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Stephan Kühn (Grüne) zur Diesel-Entschiedung
"Es gibt nach diesem Urteil keine Ausreden mehr"

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Diesel-Fahrverbot hat der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stephan Kühn, die Bundesregierung dazu aufgerufen, die Kommunen nicht mit dem Problem allein zu lassen. Fahrverbote könnten noch vermieden werden - etwa durch Hardware-Nachrüstung auf Kosten der Hersteller oder der Einführung der blauen Plakette.

Stephan Kühn im Gespräch mit Christiane Kaess | 27.02.2018
    Umweltaktivisten stehen mit Transparenten und Schildern vor dem Bundesverwaltungsgericht. Dort könnte am Donnerstag ein wegweisendes Urteil für Dieselfahrer fallen. Das Gericht wird darüber verhandeln, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in besonders belasteten deutschen Städten ein rechtlich zulässiges Mittel und in die jeweiligen Luftreinhaltepläne aufzunehmen sind.
    Umweltaktivisten stehen mit Transparenten und Schildern vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Dort ist am 27.2.2018 ein wegweisendes Urteil für Dieselfahrer gefallen (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
    Nach dem Urteil zum Dieselfahrverbot hat der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Stephan Kühn die Bundesregierung dazu aufgerufen, die Kommunen nicht mit dem Problem allein zu lassen. Fahrverbote könnten durch Hardware-Nachrüstung auf Kosten der Hersteller und die Einführung der blauen Plakette vermieden werden, sagte er im Dlf.
    Christiane Kaess: Schmutzige Dieselfahrzeuge könnten bald aus Städten mit dicker Luft verbannt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hält diese Fahrverbote für zulässig. So das Grundsatzurteil heute in Leipzig. Es betont aber auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
    Darüber kann ich jetzt sprechen mit Stephan Kühn. Er ist verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und in Leipzig vor Ort. Guten Tag, Herr Kühn.
    Stephan Kühn: Schönen guten Tag.
    Kaess: Wie zufrieden sind Sie mit dem Urteil?
    Kühn: Das Bundesverwaltungsgericht hat erst mal für das Recht auf saubere Luft und damit pro Gesundheitsschutz für die Bürgerinnen und Bürger geurteilt, und das ist erst mal eine wichtige Entscheidung. Jetzt muss man die Konsequenzen ziehen: Wer ist verantwortlich, dass künftig Fahrverbote drohen? Das sind einerseits die Automobilhersteller, die Fahrzeuge mit überhöhten Abgaswerten produziert haben, und andererseits eine Bundesregierung, die die Kommunen mit dem Problem alleine gelassen hat und die Grenzwerte für Luftschadstoffe jahrelang ignoriert hat. Deshalb ist jetzt in erster Linie der Bund gefragt, um Fahrverbote zu vermeiden, denn das sollte immer noch das Ziel sein, dass jetzt endlich die Hersteller verpflichtet werden, eine Nachrüstung der Fahrzeuge vorzunehmen, eine Hardware-Nachrüstung, und endlich die blaue Plakette einzuführen.
    "Der Bund hat immer gesagt, er will Fahrverbote vermeiden"
    Kaess: Aber, Herr Kühn, danach sieht es ja überhaupt nicht aus, denn in dem Urteil ist ja weder die Automobilindustrie irgendwie in Mitverantwortung genommen, noch der Bund. Im Moment bleibt das Ganze ja an den Städten und Kommunen hängen. Ist das in Ordnung?
    Kühn: Das ist nicht in Ordnung. Der Bund hat immer gesagt, er will Fahrverbote vermeiden, und um solche Fahrverbote zu vermeiden, muss er endlich aus seiner Rolle herauskommen, nichts zu tun und das Problem bei den Kommunen und Ländern abzuladen, sondern er muss handeln. Handeln heißt jetzt, die Kommunen und die Länder dabei zu unterstützen, dass Fahrverbote noch abgewendet werden können. Dazu hat das Gericht jetzt in gewisser Weise für Euro-fünf-Fahrzeuge eine Schonfrist bis September 2019 eingeführt. Das ist die Zeit, die die Bundesregierung nutzen kann, um mit den Herstellern verpflichtend über Hardware-Nachrüstungen nicht nur zu reden, sondern auch deren Umsetzung zu vollziehen – zu Lasten der Hersteller und nicht zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher beziehungsweise der Steuerzahler. Der Bund ist jetzt schon in der Pflicht aus meiner Sicht, hier jetzt endlich zu handeln und nicht die Kommunen und die Länder mit dem Problem alleine zu lassen, was ja – und das hat das Gericht angesprochen – auch praktische Probleme nach sich zieht, weil wir dann am Ende einen Flickenteppich bekommen mit unterschiedlichen Regelungen.
    "Fahrverbote sind das Ergebnis des Nichthandelns der Bundesregierung und der Hersteller"
    Kaess: Herr Kühn, ich muss da noch mal nachfragen. Glauben Sie denn tatsächlich, dass Fahrverbote wirklich noch zu vermeiden sind? Im Moment sieht es doch eher so aus, als wäre es realistisch, dass die sehr, sehr schnell kommen werden, zumindest für die ganz schmutzigen Diesel.
    Kühn: Zunächst mal muss jetzt Stuttgart und Düsseldorf die Luftreinhalteplanung nach Maßgabe der Gerichtsentscheidung überarbeiten. Das wird eine Zeit lang dauern.
    Kaess: Dafür fänden Sie aber grundsätzlich, um die Luft sauberer zu bekommen, Fahrverbote auch in Ordnung?
    Kühn: Die Fahrverbote sind das Ergebnis des Nichthandelns der Bundesregierung und der Hersteller, die die Probleme ignoriert haben, die nicht gehandelt haben, die sich im Falle der Hersteller ja gegen eine Hardware-Umrüstung ausgesprochen haben. Jetzt ist es Sache der Bundesregierung und der Hersteller, die Kommunen zu unterstützen, damit am Ende nicht nur bei Euro fünf, sondern auch darunter die Umrüstung der Fahrzeuge stattfindet. Das ist eigentlich die letzte Chance, um einzelne Fahrverbote noch abzuwenden, denn das Gericht hat gesagt: Ja, zur Einhaltung der Luftschadstoff-Grenzwerte nach dem europäischen Recht ist, wenn andere Maßnahmen nicht greifen, ein Fahrverbot zulässig und muss dann auch entsprechend umgesetzt werden.
    Kaess: Was sagen Sie denn jemandem, der in einem Innenstadtbereich wohnt und einen Diesel hat, den er von eventuell jetzt auf gleich nicht mehr fahren kann?
    Kühn: Die Situation ist ja die, dass zunächst erst mal die Luftreinhaltepläne überarbeitet werden müssen, sowohl in Stuttgart als auch in Düsseldorf. Der potenziell betroffene Fahrzeughalter, der muss wie wir auch ganz klar sich an die Bundesregierung wenden und auch an die Hersteller, um Druck zu machen, dass diese Hardware-Nachrüstung kommt, damit ein Wertverlust für Fahrzeuge vermieden werden kann.
    Kaess: Aber danach sieht es doch im Moment gar nicht aus. Was soll denn der Einzelne da tun?
    Kühn: Ich glaube, der politische Druck auf die Bundesregierung, endlich zu handeln, und auch der Druck auf die Hersteller, die sich gesträubt haben gegen Hardware-Nachrüstungen, der ist nach diesem Urteil ungleich größer. Insofern glaube ich, dass hier die Bundesregierung nicht weiter das Problem nicht nur bei den Kommunen abladen kann, sondern auch nicht bei den betroffenen Fahrzeughaltern, die ja geglaubt haben, ein Fahrzeug gekauft zu haben, was nicht nur sparsam ist, sondern auch relativ umweltschonend. Der politische Druck ist aus meiner Sicht zum Handeln nach diesem Urteil sehr, sehr groß, dass die Bundesregierung sich an der Stelle bewegen muss, um die Verbraucher nicht im Stich zu lassen und Wertverluste zu vermeiden.
    "Hardware-Umrüstung ist möglich"
    Kaess: Aber die Nachrüstung, die Sie jetzt immer wieder ansprechen, Herr Kühn, die kann Jahre dauern, sagen Experten. Das hilft dem Einzelnen, der jetzt betroffen ist, wenig.
    Kühn: Diese Aussage muss in Zweifel gezogen werden. Unlängst hat der ADAC eine Studie veröffentlicht, in der auch noch mal deutlich geworden ist, dass diese Hardware-Umrüstungen bei den meisten Fahrzeugen möglich sind, dass sie wirksam sind, dass sie die Stickoxid-Belastungen innerstädtisch bei den Fahrzeugen um 70, außerorts um 90 Prozent reduzieren helfen, also wirksam sind im Gegensatz zu den Software-Updates, die ja die Hersteller angekündigt haben. Sie sind finanziell darstellbar. Insofern gilt nicht, was die Hersteller sagen, dass das nicht geht, dass das nicht umsetzbar ist. Ich glaube, dass es möglich ist. Das bestätigen zahlreiche Experten. Es gibt auch Unternehmen und Hersteller, die solche Hardware-Nachrüsttechnik verfügbar haben. Also, es gibt nach diesem Urteil keine Ausreden mehr, jetzt Hardware-Nachrüstungen vorzunehmen.
    "Der Bund muss endlich eine blaue Plakette einführen"
    Kaess: Jetzt sagen Kritiker aber auch, die schlechten Luftwerte, die sinken ohnehin, weil es ja schon zahlreiche Maßnahmen gegeben hat. Und auch wenn wir nichts tun würden, dann würden die Grenzwerte bald sowieso eingehalten. Wird hier vielleicht viel zu viel unnötiger Druck mit Fahrverboten aufgebaut?
    Kühn: Die Grenzwerte gelten seit 2010 und sie sind nicht eingehalten worden nach genannten Gründen. Die Grenzwerte hat man nicht zum Spaß eingeführt, sondern man hat sie eingeführt, um Gesundheitsgefahren abzuwenden. Insofern gab es bis zu dieser Entscheidung heute acht Jahre Zeit, alles zu tun, um Fahrverbote zu vermeiden. Das hat man nicht getan. Man hat die Kommunen mit dem Problem alleine gelassen. Die Hersteller sind ihrer Verantwortung nicht nachgekommen. Insofern braucht es offensichtlich den Druck auf Hersteller und Bundesregierung, endlich jetzt zu handeln, um Fahrverbote als letzte Möglichkeit noch abzuwenden. Diese Möglichkeit besteht nach dem Urteil immer noch. Aber dann muss die Bundesregierung sich bewegen. Die Hersteller müssen sich bewegen. Die Hersteller müssen sich auf eine Hardware-Nachrüstung verpflichten und der Bund muss endlich eine blaue Plakette einführen.
    Kaess: … sagt Stephan Kühn. Er ist verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Kühn: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.