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Sterbehilfe
Mein Tod gehört mir

Sollen Ärzte Suizidwilligen helfen dürfen, sich das Leben zu nehmen? Der Medizinethiker und Palliativmediziner Ralf Jox setzt sich für das Selbstbestimmungsrecht von Sterbenskranken und Ärzten ein.

Von Sarah Zerback | 16.04.2014
    Auf der chirurgischen Intensivstation der Ludwig-Maximilian-Universität in München müssen täglich Entscheidungen getroffen werden, die existenzielle Folgen haben. Welche Behandlung kann Leben verlängern, Leiden verhindern, den unausweichlichen Tod so schmerzfrei, so würdevoll, so selbstbestimmt wie möglich werden lassen? All das sind nicht nur medizinische, sondern auch ethische Fragen, die unter hohem zeitlichen und emotionalen Druck beantwortet werden müssen, die mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden sind.
    Und hier kommt Ralf Jox ins Spiel, Medizinethiker und selbst Palliativmediziner. Der 39-Jährige steht am Bett einer älteren Frau, die fast völlig in ihrem viel zu großen Nachthemd zu verschwinden droht, über ihrem Kopf flackern Monitore, überwachen ihr schwer krankes Herz. Ralf Jox erkundigt sich kurz bei der diensthabenden Schwester nach dem Zustand der Patientin, setzt dann seinen Rundgang fort, er ist auf dem Weg zu einer Besprechung mit dem Oberarzt.
    "Also was wir als Medizinethiker machen, ist, dass wir eben ethische Fallberatungen anbieten, die wir eben gemeinsam mit ärztlichen Kollegen, Kollegen aus der Pflege, mit Sozialarbeitern, Seelsorgern, manchmal auch mit Angehörigen durchführen. Das heißt, wir treffen uns in der Regel hier auf der Station in einem ruhigen Zimmer und besprechen eine ethisch schwierige Therapieentscheidung. Und das ist oft eine hilfreiche Situation, wo man dann durchaus gemeinsam im Konsens eine Entscheidung treffen kann und mit der alle besser zurechtkommen. - Gut, dann würden wir jetzt zum Oberarzt gehen, und Sie besprechen sich?"
    Tabu Sterbehilfe
    Ralf Jox gehört zu den wenigen Ärzten, die sich öffentlich für den ärztlich begleiteten Suizid aussprechen. Auch, weil das nach seiner Erfahrung dem Wunsch der meisten Patienten entspricht. In einer aktuellen Studie hat er gemeinsam mit Schweizer Kollegen 66 Patienten befragt, die an der Muskellähmung ALS leiden. Die Hälfte von ihnen konnte sich vorstellen, ihren Arzt um Suizidhilfe zu bitten - so das Ergebnis, aber die Schwelle, diesen Wunsch auch in Worte zu fassen, die ist groß.
    "Wir haben möglicherweise Angst, dass das die Vertrauensbeziehung stört zu dem Arzt und sie wissen vermutlich auch nicht, wie sie das Thema ansprechen sollen und wie der Arzt dazu steht. Es ist ja auch in unserer Gesellschaft noch ein Tabu. Man spricht zwar so ein bisschen in der Öffentlichkeit drüber. Aber es ist in der konkreten Arzt-Patienten-Beziehung, teilweise auch in den Familien ein Tabu." Warum ist das so? Was ist so anstößig am Sterben durch eigene Hand?
    "Ja, es ist in der Geistesgeschichte natürlich über viele Jahrhunderte ein Tabu gewesen und durch die Kirche, die katholische Kirche speziell, der Suizid insgesamt tabuisiert worden und als Sünde dargestellt worden. Und das wirkt natürlich nach. Und es ist natürlich auch was, wovor Menschen Angst haben, weil wir ja alle lebenszugewandt sind. Und man möchte sich das natürlich auch nicht vorstellen, weil man immer auch für sich selber solche Situationen ausschließen will. Wenn man aber mit schwerkranken und sterbenden Personen zu tun hat, dann weiß man: es gibt leider Extremsituationen, die man sich vielleicht als Gesunder, als Laie kaum vorstellen kann. Und insofern gibt es eben Situationen, wo ich persönlich eben diesen Wunsch der Betroffenen nachvollziehen kann."
    Jox: Kein ethischer Dammbruch
    Nun führen Kritiker ja oft das Argument des ethischen Dammbruchs an. Inwieweit können Sie sich vorstellen, dass das Druck ausübt auf die Patienten oder eben keinen Druck ausübt, wenn es in Deutschland den ärztlich assistierten Suizid gibt?
    "Diese Dammbruchargumente sind sehr überzeugend auf den ersten Blick. Letztlich halten Sie aber oft nicht stand, denn sie beruhen ja alle darauf, dass man sagt: Wenn wir jetzt etwas einführen, dann kommen wir auf eine schiefe Ebene und dann passiert das und jenes und wir enden dann irgendwo, wo wir es gar nicht wollen. Alle Untersuchungen, die es gibt aus Ländern, die das eben eingeführt haben, zeigen, dass es keinen Dammbruch gibt. Insofern ist das in gewisser Weise ein emotional unfairer Appell an die Angst der Menschen, dass alles schlechter wird. An diesen Pessimismus."
    Wenn man den ärztlich assistierten Suizid jetzt erlaubt, bringt das nicht auch die Ärzte selbst vor eine ganz schwierige Wahl? Sie selbst wurden auch schon gefragt, was hat das mit Ihnen gemacht?
    "Da haben Sie völlig recht. Das bringt jeden in eine ganz schwierige Zwickmühle. Ich glaube, es darf auf jeden Fall bei dieser Entscheidung Ärzte geben, die sagen: Ich möchte in dieser speziellen Situation nicht beim Suizid helfen. Also diese Gewissensentscheidung soll jedem Arzt erlaubt sein - ähnlich ist es ja auch bei der Abtreibung. Es soll aber meiner Meinung nach Ärzte geben, die das machen dürfen, wenn sie bestimmte Bedingungen einhalten und das ist mir ganz wichtig, diese Bedingungen. Das Problem ist, dass wir eben aktuell keinerlei Richtlinien, Sorgfaltskriterien, Bedingungen haben, weshalb ich glaube, dass wir in Deutschland ein Gesetz bräuchten, was klare Richtlinien vorgibt.
    Ich bin sozusagen durchaus für eine Verschärfung der Rechtslage auf dem Papier, aber indem es klare Bedingungen formulieren würde, wann eine Suizidhilfe erlaubt ist, würde das Gesetz die Praxis ethisch verbessern. Das heißt, es wird einerseits der Autonomie der Patienten gerecht. Also es würde sagen, einzelne Patienten dürfen das, wenn sie sich wirklich autonom dafür entscheiden. Es würde aber andererseits auch den Lebensschutz stärken, es würde eine gewisse Wildwest-Sterbehilfe, wie sie meiner Ansicht nach praktiziert wird in Deutschland, doch einschränken."