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Stendal
Muslimische Gemeinde wehrt sich gegen Unterwanderungs-Vorwürfe

Die ägyptische Muslimbruderschaft soll Einfluss auf eine Moschee in Stendal nehmen - das behauptet der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt. Die muslimische Gemeinde zeigt sich überrascht und auch andere Stimmen fordern Beweise. Sie werfen dem Verfassungsschutz vor, Ressentiments gegen Muslime zu schüren.

Von Christoph Richter | 07.05.2018
    Blick in den Gebetsraum der Moschee in Stendal.
    Gebetsraum der Moschee in Stendal - nach eigenen Angaben sei man völlig unpolitisch. Deshalb dürfe in den Räumen der Moschee keiner politische Inhalte verkünden. (Christoph Richter / deutschlandradio)
    Es sind nur wenige Zeilen auf den hinteren Seiten des aktuellen Verfassungsschutzberichtes in Sachsen-Anhalt, aber sie sorgen in der Öffentlichkeit für große Aufregung. Wörtlich steht auf Seite 116 - Zitat – "Die Islamische Gemeinde Stendal wird von einer Personengruppe dominiert, die der Muslimbruderschaft anhängt. Mehrere im Vorstand aktive Gemeindemitglieder teilen Aufrufe zum bewaffneten Kampf gegen Israel. Erkennbare antisemitische Einstellungen wurden an Kinder vermittelt."
    "Unglaublich, unglaublicher Vorwurf", Samir Mukbel schüttelt energisch den Kopf. Er ist Urologe am Johanniter-Klinikum in Stendal. 1987 ist er aus dem damals sozialistischen Süd-Jemen zum Studium in die DDR gekommen, 1999 hat er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Seit drei Jahren ist er nun der stellvertretende Vorsitzende der Islamischen Gemeinde in Stendal: "Ich möchte allen Menschen in Stendal versichern, bei uns gibt es keine Muslimbruderschaft, es gibt keine antisemitischen Äußerungen oder Aktivitäten."
    Moschee ohne Muezzin und Minarett
    Die Muslimbruderschaft gilt als einflussreiche islamistische Bewegung, aus der auch die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas hervorgegangen ist. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz verfügt sie in Deutschland über 1.000 Anhänger. Als Zentrum ist Stendal dabei bisher nicht aufgetreten.
    Die Al-Rahma-Moschee in Stendal hat keinen Muezzin, kein Minarett. Früher war das Gebäude der Moschee eine DDR-typische Kaufhalle, dann Kneipe und Diskothek. 2015 hat es die Islamische Gemeinde für 180.000 Euro gekauft. Die Moschee befindet sich im sogenannten Cranach-Quarree, mitten in einem Plattenbauviertel in Stendal, auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg. Es gebe keinen Grund zur Besorgnis, sagt Axel Kleefeldt, CDU-Mitglied und stellvertretender Oberbürgermeister Stendals. "Wir sind nicht das Epizentrum von radikalen Kräften", so Kleefeld wörtlich. Und man sei: "Von diesen Aussagen des Verfassungsschutzberichtes überrascht."
    Die Moschee in Stendal liegt mitten im Plattenbaugebiet und war früher Kaufhalle und Diskothek
    Die Moschee in Stendal liegt mitten im Plattenbaugebiet und war früher Kaufhalle und Diskothek (Christoph Richter / deutschlandradio)
    Sowohl bei der Stadt als auch bei der Linkspartei, selbst im Sozialministerium - auch wenn es dort keiner laut sagen will - herrscht Verwunderung über das vom Verfassungsschutz benannte Gefahrenpotenzial. CDU-Innenminister Holger Stahlknecht will sich zu den Vorgängen nicht äußern. Beim Verfassungsschutz heißt es in einer Mail: "Die Ausführungen im Verfassungsschutzbericht seien als 'Frühwarnsystem' zu verstehen. Aus Quellenschutz könne man keine genauen Angaben machen."
    "Versagen des Verfassungsschutz"
    Jetzt monieren kritische Stimmen: Ohne Ross und Reiter zu nennen, würde man innerhalb der Gesellschaft Ressentiments schüren, Stimmung gegen Muslime machen. Weshalb Kritik laut wird, am Vorgehen des Verfassungsschutz‘.
    "Also da ist ja wieder das Trampeltier in den Porzellanladen marschiert, solche Unterstellung ohne Hinweise, ohne Beweise in die Welt zu setzen. Im Grunde ist von Straftaten die Rede. Und wenn man da nicht eingreift, ist das ein Versagen des Verfassungsschutzes."
    Politikpsychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal fordert den Verfassungsschutz auf, Fakten zu liefern. Konkrete Belege, dass die Islamische Gemeinde Stendals durch die islamistische Muslimbruderschaft unterwandert sei: "Da sind einfach Behauptungen in den Raum gestellt worden, ohne dass griffig ist, was ist dran, wie viel ist dran. Wen betrifft das eigentlich?"
    Sicher sei aber auch, so Kliche weiter, dass unter den Stendaler Muslimen nicht jeder für den Anderen bürge könne. Unklar bleibe jedoch, ob in der Islamischen Gemeinde Stendals nicht doch demokratiefeindliche, antisemitische Positionen zumindest vereinzelt vertreten werden. Keiner weiß, ob man sich nur nach außen hin moderat verhält, ansonsten aber radikale Positionen vertritt. Fragen über Fragen, die der Verfassungsschutz zu beantworten habe, sagt Politikpsychologe Kliche.
    "Gerüchte vergiften soziale Beziehungen. Und wo wir gerade bei Facebook lernen, wie leicht Gerüchte zu streuen sind, sollten sich öffentliche Stellen von so etwas fernhalten."
    Parlamentarische Kontrollgremium beruft Sondersitzung ein
    Die Islamische Gemeinde Stendal hat nun einen - dem Deutschlandfunk vorliegenden - Brief an den Verfassungsschutz geschrieben. Man wolle wissen, um welche Personen es konkret gehe, die mit der Muslimbruderschaft sympathisieren, so Samir Mukbel von der Islamischen Gemeinde in Stendal. Nach eigenen Angaben sei man völlig unpolitisch. Deshalb dürfe in den Räumen der Moschee keiner politische Inhalte verkünden, nicht mal der Imam beim Freitagsgebet, so Mukbel weiter.
    "Natürlich haben wir intern gesprochen, was vorgefallen sein könnte."
    Die Parlamentarische Kontroll-Kommission in Sachsen-Anhalt – das parlamentarische Kontrollgremium des Verfassungsschutz‘ – will sich nun am Dienstag in einer Sondersitzung mit dem Thema beschäftigen. Die Abgeordneten wollen sich vom Verfassungsschutz über den "Gesamtsachverhalt" informieren lassen. Das heißt: Man will konkrete Belege sehen, die letztlich zu den Vorwürfen geführt haben, dass die Islamische Gemeinde in Stendal von Islamisten unterwandert sei.