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Steinmeier: Festlegung auf Rot-Grün ist richtig

Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, hält das Bekenntnis zu Rot-Grün für richtig. "Ich glaube schon, dass Sozialdemokraten damals in diesem Kabinett die Leistungsträger waren", sagt er über die Große Koalition. Aber profitiert habe die SPD davon nicht.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Doris Simon | 10.12.2012
    Doris Simon: Am Telefon ist jetzt Frank-Walter Steinmeier, der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Bundestag. Guten Morgen!

    Frank-Walter Steinmeier: Guten Morgen, Frau Simon!

    Simon: Herr Steinmeier, Sie waren ja vor vier Jahren in derselben Situation wie Peer Steinbrück gestern in Hannover auf dem Wahlparteitag der SPD. Wie denken Sie heute daran und darüber?

    Steinmeier: Na ja, ich kann mich gut erinnern, dass insbesondere die Tage vorher natürlich eine Phase höchster Anspannung sind. Man bekommt viele Zurufe von allen Seiten, natürlich aus der Partei, manchmal auch von Freunden und Bekannten von außen. Und es ist vor allen Dingen ein Riesenwust an Vorschlägen, den man zu verarbeiten hat, bevor man dann an die Endfassung einer solchen Rede kommt. Und das Aussortieren und das Justieren hin auf eine besondere Parteitagssituation, das ist das schwierige und das hat Peer Steinbrück gestern – das haben, glaube ich, alle so gesehen und so bewertet, wie ich heute Morgen in den Zeitungen lese – wunderbar hinbekommen.

    Simon: Herr Steinmeier, Sie haben ja damals mehr Stimmen erhalten als Peer Steinbrück. Der kam gestern auf 93,5 Prozent. Heißt das was?

    Steinmeier: Das heißt gar nichts. Ich meine, das liegt so nahe beieinander, dass ich daraus überhaupt gar keinen Unterschied machen würde. Man darf auch nicht ganz vergessen: Die Situation 2009 war noch mal eine ganz andere. Das war schon eine Depression natürlich innerhalb der Partei, nachdem Kurt Beck seine Position verlassen hat und es fast eine Weile lang ziemlich ausweglos erschien, sich neu aufzustellen. Und in so einer Diskussion, als die Dinge dann gelöst waren, war es im Vergleich zu heute für mich damals vielleicht sogar eine etwas einfachere Situation und deshalb auch das vergleichsweise hohe Maß an Zustimmung. Ich würde bei diesen Zustimmungsraten von über 90 Prozent da wirklich auch keine Unterschiede machen.

    Simon: Nach diesen großen gegenseitigen Liebesbekundungen, die wir gestern auf dem Parteitag in Hannover gesehen haben, hat sich da die SPD mit Haut und Haaren jetzt Peer Steinbrück verschrieben, oder hat sich der Kandidat bewegt und aufgeschlossen zur SPD, zu der er zeitweise so ein bisschen Abstand hatte?

    Steinmeier: Ja, Liebesbekundungen, das habe ich heute Morgen auch das ein oder andere Mal in den Kommentaren in der Presse gesehen. Das klingt für mich so etwas süßlich. Das, was gestern passiert ist in dieser Rede oder auf diesem Parteitag, ist doch, dass nicht nur einige Parteitagsdelegierte, vielleicht einige, die in der Vergangenheit auch etwas in Distanz zu Peer Steinbrück gestanden haben, sondern auch breite Teile der Öffentlichkeit ein bisschen erstaunt waren. Jeder wusste, dass Peer Steinbrück jemand ist, der die Köpfe der Menschen, auch die Köpfe der Parteitagsdelegierten relativ schnell erreicht, der überzeugend auftreten kann, der klar formulieren kann. Die spannende Frage war ja für viele – und viele haben das mit Skepsis vorher kommentiert -, wird das auch ein Peer Steinbrück sein, der die Herzen der Delegierten, die Herzen der SPD erreicht. Und das ist doch das, was er gestern ohne alle Süßlichkeit, sondern indem er sich in die große Tradition einer SPD mit 150 Jahren Geschichte hineingestellt hat und sich dort verortet hat. Ich glaube, das war der entscheidende Punkt dieser Rede, die deshalb auch für die Parteitagsdelegierten so glaubwürdig herübergekommen ist. Und wenn man sich den Applaus am Ende anschaut, Frau Simon: Viele haben ja vorausgesagt, na ja, der Parteitag, weil es ja der einzige Kandidat ist, Steinbrück, der wird sich diszipliniert verhalten. Aber das war eben etwas anderes als disziplinierter Beifall; das war herzlicher Beifall und das zeigt, dass die Rede, dass Peer Steinbrück in diesem Saal und ich würde behaupten darüber hinaus schlicht und einfach angekommen ist. Die Delegierten fühlten sich angenommen und die Öffentlichkeit ist überzeugt, dass es der richtige und beste Kandidat ist.

    Simon: Wie ist denn Ihre Einschätzung, wie belastbar diese neue Harmonie ist? Sie wissen ja selber am besten: Die SPD kann ja eine ganz schön zickige Madame sein.

    Steinmeier: Ja, wer sich eine einfache Partei aussucht, der wird sie nicht unbedingt so schnell in der SPD finden. Die SPD ist immer diskussionsfreudig gewesen und ich glaube, das darf man auch für die Zukunft erwarten. Sie wird es bleiben. Es wird sicherlich in den Diskussionen um die Verabschiedung eines Parteiprogramms auch Diskussionen zwischen unterschiedlichen Teilen der Partei geben. Ich weiß noch nicht, ob das immer notwendigerweise als Nachteil empfunden wird. Angekommen ist in der SPD, dass wir diese Wahlen im Jahre 2013 nur dann gut bestehen werden, wenn wir das in größter Geschlossenheit tun. Das hat sich zumindest gestern gezeigt und wir wollen jedenfalls viel dafür tun, dass das auch im kommenden Jahr erhalten bleibt.

    Simon: Peer Steinbrück hatte ja in der Finanzkrise, damals in der Großen Koalition, das Image des kompetenten Retters, auch als Finanzminister. Das Thema ist aber inzwischen komplett von der Bundeskanzlerin besetzt worden. Setzt die SPD auch deshalb auf das Thema soziale Gerechtigkeit, was ganz anderes?

    Steinmeier: Nein! Ich glaube, man muss ein bisschen unterscheiden. Das Thema soziale Gerechtigkeit ist das Pflichtthema der SPD. Die SPD kann sich aus ihrer Geschichte überhaupt nicht entscheiden, ein anderes Feld zu besetzen. Wir haben ein Wählersegment, wir haben einen Ausschnitt von Wählern, die zu uns gehören, die auf uns vertrauen, die von uns erwarten, dass wir das Thema soziale Gerechtigkeit tatsächlich besetzen. Und die Frage ist ja auch: wer, wenn nicht wir? Wer ist die Partei im Spektrum im deutschen Parlament oder derjenigen, die sich in der Bundestagswahl bewerben, wer ist die Partei, die sich um die sogenannten kleinen Leute, die ja nicht klein sind, sondern wer ist die Partei, die sich um diejenigen kümmert, die da jeden Tag zur Arbeit gehen, sich mit dem Lohn für ihre Arbeit versuchen, ihre Familie zu ernähren. Und für viele es eben so ist, dass es am Monatsende eben doch nicht reicht? Dafür ist die SPD da, darum müssen wir uns kümmern.

    Peer Steinbrück ist jemand – und das ist sein unendlicher Vorteil -, der darüber hinausgreift. Und eine Passage in seiner Rede widmete sich ja dieser Frage: Wie nämlich gelingt es uns, Wahlen zu gewinnen, indem wir das Thema soziale Gerechtigkeit mit Engagement, mit großer Glaubwürdigkeit besetzen, aber vor allen Dingen eben wissen, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Und auch dafür ist Peer Steinbrück der Kandidat, der verspricht, dass wir da zusätzlich Überzeugungsarbeit erfolgreich leisten können, das heißt auch Stimmen für die SPD gewinnen können im nächsten Jahr.

    Simon: Aber, Herr Steinmeier, wenn Sie sagen, in der Mitte werden die Wahlen gewonnen, das wissen wir alle. Wieso hat sich Peer Steinbrück dann so ausdrücklich zu Rot-Grün bekannt? Viele Wähler fanden die Große Koalition ja nicht so schlecht. Wie klug ist eine solche Vorfestlegung?

    Steinmeier: Dass viele Wähler die Große Koalition nicht schlecht fanden, höre ich in diesen Tagen immer wieder – übrigens auch von Ihren Kolleginnen und Kollegen, die das inzwischen sagen. Geschrieben hat es damals keiner, wenn ich mich recht erinnere. Und für uns ist diese ganze Geschichte in größter Offenheit, Frau Simon, nicht gut ausgegangen. Ich glaube schon, dass Sozialdemokraten damals in diesem Kabinett die Leistungsträger waren. Wir hatten einen Finanzminister, der für die Wege aus der Krise nach Lehman Brothers stand. Wir hatten einen Arbeitsminister, der Brücken über die Krise hinweggebaut hat. Ich glaube schon, dass das Leistungsträger in diesem Kabinett waren, die vor allen Dingen aus der SPD kamen. Gerechnet hat sich das am Ende für uns nicht. Alles das, was gelungen ist, fiel in der Großen Koalition sozusagen ins Säckchen des größeren Koalitionspartners. Und da ist bei uns bei der Wahl nicht viel übrig geblieben, nicht viel herausgekommen. Deshalb verstehen Sie vielleicht, verstehen auch die Zuhörer, dass wir jedenfalls nach einer Wiederholung dieser Großen Koalition nicht unbedingt gieren.

    Umgekehrt und positiv formuliert: Es hat ja Phasen in der Republik gegeben, in denen sich dieses Land wirklich nach vorne bewegt hat, in denen die Weichen neu gestellt worden sind, gesellschaftspolitisch auf der einen Seite, arbeitsmarktpolitisch, wirtschaftspolitisch auf der anderen Seite. Und das waren ja merkwürdigerweise Zeiten, in denen nicht Union und FDP regiert haben, auch nicht die Zeiten der Großen Koalition, sondern diese Weichenstellungen haben stattgefunden unter Rot-Grün. Und deshalb spricht vieles dafür, dass wir den nächsten Schritt der Modernisierung von Staat und Gesellschaft in dieser Kombination noch einmal anstreben. Und das ist die Koalition von Sozialdemokratie und Grünen.

    Simon: Haben Sie übrigens Peer Steinbrück aus Ihrer Erfahrung von vor vier Jahren vor einigen Fehlern und Fallen gewarnt?

    Steinmeier: Na ja, Peer Steinbrück war ja vor vier Jahren nicht völlig entfernt. Erstens waren wir beide miteinander persönlich und politisch befreundet. Er hat den Wahlkampf ja nicht nur von einer Außenposition beobachtet, sondern wir waren ja in diesem Wahlkampf 2009 auch häufig gemeinsam unterwegs. Natürlich: Rückblickend fällt einem eher auf, was man in so einer Situation vielleicht auch hätte anders machen können. Aber im Kern, mal abgesehen davon, dass man nicht nur richtige Entscheidungen trifft und nicht nur erfolgreich Fehler vermeidet - das gilt auch für mich oder war in diesem Wahlkampf ganz genauso -, abgesehen davon: Es war eben auch in diesem Sommer 2009 nach elf Jahren Regierungszeit der SPD eine Stimmung, auch medial unterstützt, wo das, was dann kam, nämlich eine schwarz-gelbe oder eine Koalition aus Union und FDP, für viele so etwas wie eine Erlösung war – eine Erlösung von dem, was vorher war, mit geradezu messianischen Hoffnungen, die auf diese neue Koalition von Union und FDP gesetzt wurden. Das ist ja relativ schnell einer großen Ernüchterung gewichen und heute trifft man ja kaum noch jemanden, der zugibt, in diesem Sommer 2009 FDP gewählt zu haben. Das schlägt sich auch jetzt im Augenblick in den Umfragen nieder.

    Simon: Herr Steinmeier, ist zwar schwierig für Sie als früherer Außenminister, aber wir versuchen es mit der Bitte um eine kurze Antwort. Heute wird ja in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen an die Europäische Union. Trügt der Eindruck, die EU bekommt den Preis auch deshalb, weil sie in der Krise, im Zustimmungstief dringend ein bisschen symbolische Aufmunterung braucht?

    Steinmeier: Die Antwort ist gar nicht so schwer. Ich gebe Ihnen zu: Ich war überrascht, aber ich glaube, dass es nicht nur Ermunterung in einer Situation der Krise oder Akzeptanzkrise für die Europäische Union ist, sondern ich glaube, es ist auch Belohnung dafür, Respekt davor, dass es mit dieser Europäischen Union gelungen ist, 60 Jahre Frieden in Europa zu gewährleisten, doch in vielen Ländern Wohlstand befördert zu haben, einen anderen Umgang zwischen den Staaten und den Völkern zu gewährleisten. Und ich glaube darüber hinaus auch der Auftrag und die Mahnung an die Europäer, das für die Zukunft ebenfalls sicherzustellen.

    Simon: Frank-Walter Steinmeier war das, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Bundestag. Herr Steinmeier, vielen Dank und schönen Tag.

    Steinmeier: Danke, Frau Simon. Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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