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Stephanie Danler: "Sweetbitter"
Auf- und Abstürze in der New Yorker Gastro-Szene

Sie flieht aus der amerikanischen Provinz in die Großstadt New York. Austern, Kakerlaken, Kokain: Die Protagonistin von Stephanie Danlers erstem Roman, lässt nichts aus. Anfänglich Hilfskellnerin und junges Ding, mausert sich Tess zur Frau. Das Buch besticht durch bissigen Humor, zeigt aber dramaturgische Schwächen.

Von Shirin Sojitrawalla | 27.07.2017
    Dieses Buch vereint so viele Klischees, dass man es am liebsten gleich zur Seite legen würde: Provinzlerin flieht in die Großstadt, Mädchen reift unter den Fittichen von diesem und jenem zur Frau, tapsige Hilfskraft mausert sich zur begnadeten Kellnerin et cetera pp. Nichts von dem, was Stephanie Danler in ihrem Debütroman erzählt, ist neu und doch findet sie einen eigenen Ton und eine besondere Gangart des Erzählens, die sich zumindest auf der Höhe der Zeit befinden. Im Mittelpunkt des Romans steht Tess, eine junge Frau im Studentinnenalter, die es aus der amerikanischen Provinz nach New York verschlagen hat. Dort möchte sie jemand werden und wird stattdessen erst einmal Hilfskellnerin in einem angesagten Lokal. Die Arbeit dort vereint für sie viele große erste Male: die erste Auster, die erste Kakerlake, die erste Linie Kokain, der erste Sex mit dem Chef und so fort. Dabei erweist sich ihre Anstellung auch als eine Schule des Geschmacks, welchen die Ich-Erzählerin in all seinen Nuancen auskostet:
    "Es ist nicht schwer, bestimmte Dinge zu mögen, wenn man sich einmal auf sie eingelassen hat: Anchovis, Schweinefüße, Schweinekopf-Terrine, Sardinen, Makrelen, Seeigel, Leber-Mousse und Confits. Sobald man sich auf die Intensität des Geschmacks einlässt, darauf intensiver zu schmecken und bessere Qualität zu erkennen – sobald man Geschmack als seinen Gott akzeptiert hat –, kommt der Rest wie von allein. Es fing damit an, dass ich immer mehr Salz brauchte. Meine Zunge bekam eine Art Hornhaut, sie wurde zu sehr in Anspruch genommen. Der Fisch sollte nach Fisch schmecken, aber eben nach Fisch hoch Tausend. Hoch eine Million. Fisch auf Crack. Gut, dass ich nie Crack genommen habe."
    Missgeschicke und Schicksalsschläge in New York
    Auch ohne den Roman gelesen zu haben, kann man sich leicht vorstellen, was einem als ungelernte Hilfskellnerin so alles zustoßen kann bei der Arbeit. Auch Tess verliert natürlich an einer Stelle mit vielen Tellern auf den Armen das Gleichgewicht. Immer wieder mal mischt der Roman Pleiten, Pech und Pannen zwischen Spülmaschine und Tresen locker unter das Geschehen. Dazwischen paukt Tess Gin-Sorten wie andere Vokabeln, erfährt von Hausrezepten gegen Schluckauf und manch einem dunklen Geheimnis der Stammgäste. Als Hilfskellnerin besitzt sie naturgemäß Kükenstatus, ist die Neue und darf sich gleichzeitig mehr und weniger erlauben als die anderen. Die Belegschaft des Restaurants dient dabei als Ersatzfamilie und eine Art von Club mit ganz eigenen Regeln, wie dem Schichtgetränk nach Feierabend oder die Sause im Anschluss an den eigenen Dienst. Hierbei kann Stephanie Danler wohl von ihren eigenen Erfahrungen als Kellnerin profitieren. So auch wenn sie die New Yorker Gastro-Szene als veritables Paralleluniversum inszeniert, dessen Bewohner sich ganz bewusst von den Otto-Normalos unterscheiden:
    "Wir nannten sie die 'Geregelten' . Sie arbeiteten täglich von neun bis siebzehn Uhr. Geregelte Arbeitszeiten. Sie lebten im Einklang mit der Natur, wachten und schliefen mit der Sonne. Essenszeiten, Geschäftszeiten – die Welt richtete sich nach ihrem Tagesablauf. Die besten Märkte, die Top-Konzerte, die Straßenfeste, ja, die schönsten Feiern überhaupt waren an Samstagen und Sonntagen. Die 'Geregelten' füllten die Kinos, Vernissagen und Töpferkurse. Sie schauten Fernsehserien genau dann, wenn sie ausgestrahlt wurden. Sie schauten den Super Bowl und die Oscars, sie reservierten Tische zum Abendessen, denn sie aßen zu normalen Zeiten. Skrupellos brunchten sie und lasen die Sunday Times am Sonntag. Sie bewegten sich in Gruppen durch überfüllte Museen, U-Bahnen und Bars, die ganze Stadt war ausgestattet mit Komparsen für den Film, in dem sie selbst die Hauptrolle spielten."
    Erwachsenwerden im Wechsel der Jahreszeiten
    Ein Jahr lang begleitet der Roman Tess, die vier Kapitel des Romans sind nach den Jahreszeiten benannt, in denen sie spielen. Es beginnt im Sommer und endet im Frühling. Dazwischen ist Tess erwachsen geworden. Es ist aber nicht nur ein Coming-of-Age-Roman, sondern auch einer, der vom Ankommen und Weggehen erzählt. Ein Arbeitsroman ist es und auch ein New-York- Roman, der die Gefühle, die einen dort überfallen können, gut auf den Punkt bringt:
    "(...) ich war auf dem Weg nach Chinatown zum Mittagessen. Allein. Und als ich so die Skyline betrachtete, verschmolzen zwei unterschiedliche Gefühle zu einem einzigen Gedanken. Von beiden Seiten der Brücke her drangen sie auf mich ein, und es war unmöglich, sie miteinander in Einklang zu bringen: Wer hier lebt muss, wahnsinnig sein, und: Ich kann hier niemals weg."
    Schöner Ton und schlichte Dramaturgie
    Diese schick neurotische New-York-Gefühlsgemengelage, die sich auch dank solcher Fernsehserien wie "Sex in the City" und "Girls" in alle Welt verbreitet hat, begleitet der Roman mit manch einer kecken Formulierung. Da ist dann etwa die Rede von einem Zug, der sich in den Bahnhof seufzt oder von einem Morgen, der sich spitz durch das geöffnete Fenster bohrt. An dieser Stelle sei unbedingt auf den schönen Ton der deutschen Übersetzerin Sabine Kray hingewiesen, die auch für die Slang-Einlagen einleuchtende Lösungen findet. Die aber täuschen nicht hinweg über die doch recht eindimensionale Hauptsatz-Stilistik und unraffinierte Dramaturgie des Ganzen. Kurz: Das permanente Tresen-Gelaber kann einem auch gehörig auf den Wecker gehen. Im nächsten Moment ist man indes wieder gefangen von der unverblümten Redeweise dieser Ich-Erzählerin, ihrem Hang, die kolossalen Freiheiten, die sich ihr bieten, mit allen Sinnen zu erfahren und sich einen eigenen Platz im Leben zu erobern. In diesen Momenten ist der Roman weitaus eher ein Jugendroman als ein Buch für Erwachsene. Doch Danler erzählt nicht nur von den Schwierigkeiten, sich im eigenen Leben zu verorten, sondern schaut den Abstürzen ihrer Protagonistin auch unverwandt ins Gesicht. Der nette Mädchen-Schnodder-Ton wird dann schon mal rau:
    "Kotzen. Fast nur Wasser. Irgendwas Geronnenes, aber vor allem Wasser. Kotzen in deinen Schoß. Kotzen in deine Tasche. Männer, die schreien. Rote und grüne Lichter, wie Blasen hinter dem Fenster. Schwerkraft statt Gurt. Dein Gesicht donnert gegen die Rückseite des Vordersitzes. Du hast versucht, dich festzuhalten, aber die Schwerkraft hat dich gepackt wie eine Puppe."
    Ob die Schlichtheit des Romans dem Unvermögen der Autorin oder ihren Vorlieben geschuldet ist, lässt sich an dieser Stelle nicht entscheiden. Es ist auch ein bisschen egal. Ein bisschen egal ist es leider auch, ob man diesen Roman gelesen hat. Schaden tut es wahrscheinlich nicht.
    Stephanie Danler: "Sweetbitter". Aus dem Amerikanischen von Sabine Kray. Aufbau Verlag, Berlin 2017, 412 Seiten, 21,95 Euro.