur eine Frage des Glaubens. Wir sind nach Bayern in einer offenen Situation. Nicht ganz unerwartet, aber doch sehr deutlich hat die FDP in Bayern verloren. Ich mach mir jetzt gar nicht deren Kopf. Ich habe auch keine große Lust, über die Lage der FDP zu reden. Aber immerhin ist es doch so, dass nach Bayern keineswegs sicher ist, dass die FDP in den Bundestag einzieht. Ob die Regierungsparteien, die jetzigen Regierungsparteien sich untereinander streiten wie die Kesselflicker darüber, ob Zweitstimmen-Kampagnen gerechtfertigt sind und wie sie am Ende ausgehen, das ist deren Problem, nicht mein Problem. Ich muss jedenfalls mit der Möglichkeit auch rechnen, dass die FDP nicht im Deutschen Bundestag ist. Genau das hat Sigmar Gabriel in seiner Rede getan. Und deshalb bleibt es dabei, dass wir natürlich alles dafür tun in diesen letzten Tagen, die wir jetzt noch vor uns haben, um die Perspektive für Rot und Grün aufrecht zu halten.

    Heckmann: Wenn es so ist, können Sie es natürlich jetzt hier im Deutschlandfunk nicht sagen, aber die politischen Beobachter in Berlin, die pfeifen es wie die Spatzen von den Dächern: Intern stellt sich die SPD bereits längst auf eine Große Koalition ein.

    Steinmeier: Ja, das wird behauptet. Ich lese das auch wie Sie. Und dass die Beobachter das tun, das ist ja auch in Ordnung so. Das sollen die auch tun. Nur ich meine, wo sind die Anhaltspunkte für die Berichterstattungen, die ich in den letzten Tagen gelesen habe? Ich meine, ich komme ja nun regelmäßig zusammen, auch in diesen letzten Tagen des Wahlkampfes, mit denjenigen, auf die es angeht. Und da kann ich Ihnen nur sagen, dort sehe ich nichts von der Vorbereitung auf die Große Koalition, wo in der Berichterstattung jedenfalls regelmäßig die Rede davon ist.

    Heckmann: Na ja, gut. Wenn Peer Steinbrück im kleinen Kreis sagt, er bereitet sich darauf vor, die Verhandlungen dann auch mit der CDU führen zu wollen, ähnlich wie das Gerhard Schröder 2005 gemacht hat, dann muss man sagen, da hat sich ein Kandidat aufgegeben, oder?

    Steinmeier: Ich kenne seine Aussage, und zwar nicht nur aus einem Gespräch, sondern aus vielen Gesprächen, dass der Wahlsonntag für ihn sozusagen nicht der letzte Tag ist, sondern dass er bis zu diesem Tag dafür kämpft, dass die SPD eine Perspektive für Regierungsverantwortung hat, dass es eine Perspektive bleibt für Rot und Grün, und dass er nicht am Sonntagabend bei welchem Ergebnis auch immer in den Sack haut und sagt, jetzt ohne mich und alles andere müssen andere verantworten. Das ist doch das, was er gesagt hat. Und ich finde, daraus kann man doch jetzt nicht eine Geschichte stricken, dass Peer Steinbrück irgendwo gesagt habe, dass er sich auf eine Große Koalition oder Verhandlungen für eine Große Koalition vorbereite. Ich finde, wir sollten das jetzt auch mal ein bisschen unaufgeregt betrachten und schlicht und einfach das tun, was jedes Berufes Sache ist. Wir müssen den Respekt vor dem Wähler haben am kommenden Sonntag. Wir müssen in Demut abwarten, was er entscheiden wird. Und am Ende, glaube ich, bleibt auch den Medien und den Journalisten nichts anderes übrig.

    Heckmann: Herr Steinmeier, lassen Sie uns noch mal kurz über das Titelbild des letzten "SZ"-Magazins sprechen, das mit dem ausgestreckten Mittelfinger. Sigmar Gabriel hat gesagt, Steinbrück habe den Medien den Mittelfinger gezeigt und nicht etwa dem normalen Wähler oder der Wählerin. Sind die Medien also die natürlichen Feinde der Sozialdemokratie?

    Steinmeier: Ach Quatsch! Ich glaube nicht, dass Sigmar Gabriel das sagen wollte.

    Heckmann: Er hat es aber gesagt. Er hat gesagt, den Medien habe er den Mittelfinger gezeigt.

    Steinmeier: Ich glaube, es ging in diesem Interview um die Frage, was Peer Steinbrück von der Berichterstattung über seine Person den Sommer hinweg hält. Daraufhin hat er eine Geste gemacht. Das ist eine erkennbar ironische Geste und ich glaube, inzwischen haben wir jetzt auch lange darüber diskutiert, lange genug. Wir sollten uns in den letzten Tagen wieder den politischen Inhalten zuwenden, über die zurecht diskutiert wird.

    Heckmann: Sieht sich denn die SPD einer Medien-Kampagne ausgesetzt?

    Steinmeier: Nein, das ist nicht meine Auffassung. Klar, einige Journalisten sind festgelegt auf die Frage, wer diese Wahl gewinnen sollte, aber das sehe ich jetzt nicht durchweg sozusagen in den deutschen Medien der Fall. Ich finde, wir haben eine offene Situation, die ist auch in den letzten Wochen aus meiner Perspektive eher wieder offener geworden, weil auch viele verunsichert sind. Auch diejenigen, die das Rennen immer schon lange für gelaufen gehalten haben, sehen jetzt doch, dass sich da etwas bewegt, nicht nur in den Umfragen, sondern auch in den Veranstaltungen. Insofern sehe ich weder eine Kampagne noch eine völlig ungerechte Behandlung der SPD. Dass Peer Steinbrück in diesem bebilderten Interview auf eine Frage, wie er die Berichterstattung in den Medien über seine Person fand, so reagiert hat, das war doch eine erkennbar gewollte und ironische Antwort.

    Heckmann: Was ging Ihnen da durch den Kopf, als Sie das gesehen haben?

    Steinmeier: Ich finde, das ist etwas, was man diesem Menschen Steinbrück, der kantig ist und anders ist als viele andere, der auch das deutliche Wort nicht scheut, zugetraut hat, und das hat er getan.

    Heckmann: Herr Steinmeier, ein anderes Problem macht sich auf. Ihr Wunschkoalitionspartner, die Bündnis-Grünen, die schwächeln. Die haben sich mit ihrem Steuerkonzept, dem Veggie Day, jetzt auch mit den Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Umgang mit der Pädophilie in die Defensive bringen lassen. Ist es noch Zeit für die Grünen, ihre Fehler zu korrigieren?

    Steinmeier: Ich meine, das sind ja auch Vorwürfe von ganz unterschiedlichem Gewicht. Über Steuerpolitik muss man reden, das haben wir bei Ihrem Kollegen Plasberg vorgestern Abend in aller Ausführlichkeit getan, mit unterschiedlichen Perspektiven. Was den Veggie Day angeht, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, verstehe ich die ganze Debatte nicht. Ich glaube nicht, dass die Grünen irgendwo gesagt haben, dass wir jetzt ein Gesetz erlassen, in dem Fleischverbot an einem bestimmten Tag herrschen soll.

    Heckmann: Trotzdem fühlen sich die Leute bevormundet.

    Steinmeier: Ja! Aber da regt mich eher auf, dass es auch kein Korrektiv gibt bei denjenigen, die eigentlich sagen müssten, nun lasst mal diese Scheindebatten und lasst uns ernsthaft über Politik reden. Denn es gibt ja ein paar Fragen zu klären in diesem Lande, ob die Menschen in der Lage sind, von ihrem Lohn für die Arbeit auch leben zu können, ob wir genügend Pflegekräfte haben, und wenn ja, zu welchen Bedingungen, ob junge Familien einen Kita-Platz für ihr Kind finden. Das sind doch die Fragen, die interessieren. Mit diesem Veggie Day, das habe ich sehr, sehr als oberflächlich empfunden.

    Heckmann: Das mit dem Veggie Day scheint ja die eine Seite zu sein. Aber die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Pädophilie, da müssten doch bei Ihnen eigentlich die Alarmglocken schrillen, wenn eine Woche vor der Bundestagswahl solche Vorwürfe aufkommen.

    Steinmeier: Ja, ich glaube, das wird auch bei den Grünen nicht anders gesehen. Das ist ja nicht nur eine unangenehme Debatte, die auf eine unangenehme Vergangenheit hinweist. Sondern das ist natürlich jetzt ein paar Tage vor der Wahl auch etwas, was die Menschen bewegt und jedenfalls keinen Zulauf für die Grünen organisiert. Insofern verstehe ich ja auch das Bemühen, erstens um schnellstmögliche und gründlichste Aufklärung der Vorwürfe, die da stattgefunden haben. Und ich habe auch Respekt vor der Art und Weise, wie Jürgen Trittin sich öffentlich jetzt dazu geäußert hat, indem er bekannt hat, das war ein Fehler, ein Irrtum seiner eigenen Partei in einer Frage, die ja gefährlichen Unsinn behauptet hat und das auch noch in Parteiprogramme hineingeschrieben hat. Er persönlich hat sich von dieser Vergangenheit glaubwürdig distanziert. Aber gleichwohl ist es so: Das ist natürlich ein Vorgang, der jetzt in der letzten Woche vor den Wahlen für die Grünen ausgesprochen unangenehm ist.

    Heckmann: Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier, war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Steinmeier, danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag.

    Steinmeier: Ich danke Ihnen, Herr Heckmann. Tschüß!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.