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Steinschlag dank Klimakatastrophe

Geologie. - Eigentlich sind Felsstürze im Hochgebirge nichts Besonderes. Doch im vergangenen Jahr schienen sie vermehrt aufzutreten, sogar klassische Bergsteiger-Routen auf dem Mont Blanc oder dem Matterhorn waren betroffen. Wodurch diese und andere Steinschläge ausgelöst wurden, damit beschäftigen sich Geografen an der Uni Zürich. Sie entwickelten ein Computermodell, das solche gefährlichen Felsstürze vorauszusagen helfen soll.

Von Holger Ruscheweyh | 12.10.2004
    Grundsätzlich kann man sagen, dass es eigentlich immer gefährlich ist, im Hochgebirge zu sein, als Wanderer, als Bergsteiger, als Seilbahn ist es auch gefährlich, als Straße, und so weiter.

    Stephan Gruber von der Universität Zürich muss es wissen. Schon seit Jahren beschäftigt sich der 30-Jährige mit den Auswirkungen von schmelzendem Dauerfrost in den Bergen, dem Permafrost. Permafrost bedeutet meist, dass Gesteinschichten schon seit Hunderten oder Tausenden von Jahren gefroren sind. Von außen ist er oft nicht erkennbar, weil die Fels-Oberfläche im Sommer auftaut. Doch wenn die Wärme tiefer eindringt, kann es gefährlich werden.

    Wenn man jetzt annimmt, dass ein Zusammenhang besteht, zwischen Permafrostdegradation, das heißt dem Schmelzen von Eis, und der Stabilität von Felsen, gibt es natürlich auch Sicherheitsinteressen oder Ingenieursinteressen von Bergbahnen oder Infrastrukturelementen, die sich fragen: Was wird wohl passieren in den nächsten Jahren mit unseren Installationen?

    Um das herauszufinden, hat Gruber zusammen mit Kollegen ein Modell entwickelt. Ein Computerprogramm berechnet aus Messwerten wie Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Sonneneinstrahlung eine Energiebilanz für beliebige Felsoberflächen. Aus dieser Energiebilanz kann es dann die Temperaturen unter der Oberfläche berechnen. Kontrolliert wurde das Programm durch eigene Temperaturmessungen in den Alpen. Adrian Zraggen hat dafür mit Kollegen an 21 extrem steilen Felsen Temperaturfühler in den Fels gebohrt. Eine nicht ganz leichte Aufgabe.

    Man muss Bergsteiger sein, um so was zu machen, sonst wird es gefährlich. Weil man doch die Gefahren abschätzen muss, man muss die Sicherungspunkte selber anbringen, man muss abschätzen können, wo kann und darf ich rein, um diese Temperaturmessgeräte zu installieren. Gerade die Monterosa-Ostwand, die Wand ist in den letzten Jahren vermehrt Gebiet von großen Steinschlagaktivitäten gewesen, und da gilt es einfach die Risiken abzuschätzen. Man kann da nicht überall reinsteigen und finden, da bohr ich jetzt mein Temperaturmessgerät rein. Das geht nicht.

    Und auch während ihres zweiwöchigen Einsatzes im Hochgebirge haben die Forscher von der Züricher Uni das Problem der Felsstürze hautnah erlebt.

    Wir sind einmal ziemlich überrascht worden, als wir Schlingen um einen Felsblock gelegt haben, wo wir uns dann abseilen wollten, wir haben wirklich gedacht, das hält bombenfest, dann sind wir wieder hochgekommen und haben gesehen, dass sich der Felsblock etwa 10 Zentimeter gelöst hat. Das war wirklich ein Erlebnis, das schon zu denken gab.

    Passiert ist ihnen zum Glück nichts. Nach einem Jahr haben sie dann die Temperaturfühler wieder aus den Felsen geholt und mit den theoretisch berechneten Werten verglichen. Das Ergebnis: die Berechnungen des Computerprogramms stimmten oft mit den gemessenen Temperaturen überein. Für Gruber und sein Team ein großer Erfolg. Denn besonders nach dem Hitzesommer 2003 ist das Interesse am Permafrost-Problem in der Öffentlichkeit gestiegen.

    Es wird sehr wahrscheinlich mehr Felsstürze geben in Zukunft, auch große Felsstürze geben, die mir der Degradation von Permafrost zusammen hängen. Das sollte allerdings auch nicht zur Panik führen. Es wird nicht zu absoluten Horrorszenarien kommen, dass die ganzen Alpen zusammen brechen, man wird einfach in vielen Stellen vielleicht wundern, dass da auf einmal große Felsstürze hervorkommen und in großer Zahl, anders als vorher.

    Für die Züricher Wissenschaftler bleibt also auch in Zukunft noch einiges zu tun. Nun beginnen sie mit den Arbeiten an der zweiten Generation des Modells. Damit die theoretisch berechneten Temperaturen künftig noch genauer werden, wollen sie noch mehr Einzelheiten beachten, die die Temperatur im Felsen beeinflussen können.

    Eine grobe Geröllschicht hat einfach den Effekt, dass sie den Boden darunter kühlt. Das beeinflusst die Temperatur dort wahrscheinlich sehr stark. Genauso ist es mit Schnee. Eine dünne Schneedecke würde den Boden kühlen, dadurch dass weniger Sonnenlicht aufgenommen wird, weil der Schnee sehr weiß ist. Und eine dicke Schneedecke wird im Winter den Boden isolieren von niedrigen atmosphärischen Temperaturen. Das ist das, was wir als nächstes machen wollen, und das wird wahrscheinlich viel schwerer werden als das was wir jetzt gemacht haben mit dem reinen Fels.

    Aber der Aufwand lohnt sich. Denn je genauer die Temperaturen im Fels in Zukunft errechnet werden können, desto wahrscheinlicher ist es, dass Unglücke durch Felsstürze verhindert werden können.