Dienstag, 16. April 2024

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Sterbehilfe-Debatte
Ärzteverband befürchtet "Sog in die Selbsttötung"

Der Wunsch nach Sterbehilfe habe oftmals mit starken Schmerzen und Angst zu tun, sagte der Vorsitzende des Marburger Bunds, Rudolf Henke, im DLF. Die medikamentöse Linderung von Angst und Schmerzen stille den Wunsch nach dem Tod zu 99,5 Prozent. Kommerz um aktive Sterbehilfe gehöre unterbunden.

Rudolf Henke im Gespräch mit Christine Heuer | 16.10.2014
    Der Vorsitzende des Marburger Bundes Rudolf Henke trägt schwarzen Anzug und gestreifte Krawatte.
    Der Vorsitzende des Marburger Bundes Rudolf Henke: "Verdanken das Leben nicht uns selbst." (picture alliance / dpa / Robert Schlesinger)
    Christine Heuer: Aktive Sterbehilfe, also die aktive Tötung von Patienten durch Ärzte, ist in Deutschland verboten. Passive Sterbehilfe, also zum Beispiel das Abschalten von lebenserhaltenden Maschinen in den Krankenhäusern, nicht. Debattiert wird momentan eine dritte Variante der Sterbehilfe: der assistierte Suizid, die Beihilfe zur Selbsttötung Schwerstkranker durch Ärzte, die Patienten, die sterben wollen, zum Beispiel tödliche Medikamente aushändigen. Über die Fraktionsgrenzen hinweg setzt sich jetzt eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten dafür ein, diesen assistierten Suizid gesetzlich zuzulassen.
    Am Telefon begrüße ich sehr herzlich Rudolf Henke, den Vorsitzenden des Marburger Bundes. Er ist auch für die CDU im Bundestag Abgeordneter. Guten Tag, Herr Henke!
    Rudolf Henke: Guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Herr Henke, nehmen wir an, ich bin todkrank, ich habe große Schmerzen und ich habe große Angst vor noch größerem Leiden. Wieso wollen Sie dann nicht, dass ein Arzt mir hilft, indem er mir eine tödliche Tablette in die Hand drückt, wenn ich mir das ausdrücklich wünschen sollte?
    Henke: Ja, weil das ja ein Wunsch ist, der wahrscheinlich viel mit diesen Schmerzen und viel mit der Angst zu tun hat, und weil es ja Möglichkeiten gibt, die Schmerzen zu stillen und die Angst zu lindern. Wir erleben ja oft, dass Menschen in Behandlung kommen und sagen, wie das jetzt ist, das halte ich nicht mehr aus, so kann es nicht weitergehen. Und wenn man dann in der Palliativmedizin oder im Hospiz einen Weg der Linderung findet, dann stillt das auch den Wunsch nach dem Tod.
    Heuer: Ist das in jedem Fall so?
    Angebote von Hospizen flächendeckend ausbreiten
    Henke: Ja. 99,5 Prozent oder mehr ist das, was uns die Palliativmediziner, die wir auch hier in den Deutschen Bundestag eingeladen haben, zum Beispiel von der Stiftung Palliativmedizin, sagen. Ich weiß aber natürlich auch, dass das davon abhängig ist, dass diese Hilfe auch bereitgestellt wird, und wir als Ärzteschaft setzen uns seit Langem dafür ein, dass man die Palliativmedizin und die Angebote von Hospizen flächendeckend so ausbreiten muss, dass der Zugang auch wirklich gewährleistet ist, und das erfordert auch eine entsprechende spezialisierte Fachkenntnis der Ärzte, jedenfalls wenn es über das Wissen hinausgeht, was normalerweise jeder Arzt oder jeder Hausarzt bereithält.
    Heuer: Jetzt reden wir über Gesetze, Herr Henke. Aber wie ist es denn in der Praxis? Ist es nicht tatsächlich so, dass Beihilfe zum Suizid durch Ärzte relativ häufig vorkommt, nur weiß es keiner?
    Henke: Ja wenn es keiner weiß, wie soll ich es dann wissen.
    Heuer: Na ja, Sie sind im Marburger Bund. Ich denke, Sie haben da bessere Einsichten als ich und andere.
    Henke: Ja. Aber ich glaube, dass es ja nicht ohne Grund so ist, dass wir in der Ärzteschaft mit großen Mehrheiten auf dem Deutschen Ärztetag und auch in den Kammerversammlungen, was die Berufsordnung angeht, entschieden haben, wir wollen nicht, dass Ärzte in der Suizidassistenz aktiv werden. Wir glauben, dass die ärztliche Profession ein Beruf ist, der dem Leben Kraft geben soll. Wir glauben, dass wir dazu da sind, beim Sterben zu helfen, aber nicht zum Sterben zu helfen. Und ich glaube, dass das Verteilen von Giftmitteln an Menschen, die sich selbst das Leben nehmen wollen, auch gar nicht das ist, was zu den Umfragedaten führt, die sagen, es muss an der rechtlichen Situation etwas geändert werden. Es ist ja wahr, dass das viele in der Bevölkerung wollen. Ich weiß aber aus vielen Diskussionen, dass da auch der Glaube herrscht, der Arzt kann praktisch kommandieren, welche Behandlung durchgeführt wird, der Arzt könne bestimmen, ob jemand an Maschinen, an Schläuche angeschlossen wird, der Arzt könne sagen, jetzt wird eine Chemotherapie oder eine Strahlentherapie gemacht und Du musst das jetzt dulden. Das stimmt ja alles nicht, sondern eine Behandlung ist immer nur möglich im Einverständnis mit demjenigen, um dessen Leben und Gesundheit es geht. Und insofern: Eine Behandlung, die der Arzt einem Kranken aufzwingt, die wäre Körperverletzung, die für den Arzt strafbar ist. Deswegen glaube ich, wenn wir da mehr Klarheit drüber schaffen und auch mehr Klarheit darüber schaffen, die Palliativmedizin und die Hospize zugänglich zu haben überall, die Informationen darüber zu verbessern, dann glaube ich auch, dass sich die Mehrheitslage in der Bevölkerung ändert.
    Heuer: Dass die Patienten entscheiden sollen, das fordert ja nun auch die Gruppe um Peter Hintze. Der ist ja auch noch Ihr Fraktionskollege, Ihr Parteifreund. Und diese Gruppe argumentiert deshalb, dass in einem Vier-Augen-Prinzip - das heißt, es sind mindestens zwei Ärzte beteiligt - Patienten entscheiden können und sagen können, wenn sie bei vollem Verstand sind, sie möchten gerne assistiert bekommen bei einem Selbstmord. Was spricht denn dann dagegen, wenn Patienten sich so deutlich überprüfbar für diese Lösung entscheiden, Herr Henke?
    "Wir verdanken ja nicht das Leben uns selbst"
    Henke: Wir verdanken ja nicht das Leben uns selbst. Es ist ja nicht so, dass wir uns selbst irgendwie ins Leben bringen, und deswegen glaube ich auch nicht, dass es so ist, dass wir als Gesellschaft und als Politik auf die richtige Richtung kommen, wenn wir jetzt sagen, wir machen das Leben völlig verfügbar, weil wir damit ja auch eine gesellschaftliche Veränderung einleiten, dass immer wieder Menschen damit konfrontiert werden, dass man ihnen das Gefühl vermittelt, Du bist jetzt eine Last: Du bist eine Last für Dich, Du bist eine Last für uns. Und meine große Sorge ist, dass wir damit nach und nach einen Sog in die Selbsttötung auslösen, der ja nach allem, was ich jedenfalls von Peter Hintze und dem Kollegen Lauterbach höre, nicht gewollt ist. Ich frage nur: Wenn denn diese enge Begrenzung auf unheilbar, tödlich, Tragweite bewusst sein soll, wo ist denn der Unterschied zu den anderen, die bei heilbaren Krankheiten, unter denen sie leiden, das wollen?
    Heuer: ..., dass es einen Ausweg gibt.
    Henke: Ja! Aber diesen Ausweg, glaube ich, gibt es ja auch bei denen, die unter unheilbaren Krankheiten leiden, weil die Erfolge der Palliativmedizin für praktisch alle Fälle die Möglichkeit geben, ohne eine Tötung zu einem erträglichen Zustand zu kommen, und wenn es - auch dafür ist die Ärzteschaft ja eingetreten und stellt diese Möglichkeit zur Verfügung - darum geht, dass eine vollständige oder teilweise Narkose stattfindet.
    Heuer: Genau! Narkose ist ein gutes Stichwort, Herr Henke. Wenn zum Beispiel in der Palliativmedizin hoch dosiert Morphium verabreicht wird, ist das nicht, so gnädig es ist, auch eine Art von Sterbehilfe, die zugelassen ist?
    Henke: Morphium kann in der Nebenwirkung sich tödlich auswirken. Das ist wahr. Aber das ist eine Dosierungsfrage und die Erfahrung zeigt, dass all die Ängste, die früher gegenüber dem Morphium bestanden haben, wo man gesagt hat, die werden alle abhängig, oder sie kriegen Atemstillstand, bei einer guten und den Schmerz stillenden Dosierung tritt das nicht in der Praxis auf. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man sagen könnte, wenn wirklich ein Fall vorliegt, in dem die Schmerzen nicht mit Morphium gestillt werden können, natürlich kann man dann zu stärkeren Narkosemitteln greifen. Und ich glaube auch, dass es möglich sein sollte, dann auch einen Patienten mal über eine gewisse Zeit in einen Schlaf, wie man das ja nach Unfällen oder so kennt, in ein künstliches Koma, wie das heißt, zu versetzen, und dann nach einer Weile zu gucken, wie es sich entwickelt hat. Es ist ja auch sehr oft so, dass eine unzureichende Schmerzbehandlung zur Folge hat, dass jemand dann sein Leben nicht mehr erträgt, und dann können Sie auf der Palliativstation beispielsweise mit einer entsprechenden Infusionstherapie, die dann in der Tat auch viel Schlaf bedeutet, zu einer Neubewertung kommen. Ich finde, dass wir diese ganzen Möglichkeiten nicht einfach ignorieren dürfen. Die Welt ist nicht mehr so, wie sie vor 30 Jahren war.
    Heuer: Herr Henke, es gibt aber, doch anerkannt von den meisten, eine Grauzone, in der Ärzte Verantwortung übernehmen müssen. Meine abschließende Frage an Sie ist: Ist es nicht besser, alle Möglichkeiten ganz klar und gesetzlich zu regeln und damit auch zu verhindern, dass Suizide von Schwerstkranken dann irgendwann bei Sterbehilfevereinen landen, die Geld mit der Sache verdienen?
    Geschäftsmäßige Angebote unterbinden
    Henke: Ich glaube, dass diese Geldverdien-Vereine und geschäftsmäßig organisierten Angebote, dass die unterbunden gehören. Ja! Ich glaube, dass das auch der wichtigste gesetzliche Schritt jetzt wäre, zu sagen, wir wollen nicht, dass irgendjemand Reklame damit machen kann, Werbung damit machen kann, ein Leistungsversprechen abgibt, Dir verabreiche ich, wenn Du zu mir kommst, jetzt ein tödliches Gift, das Du dann zwar einnehmen musst, aber ich mach mich dann aus dem Staub, damit ich dann nicht dem Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung unterworfen bin. So was wollen wir nicht und ich glaube, das sollte auch gesetzlich unterbunden werden. Ich bin noch sehr unsicher. Diese Diskussion verläuft ja in mindestens fünf verschiedenen Kreisen im Deutschen Bundestag. Wir werden im November, Mitte November eine große dreistündige Debatte im Bundestag haben. Ich bin in manchen Fragen auch noch nicht endgültig entschieden und ich glaube, dass eigentlich die Regelungen in der Berufsordnung ausreichen. Ich würde darüber hinaus im Augenblick keine weitergehenden weder Verbote, noch Erlaubnisse für das ärztliche Handeln normieren.
    Heuer: Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes, in dem die Krankenhausärzte organisiert sind. Er ist auch CDU-Politiker im Deutschen Bundestag. Herr Henke, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
    Henke: Ja! Auf Wiedersehen, Frau Heuer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.