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Stendal in Sachsen-Anhalt
Auf digitaler Kriechspur

Wahlen werden im Land entschieden, so die Theorie. Doch praktisch lässt man die Provinz hängen. Im Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt gibt es kein schnelles Internet, kein Breitband. Für Unternehmen ein Desaster - und der Ansporn, selbst kreativ zu werden.

Von Christoph Richter | 06.09.2017
    Im Vordergrund ein Router für das Internet, im Hintergrund Kühe auf einer Weide, aufgenommen bei Bücheloh. Der Ausbau der Breitbandversorgung auf dem Land läuft nur schleppend. Schnelles Internet ist oft nur in Ballungsgebieten verfügbar.
    Der Ausbau der Breitbandversorgung auf dem Land läuft nur schleppend. Schnelles Internet ist oft nur in Ballungsgebieten verfügbar. (picture alliance / dpa / Michael Reichel)
    Auf dem Schreibtisch stapeln sich Bauzeichnungen. Darüber gebeugt sitzt der Heizungsbauer Wolfgang Barnick. Sein kleiner Handwerksbetrieb mit zwei Mitarbeitern befindet sich in Uetz bei Tangerhütte in der Altmark. Also mitten im Niemandsland, in idyllischer Elb-Nähe, auf halber Strecke zwischen Berlin und Wolfsburg.
    "Wir bekommen jetzt keine Zeichnungen per Post, sondern die ganzen Zeichnungen für Bauvorhaben - wir sind im öffentlichen Bereich tätig - da kommen riesige Zeichnungen, mit einem riesigen Datenvolumen. Die bekommen wir per E-Mail und die müssen wir auch wieder versenden."
    Und da genau beginnt das Problem. Man fühle sich zuweilen wie im fernen Kongo, der 56-jährige Barnick lacht. Denn: E-Mails könne man gerade noch so empfangen, aber wenn man etwas verschicken will, geht gar nichts. Online-Bankgeschäfte sind tagsüber völlig unmöglich, das geht nur nachts, erzählt er.
    "Das ist unser ganz großes Problem, was wir haben. Und wenn ich jetzt bei einer Heizung etwas machen will, eine Reparatur habe, an den Kessel muss - dann geht das heute nur noch über Laptop. Und wenn ich da keinen Empfang habe, habe ich auch Probleme."
    Das Internet kommt nur wacklig
    Barnicks Auftraggeber sitzen im gesamten Bundesgebiet. In Euskirchen saniert er beispielsweise eine Bundeswehr-Kaserne, in Köln bringt er eine Grundschule heizungstechnisch auf Vordermann. Große Bauprojekte. Die mittlerweile höchst komplexen Baupläne - in die auch Bilder oder Filme integriert sind - muss Wolfgang Barnick permanent online hin- und herschicken.
    "Es geht schon in den Giga-Bereich rein, was da hin- und hergeschickt wird." Ohne schnelles Internet unmöglich. Weshalb es mit dem Heizungsbetrieb Barnick aus dem altmärkischen Uetz fast zu Ende war.
    Glücklicherweise - so Barnick - kam man dann im Dorf allerdings auf eine tricky Idee und half sich selbst, um weiter zu existieren. 2016 gründete man einen Verein, um darüber eine Internet-Richtfunklösung zu finanzieren. Das heißt, das Internet kommt nun - wenn auch etwas wacklig - über ein Funknetz bis ins ländliche Uetz bei Tangerhütte, während vorher nichts klappte.
    Ohne die Richtfunk-Lösung allerdings … "… wäre Schicht im Schacht. Ich hätte meinen Firmensitz verlegen müssen. Woandershin, damit ich da Zugang zum Netz habe." Wo man sich auch umhört, Handwerksbetriebe und Unternehmen in Sachsen-Anhalt stöhnen über die schlechte Internet-Versorgung, zu langsame Leitungen.
    Geschäftspartner durften keine E-Mails mit Anhängen verschicken
    Dachdecker Frank Metzner und seinem 17 Mann großen Betrieb aus Lüderitz bei Stendal erging es ähnlich. Die Telekom hat ihm gar angeboten, eine Leitung zu legen, erzählt der Mit-Fünfziger. Dazu hätte man allerdings einen Vertrag zu heftigsten Bedingungen unterschreiben müssen. Die Kosten: 1.000 Euro. Nicht einmalig, sondern pro Monat.
    "Der Staat zwingt uns ja schon seit Jahren. Zum Beispiel mit dem Finanzamt, Krankenkasse: Das läuft alles übers Internet. Alles. Das heißt, ich muss es über das Internet machen. Es fragt mich aber keiner, ob ich überhaupt Internet habe."
    Lange war es gar so, dass man Geschäftspartner gebeten habe, keine E-Mails mit Anhang zu verschicken. Wenn es nicht anders ging, ist man zu Freunden gefahren, hat sich dort die Dateien runtergeladen. Weshalb man sich nun eine mobile Lösung - eine LTE-Funk-Verbindung - organisiert hat. Also auch hier hat man sich selbst geholfen. Um den eigenen Laden am Laufen zu halten, wie es Metzner etwas salopp formuliert.
    "Es ist nicht zu leugnen, dass wir in der Tat, auf dem Weg zu Ziel bis Ende 2018 die weißen Flecken zu beseitigen, da sind wir noch ein weites Stück entfernt", gesteht Sachsen-Anhalts SPD-Wirtschafts- und Digitalisierungsminister Armin Willingmann.
    "Wir brauchen Datenautobahnen als Chance für ländliche Regionen"
    In Stendal und Umgebung will man nicht mehr auf die Hilfe von Politikern warten. Kommunen und Landkreise haben dort einen sogenannten "Zweckverband Breitband Altmark" gegründet. Jedes Gehöft soll mit Glasfaser ausgestattet werden, so der kühne Plan. Dazu lässt der Zweckverband Leer-Rohre durch die gesamte Region legen, indem künftig die Glasfaserkabel liegen sollen.
    "Insgesamtes Volumen sind 140 Millionen Euro, die hier verbaut werden. Es gibt eine Kofinanzierung, Förderanträge laufen. Klar. Und dann zahlt der Kunde über den Teledienstleister eine Pacht."
    Rund 50 Euro monatlich kommen auf den Kunden zu. Gut angelegtes Geld nennt es Andreas Brohm, er ist Bürgermeister im Altmark-Städtchen Tangerhütte, Mit-Initiator des "Zweckverbandes Breitband Altmark": "Wir brauchen Datenautobahnen. Dass es für ländliche Regionen neue Chancen gibt."
    Die Altmark liegt gerade mal eine Zugstunde von Berlin und Hannover, zwei Stunden von Hamburg entfernt. Wenn man junge Menschen aus den Metropolen anlocken will, sagt Brohm, dann müsse man zur Modellregion des Gigabit-Zeitalters werden. Dann würde man nicht mehr von einer abgekoppelten Region sprechen, sondern von der Moderne im ländlichen Raum. Das sei - so Bürgermeister Brohm - Daseinsvorsorge im klassischen Sinn.