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AfD-Posten im Bundestagspräsidium
"Im Endeffekt hat das mit Kindereien zu tun"

Der AfD-Abgeordnete Hansjörg Müller sieht in der gescheiterten Wahl von Mariana Harder-Kühnel zur Bundestags-Vizepräsidentin eine unangemessene Abstrafung seiner Partei. "Die Meinung in der Fraktion ist sehr klar, dass wir jetzt mal eine gewisse Stärke zeigen müssen, dass man mit uns nicht alles machen kann", sagte Müller im Dlf.

Hansjörg Müller im Gespräch mit Christoph Heinemann | 05.04.2019
Hansjörg Müller am 20.2.2018 bei einer Fraktionssitzung der AfD im Bundestag
Hansjörg Müller, Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages und Bundesvorsitzender des AfD-Mittelstandsforums im Wahlkreis Traunstein in Bayern (imago / Christian Ditsch)
Christoph Heinemann: Die Umfragewerte der AfD bewegen sich bundesweit weiterhin auf zweistelligem Niveau, Tendenz im Augenblick zumindest nicht steigend. Heute veröffentlichen Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR weitere Details über die Spendenaffäre, in die Spitzenleute der Partei verwickelt sind. Bei der Spende zu Gunsten der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel führt eine Spur in das Umfeld des aus Duisburg stammenden, in der Schweiz und London lebenden Immobilien-Milliardärs Henning Conle. Und gestern wieder nichts: Auch im dritten Anlauf ist die AfD-Fraktion mit dem Versuch gescheitert, eine Abgeordnete zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages wählen zu lassen. Im dritten Wahlgang hätte Mariana Harder-Kühnel nur noch eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen benötigt. Die wurde deutlich verfehlt und damit ging es ihr wie zuvor Parteifreund Glaser.
Am Telefon ist Hansjörg Müller, einer der vier Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Wahlkreis Traunstein in Bayern. Guten Morgen!
Hansjörg Müller: Guten Morgen, Herr Heinemann.
"Dann wäre der Demokratie Genüge getan"
Heinemann: Herr Müller, was hätte Ihnen gestern Besseres passieren können?
Müller: Es hätte uns Besseres passieren können, Frau Harder-Kühnel wäre gewählt worden. Dann wäre nämlich erstens der Demokratie Genüge getan. Und zweitens: Wir hätten jetzt diese weiteren Diskussionen zu diesem undankbaren Thema endlich vom Tisch. Und zwar argumentiere ich aus dem Sinne unseres Landes.
Sie wollen natürlich fragen, ob wir das jetzt irgendwie nutzen können. Das ist mir schon klar. Aber ich denke, hier sollte das Interesse unseres Landes vor das Interesse der AfD gehen.
Heinemann: Bitte beantworten Sie gleich auch die selbstgestellte Frage.
Müller: Ich sagte doch, dass Sie wahrscheinlich gemeint haben, ob wir als AfD das jetzt nutzen können, in die Opferrolle zu gehen und so weiter, dass Frau Mariana Harder-Kühnel nicht gewählt wurde. Ich halte aber das nicht für in Ordnung, auch wenn wir das jetzt nutzen können in der Öffentlichkeit, weil es sollte der Nutzen der Bundesrepublik Deutschland vorangehen. Es sollte der Nutzen der Demokratie vorangehen und nicht der Nutzen einer einzelnen Partei oder einer einzelnen Fraktion. Insofern wäre es für unser Land und für die Demokratie viel, viel besser gewesen, Frau Harder-Kühnel wäre gewählt worden und wir müssten dieses Thema jetzt nicht mehr diskutieren.
Harder-Kühnel steht im blauen Kleid und schwazem Jackett inmitten zahlreicher Abgeordneter. Sie sticht heraus, weil ihr Gesicht von der Sonne angestrahlt wird. 
04.04.2019, Berlin: Mariana Harder-Kühnel (m.)-AfD-Kandidaten für das Amt der Bundestags-Vizepräsidentin, vor der Abstimmung im Parlament. (Jörg Carstensen/dpa)
Heinemann: Wen werden Sie als nächstes zur Wahl stellen?
Müller: Sie kennen ja das, was wir gestern beschlossen haben in dieser schnell anberaumten Fraktionssitzung, dass wir gesagt haben, oder dem ging natürlich eine interne Diskussion voran, was wollen wir jetzt eigentlich machen. Und die Linie ist eigentlich ganz klar. Wir haben jetzt sechsmal, um mit der Bibel zu sprechen, die linke Backe hingehalten und haben dann aber sechsmal auf die rechte Backe auch noch eine Watsche draufgekriegt. Dreimal ist Herr Glaser nicht gewählt worden und dreimal Harder-Kühnel, und dann ist die Meinung in der Fraktion sehr klar, dass wir jetzt mal eine gewisse Stärke zeigen müssen, dass man mit uns nicht alles machen kann, dass wir auch hier unseren Stolz haben, dass das so nicht geht. Deswegen haben wir dann beschlossen, dass wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit praktisch einen nach dem anderen AfD-Parlamentarier aufstellen werden, bis der dann irgendwann mal gewählt wird, und da haben wir ja immer noch 90 Leute zur Verfügung.
Heinemann: Haben Sie Signale bekommen, dass andere Kandidatinnen oder Kandidaten gewählt würden?
Müller: Nein, überhaupt nicht, sondern das ist eine Entscheidung von uns heraus, aus dieser auch Motivation heraus, dass wir jetzt einfach zeigen wollen, man kann mit uns nicht alles machen. Das ist unsere eigene Entscheidung und uns ist ziemlich klar, dass von uns niemand gewählt wird. Ich sitze jetzt hier in meiner Wohnung, da hängt ein Bild an der Wand. Wenn wir das Bild aufstellen würden, würde das auch nicht gewählt werden, weil es von der AfD kommt.
Sandkastenspiele auf Kindergarten-Niveau
Heinemann: Was antworten Sie jenen, die jetzt einwenden könnten, das klingt doch sehr nach beleidigter Leberwurst?
Müller: Da können wir einwenden: Wer hat denn mit den Kindereien angefangen? – Im Endeffekt hat das mit Kindereien zu tun. Wenn das in der Geschäftsordnung des Bundestages ganz klar natürlich steht, jede Fraktion hat ein Anrecht auf den Vizepräsidenten; wir haben dieses Anrecht und dieses Anrecht ist uns im Endeffekt mit Sandkastenspielen auf Kindergarten-Niveau von den anderen fünf Parteien jetzt sechsmal verweigert worden, und wir halten jetzt einfach mal gegen.
Heinemann: Herr Müller, wir haben gerade von Frank Capellan gelernt: Die Parteien verfügen über ein Vorschlagsrecht, nicht über ein Bestimmungsrecht. Heißt für die AfD: Wählen gleich Abnicken?
Müller: Ich denke, in dem Vorbericht ist die Aussage vom Kollegen Kulitz von der FDP richtig, wenn er sagt, es stehen hier zwei Prinzipien gegenüber. Das eine Prinzip ist, gucken Sie in die Geschäftsordnung des Bundestages rein. Da steht, jede Fraktion hat ein Anrecht. Es steht nicht drin, dass der von der Fraktion vorgeschlagene Kandidat auch gewählt werden muss. Da hat der Herr Kulitz recht in seiner Analyse. Deswegen sind wir auch in diese Situation gekommen. Aber was machen Sie, wenn sich zwei Prinzipien beißen, die gegeneinander in Konkurrenz stehen? Wir haben ein Recht auf einen Vizepräsidenten, aber jeder hat auch recht, unseren vorgeschlagenen Kandidaten nicht zu wählen, und das ist ja auch die Diskussion. Und wie kommen wir da raus? – Unser Ansatz herauszukommen ist, jetzt praktisch die Absurdität klarzustellen, die hinter diesem sich gegenseitigen beißen dieser zwei Prinzipien steht, indem wir jetzt jede Woche, wenn es möglich ist, einen anderen Kandidaten vorschlagen, und wir haben ja noch 89. Für 89 Wochen reicht das.
Heinemann: Abgeordnete sind ihrem Gewissen verpflichtet. Wie sollen sich die verhalten, wenn ihr Gewissen ihnen sagt, keine Stimme für diese AfD?
Müller: Das sagte ich ja. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen haben ja auch das Recht, unsere Kandidaten nicht zu wählen. Aber wir haben auch das Recht, einen Vizepräsidenten zu stellen. Das sind einfach zwei Prinzipien, die sich beißen. Und so, wie es ja auch gehandhabt wird von den anderen Fraktionen, ist das ein prinzipielles Nein gegen jeden AfD-Kandidaten. Deswegen habe ich auch gerade mit meinem Bild an der Wand schon argumentiert. Das heißt, wenn wir jetzt Mutter Teresa aufstellen würden, oder den Papst, gegen die die anderen wahrscheinlich nichts haben würden, dann würde weder Mutter Theresa, noch der Papst gewählt werden, wenn er von der AfD kommt, und das zeigt doch die Absurdität der Situation.
Solche Artikel werden lanciert
Heinemann: Aber weder Mutter Theresa, noch der Papst standen zur Wahl, sondern Frau Harder-Kühnel, und die ist offenbar selbst einigen AfD-Bundestagsabgeordneten zu rechts, weil sie sehr eng verdrahtet sei mit dem sogenannten Flügel von Björn Höcke. Darüber berichtet "Spiegel Online" und zitiert AfD-Abgeordnete, die sagen, wir möchten nicht, dass so jemand im Bundestagspräsidium sitzt. Wieso findet Ihre Partei, Ihre Fraktion, die AfD-Bundestagsfraktion keine wählbare Person?
Müller: Ich habe diesen Artikel natürlich gelesen. Wir haben diesen Artikel gelesen, der sonderbarerweise eineinhalb bis zwei Stunden vor der anberaumten Wahl von Frau Harder-Kühnel veröffentlicht worden ist. Das ist ein sehr großer Zufall. Wir wissen natürlich alle, das ist kein Zufall; solche Artikel werden lanciert. Und Sie wissen auch, in welchem Staat wir leben, welche Möglichkeiten etablierte Parteien haben, solche Artikel zu lancieren. Darüber müssen wir nicht reden.
Der zweite Punkt ist: Das kommt von "Spiegel Online". Der Spiegel ist ja erst vor kurzem dafür berühmt geworden, dass er mit Herrn Relotius sogar nicht existierende Personen mit Namen erfunden hat in irgendwelchen Artikeln.
Heinemann: Sie versuchen jetzt eine Quelle zu diskreditieren. Das war ein Fall, zugegeben, den der Spiegel aufgearbeitet hat, ganz klar. Nun zitiert "Spiegel Online" Fraktionskolleginnen und Kollegen von Ihnen, die sagen, diese Frau wählen wir nicht. Warum finden Sie keine wählbare Person?
Müller: Ja, ich will Ihre Frage beantworten. Wir haben versucht, diese beiden Kollegen, die anonym von "Spiegel Online" zitiert worden sind, zu finden. Wir haben sie in der Fraktionssitzung nicht gefunden. Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass sie erfunden worden sind.
Und jetzt natürlich auch, wenn Sie fragen, haben wir denn niemand sonst wählbares? – Ich sagte doch bereits: Wenn wir den Papst aufstellen, dann wäre der wählbar, aber er würde auch nicht gewählt werden, weil es nicht um den Inhalt der Person geht. Es geht nicht um den Inhalt, was hat diese Person gesagt, oder mit wem ist diese Person verdrahtet, oder war sie mal mit Björn Höcke auf einem Foto oder nicht. Es geht darum, dass die anderen Parteien aus Prinzip keinen Kandidaten der AfD wählen, und das ist leider die Wahrheit und es wäre schön, wenn es nicht so wäre.
"Wüsste nicht, wo es bei uns antisemitische Äußerungen gibt"
Heinemann: Das sehen offenbar auch andere Leute so. Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, will keinen Kontakt zu Politikern der AfD. Er zitiert seinen Präsidenten, der ganz klar gesagt hat: "Wenn es Leute gibt, die sich demonstrativ proisraelisch darstellen, aber im Kern antisemitisch sind, haben wir keinerlei Interesse an einem Kontakt." Das können Sie heute nachlesen in der Stuttgarter Zeitung oder in den Stuttgarter Nachrichten. – Herr Müller, gibt Ihnen das zu denken?
Müller: Ja, das gibt mir schon zu denken, weil ich an die israelische Seite, vor allem an hochgestellte Repräsentanten eigentlich die Erwartung habe, dass sie differenziert denken, handeln und auch argumentieren können. Ich wüsste jetzt nicht, wo es bei uns antisemitische Äußerungen gibt, sondern ich kann Ihnen sagen, ich habe einen sehr guten Draht zu den Juden in der AfD, die das initiiert haben, und die schütteln nur den Kopf ob dieser Aussagen des hohen Repräsentanten des Staates Israel.
Das muss ich noch dazu sagen, das ist ganz wichtig, das wissen die wenigsten: Unter den in Deutschland lebenden Juden ist der Anteil der AfD-Wähler zwei- bis dreimal so hoch als unter der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung. Warum? – Das weiß keiner, aber das ist eine Tatsache. Und warum ist das so, weil diese Leute natürlich erkannt haben, dass es ihnen über die Islamisierung an den Kragen geht, hier in Deutschland, und die AfD die einzige Kraft ist, die hier glaubwürdig jüdisches Leben in Deutschland schützen kann.
Heinemann: Wikipedia berichtet über Sie, Herr Müller: "Als die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch am 31. Januar 2018 eine Rede im Bundestag hielt, verweigerte Müller den Applaus." – Wieso sollte man Leute wie Sie respektieren?
Müller: Auch dieses Thema habe ich natürlich vor diesem Ereignis und danach auch mit meinen jüdischen Freunden lang und ausgiebig diskutiert und wir haben eine ganz klare gemeinsame Linie hier. Wir sind gegen jede Art von Heuchelei im Bundestag. Was macht denn der heutige Bundestag? Der heutige Bundestag beklagt die toten Juden der Vergangenheit und beliefert gleichzeitig mit Waffenlieferungen an islamische Staaten, befördert, dass heute noch Juden wieder getötet werden können mit Waffen aus Deutschland.
"Habe tiefen Respekt vor jedem Holocaust-Überlebenden"
Heinemann: Was hat das mit einer Rede einer Überlebenden zu tun?
Müller: Genau! Ich habe aus genau diesem Grund dieser Heuchelei nicht geklatscht und das hat überhaupt nichts zu tun damit. Ich habe einen tiefen Respekt vor jedem Holocaust-Überlebenden. Das wissen auch alle, die mit mir auch offen über dieses Thema diskutieren. Ich habe ein Zeichen gesetzt gegen die Heuchelei, wie ich sie gerade beschrieben habe, und nichts anderes habe ich damit gemacht.
Heinemann: Herr Müller, wieso sollte eine Fraktion mit solchen Mitgliedern dem Präsidium des Deutschen Bundestages angehören?
Müller: Habe ich jetzt Sie richtig verstanden? Wenn wir als einzige Partei im Bundestag für Menschlichkeit und gegen Heuchelei eintreten, soll man mit uns nichts zu tun haben wollen? Ich finde Ihre Frage doch etwas absonderlich jetzt, Herr Heinemann.
Heinemann: … sagt Hansjörg Müller, einer der vier Parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Müller: Gerne! – Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.