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Stella Sommer von "Die Heiterkeit"
"Das ist das Schöne an Popalben: Man kann alles drin sehen"

Die neue Platte der Hamburger Band "Die Heiterkeit" rund um Sängerin und Songschreiberin Stella Sommer ist ein zeitloses Werk rund um Tod, Einsamkeit, Liebe und Betrug . Die neu formierte Gruppe hat mit "Pop&Tod I und II" ein Doppelalbum herausgebraucht, mit Frauen-und Männerchören und zurückhaltender Sachlichkeit. Sängerin Stella Sommer redet im Corsogespräch über den Entstehungsprozess.

Stella Sommer im Corso-Gespräch mit Anja Buchmann | 04.06.2016
    Die deutsche Pop Band "Die Heiterkeit". V. l. n. r: Philipp Wulf, Stella Sommer, Sonja Deffner, Hanitra Wagner
    Die deutsche Pop Band "Die Heiterkeit". V. l. n. r: Philipp Wulf, Stella Sommer, Sonja Deffner, Hanitra Wagner (© Malte H M Spindler)
    Anja Buchmann: Was haben Sie für eine Beziehung zum Tod? Sie singen ja auch in einem Ihrer Songs: Ein bisschen Angst vorm Sterben gehört irgendwie dazu.
    Stella Sommer: Das ist ganz komisch, ich habe da vor dem Album oder als wir das Album gemacht haben, gar nicht drüber nachgedacht, das war jetzt im Zuge der Pressetermine, die wir so hatten, dass es mir aufgefallen ist: Die größte Angst, an die ich mich als Kind erinnern kann, das war zu sterben. Etwas, das ich überhaupt nicht begreifen konnte. Ansonsten haben Erwachsene, wenn man klein ist, ja auf alles eine beruhigende Antwort oder versuchen zumindest, einen zu beruhigen, zu sagen, das ist alles nicht so schlimm. Aber beim Tod war es so, das war überhaupt nicht befriedigend, was man da gehört hat. Das war einfach - ja, dann stirbt man halt und das ist auch gar nicht schlimm, aber dann bist Du halt weg. Das ist als Kind so eine Urangst, die sich dann aufgetan hat, als man auf das Thema gestoßen ist.
    Buchmann: Vielleicht auch ein bisschen das Gefühl, dass man als Kind oder Jugendlicher noch denkt: Irgendwie kann ich doch alles beeinflussen. Mehr oder weniger. Und das ist dann eine Sache, da kann ich einfach nichts gegen tun. Das ist so.
    Sommer: Ja genau und auch dieses Endgültige da drin, was man überhaupt nicht verstehen kann. Es ist halt so: Man geht ins Bett und steht am nächsten Morgen wieder auf und als Kind ist es ja auch furchtbar, wenn man ins Bett muss, aber: Dann kann man am nächsten Morgen wieder aufstehen - man versteht ja als Erwachsener auch nicht, was das eigentlich bedeutet.
    Buchmann: Und als wirklich junges Kind begreift man anfangs auch rein entwicklungspsychologisch betrachtet gar nicht, dass man wirklich am nächsten Morgen wieder aufwacht. Manche haben dann auch Angst vorm Einschlafen, weil sie denken, dann sind sie weg und wissen gar nicht, dass sie irgendwann wieder da sind.
    Sommer: Genau, ich hatte das vor allem dann, wenn ich ins Bett gegangen bin, dass ich dachte: Was ist denn dann, wenn man stirbt? Vielleicht ist das ja wie einschlafen, aber ich konnte es mir nicht wirklich vorstellen.
    "Dem Ganzen die Schwere nehmen"
    Buchmann: Hat der Tod für Sie auch etwas Positives? Etwas lichtes, helles, ich sag jetzt mal: heiteres? Zumal die Songs trotz der Melancholie ja auch etwas Fröhliches und Zärtliches an sich haben, gerade auch mit diesen zum Teil lieblichen Männer- und Frauenchören.
    Sommer: Naja, das ist ja wie das Wort "Heiterkeit": Etwas, das immer mit schwingt und immer da ist und dann kann man das natürlich alles fruchtbar bedrückend finden, aber es nützt ja auch nichts, wenn man sich so in eine totale Depression rein steigert. Da muss man ja auch versuchen, dem Ganzen etwas das Schwere zu nehmen. Zumindest ein bisschen.
    Buchmann: Es gibt ja auch einen Titel, ich glaube das ist "The End", das hat so was pragmatisch-fatalistisches - in Köln würde man sagen "et iss wie et iss, et kütt wie et kütt". Da singen Sie: "Wenn es soweit ist, werden wir es wissen, es kommt immer anders als gedacht. Es wird in Ordnung sein." Ist das auch etwas wie eine Grundhaltung des Albums oder sogar von Stella Sommer als Mensch?
    Sommer: Bei mir weiß ich gar nicht, ob das so eine Grundhaltung ist, aber… wenn man schreibt, dann weiß ich oft gar nicht, wo das so her kommt, aber im Nachhinein hat mir eine Freundin erzählt, dass es für sie so klang, als wäre das so eine Abgrenzung zu diesem ewigen nach Euphorie suchen und "das muss alles total geil sein" - es würde doch auch schon mal reichen, wenn etwas schon mal "in Ordnung" ist. Das wäre ja auch schon schön. Denn im Prinzip kann man es eh nicht ändern.
    Buchmann: Innerhalb welcher Zeit haben Sie die vielen Songs dieses im Grunde ja auch Doppelalbums geschrieben - einige wurden ja auch noch raus gelassen. War das etwas, was sich so am Stück weg geschrieben hat und im Nachhinein haben Sie erst gemerkt, das sich da eine grobe Thematik - es geht ja nicht nur um Tod an sich - herauskristallisiert hat?
    Sommer: Ja, ich habe eigentlich immer geschrieben von dem Zeitpunkt an, als die zweite Platte aufgenommen war, Monterey. 2013 glaube ich, haben wir die aufgenommen. Also zwei Jahre hatte man dann quasi Zeit, um Material anzuhäufen und klar, da schreibt man nicht immer durch, aber das ist dann schon ein absehbarer Zeitraum. Und dann habe ich im Nachhinein festgestellt, dass es da so einen roten Faden gibt in den Songs.
    "Alles steht in Bezug zueinander"
    Buchmann: Hat das allgemeine Thema des Albums oder die Themen dieses Albums auch etwas mit der oft beschriebenen Unsicherheit und Orientierungslosigkeit unserer Zeit zu tun? Eine Unsicherheit, die manche Menschen sogar in die Arme von extremistischen Gruppierungen treibt, um es jetzt mal ein bisschen zu überspitzen.
    Sommer: Das ist ja immer das Schöne an Pop-Alben, man kann ja alles darin sehen. Wenn das jemand so sehen möchte - vielleicht. Letztendlich bin ich ja auch nur ein Mensch, und ich saug das alles auf, was so um mich herum passiert. Es kommt halt rein und muss wieder raus und was dann raus kommt hat ja auch was damit zu tun, was irgendwie so passiert in der Welt gerade. Das steht ja alles in Bezug zueinander irgendwie.
    Buchmann: Sie erwähnten ja, dass eine Freundin von Ihnen sagte, dass es auch darum geht zu sagen: Ja manche Dinge sind auch nur okay, sie sind in Ordnung, so wie sie sind und müssen nicht immer "super-exzentrisch, ober-geil" sein oder wie auch immer… Sind Sie ein Mensch, der auch sonst zu sehr starker Euphorie in dem von der Freundin beschriebenen Sinne neigt?
    Sommer: Eher selten. Also ich kann mich schon rein steigern, wenn mir zum Beispiel eine Platte sehr gut gefällt, aber es ist auch nicht so, dass ich dann auf dem Tisch herum springe oder so, sondern da noch sehr beherrscht bin, glaube ich.
    Buchmann: Also Sie sind ein grundzufriedener Mensch?
    Sommer: Grundzufrieden würde ich jetzt nicht sagen. Ich glaube eher… stoisch.
    Buchmann: Stoisch. Können Sie das noch ein bisschen näher erläutern?
    Sommer: Naja, auch wenn man überlegt, wie sich "Die Heiterkeit" entwickelt hat, da ist immer eine gewisse Geradlinigkeit dabei, die nicht zu so krassen Gefühlsausbrüchen neigt, sondern immer so eine… gewisse Sicherheit glaube ich fast.
    Buchmann: Sicherheit. Worin finden Sie die?
    Sommer: In mir selber. Wie man eben auf bestimmte Sachen reagiert. Also, ob man sich selber einschätzen kann oder nicht. Es gibt ja Leute, die sind sehr unsicher, wo man nie weiß, was passiert da als nächstes, wenn man in eine Situation rein gerät. Und da habe ich schon das Gefühl, dass ich relativ ruhig und eben stoisch auf alles reagiere.
    Buchmann: Sogar auf den Tod…
    Sommer: Ja, sogar darauf.
    Kompositionen mit Leichtigkeit
    Buchmann: Wie entstehen die Kompositionen überhaupt? Das klingt bei Ihnen so, als ob die einfach mal schnell hingeworfen wurden. Manchmal etwas windschief, wie nebenbei - oder ist das nur mein Eindruck und da steckt monatelange akribische Arbeit drin?
    Sommer: Nein, genau, das ist mir auch immer sehr wichtig, dass da auf keinen Fall irgendwelche Arbeit drin steckt, also ich mochte das immer am liebsten, wenn Songs als Solche funktionieren und man nicht denkt: Da hat sich jemand hin gesetzt und Ewigkeiten daran herum gefeilt, damit jedes Wort am richtigen Fleck ist. Das hat natürlich auch seinen Reiz, aber ich fand es immer am schönsten, wenn so eine Leichtigkeit da drin ist und man merkt, okay, das soll jetzt so sein und das wurde einfach so dahin gerotzt.
    Buchmann: Und ist es das tatsächlich oder klingt es nur so?
    Sommer: Es sollte so klingen und es ist tatsächlich auch so. Bei mir ist es immer so, wenn ich merke, dass ich bei einem Text nicht weiter komme - ich hatte jetzt gerade bei diesem Album auch überhaupt nicht die Möglichkeit, mich damit so wahnsinnig auseinander zu setzen, weil es einfach viel zu viel war. Und ich dann auch wahnsinnig faul bin und ich so zwei Wochen, bevor wir ins Studio gegangen sind, hatte ich die Texte auch noch nicht fertig. Und dann saß ich da so vor einem Berg aus 30 Songs - und wir mussten ja auch noch proben, wir haben auch sehr spät angefangen mit dem proben für das Album - und dann bin ich immer eine halbe Stunde bevor die anderen gekommen sind, in den Proberaum gegangen und habe mich vor diesen Berg aus 30 Songs gesetzt und habe dann immer versucht, ein zwei Zeilen zu schreiben. Und wenn mir nicht sofort was eingefallen ist, habe ich es gleich wieder weg gelegt und was anderes gemacht.
    Produktion ohne Stress
    Buchmann: Eine Konstante zum letzten Album gibt es, neben Ihnen, auch: Produzent war wieder Moses Schneider, was haben Sie dem zu verdanken?
    Sommer: Das ist einfach ein super Typ, der eine ähnliche Herangehensweise hat wie wir: Der arbeitet einfach super schnell. Und da geht es nicht um Perfektion, sondern darum, das einzufangen, was die Band gerade so darstellen kann. Wenn man Moses an Bord hat, kann man davon ausgehen, dass man die bestmögliche Platte macht, die man zu dem Zeitpunkt machen kann. Und das ohne Stress. Ich war ja schon öfter im Studio und auch mit unterschiedlichen Produzenten. Ich kenne einfach niemanden, bei dem es so entspannt ist im Studio. Und dadurch kann er eben das Beste aus den Leuten rausholen. Es gibt ja auch so andere Ansätze, dass man eben versucht, die Psyche der Leute durch keine Ahnung was für Psycho-Tricks zu brechen - da gibt es ja furchtbare Stories aus so Studios von Produzenten. Und bei Moses ist immer alles entspannt. Dieses Live-Spielen, er nimmt ja auch live auf und dadurch geht es auch wahnsinnig schnell.
    Buchmann: Also alle gemeinsam, mit Stellwänden oder in verschiedenen Räumen, aber alle gemeinsam…
    Sommer: Alle im gleichen Raum. Wie im Proberaum, es wird immer das Proberaum-Setting nachgebaut und dann wird aufgenommen.
    Buchmann: Ach so, also Proberaum-Setting heißt: Genau so, wie Sie sich auch im Proberaum positionieren. Damit es da eine gewisse Vertrautheit gibt…
    Sommer: Genau. Und Moses kann halt sehr gut einschätzen, wann eine Band schlechter wird. Es gibt eben eine gewisse Aufmerksamkeitsspanne, die man hat. Und das weiß er sehr genau, wo da der Punkt ist. Meistens so nach drei Mal spielen, wo man merkt: es hat keinen Sinn mehr. Aber dann hat es meistens auch schon gehabt. Also öfter als drei Mal haben wir eigentlich keinen Song gespielt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.