Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Sterben am Ganges
Der Geruch des Todes

Zehntausende Menschen kommen pro Jahr in die Heilige Stadt des Sterbens nach Varanasi im Nordosten Indiens. In einem Sterbehaus - einer Art Altersheim - warten sie auf ihren Tod. Viele Hindus glauben, dass der Kreislauf der Wiedergeburt durchbrochen werden kann. Wer hier stirbt, dessen Asche wird in den heiligen Fluss Ganges geworfen.

Von Jürgen Webermann | 27.08.2016
    Blick auf die indische Stadt Varanasi am Ganges
    Blick auf die indische Stadt Varanasi am Ganges (dpa / picture alliance / Tesinsky David)
    Ghulab Bhai hat sich einen schönen Ort zum Sterben ausgesucht. Das Chaos der Millionenstadt Varanasi scheint weit weg. Statt Verkehrslärm sind Gebete des Priesters aus einem kleinen Tempel zu hören. Im Innenhof der einfachen Wohnanlage spendet ein alter, großer Baum Schatten und Ruhe.
    Ghulab Bhai ist 82 Jahre alt. Sie stammt aus Zentralindien. Sie sagt, sie habe Krebs, Diabetes und Bluthochdruck.
    "Mein Ehemann starb auch schon hier. Und wie er will ich Erlösung vom Leben. Die gibt es hier in Varanasi. Ich möchte nicht als eine von 84.000 Kreaturen wieder geboren werden."
    Ein schöner Ort zum Sterben
    Ghulab, die überhaupt nicht so wirkt, als sei sie todkrank, glaubt wie viele Hindus, dass der Kreislauf der Wiedergeburt in Varanasi durchbrochen werden kann. Wer hier stirbt, dessen Asche wird in den heiligen Fluss Ganges geworfen.
    "Varanasi ist für mich die Erlösung. Und im Ganges fließt nicht Wasser, sondern Nektar, aus dem wir diesen Glauben saugen. Niemand weiß, wann der Tod kommt. Ich mag noch jung und fit aussehen, aber ich bin alt. Glaube mir."
    Ghulab lebt in einem sogenannten Sterbehaus. Eigentlich ist das Sterbehaus eher so eine Art Altersheim. Gebaut von einem mächtigen Industriellen aus Kalkutta. Hier finden Menschen wie Ghulab Ruhe. Hier können sie ihren Gebeten nachgehen. Es sind Menschen, die irgendwie genug haben vom Menschsein.
    "Ganz ehrlich, noch mal Mensch sein ist mir zu viel. Zu viele Sorgen, zu viel Trauer. Auch wenn es manchmal Glück gibt, ist das Leben nicht immer schön."
    Emotionen unerwünscht
    Ghulab kocht noch selbst, sie räumt auch ihr kleines Zimmer auf, sie plaudert mit anderen Bewohnern, und einen der Mitarbeiter des Sterbehauses hat sie adoptiert, für den Fall, dass ihre vier Söhne es nicht schaffen sollten, nach Varanasi zu reisen und ihre Beerdigung zu organisieren.
    Der Ort, an dem Ghulab irgendwann verbrannt wird, liegt direkt am Ganges, an den Ghats, alte, weite Ufertreppen, die ins Wasser des heiligen Flusses führen. Eigentlich ein schöner, faszinierender Ort. Aber hier riecht es nach Tod. Beißender Rauch liegt in der Luft.
    "Unser Job ist ein 24-Stunden-Job. Wir arbeiten in Schichten, oft von früh morgens bis spät in die Nacht. Wir müssen schließlich Geld verdienen. Du siehst, ja, was wir hier machen. Gerade sind zwei weitere Leichen gekommen. Die Arbeit ruft."
    Manoj ist Ende 20, steht auf einem Hausdach und schaut in die Gasse hinab. Dort brennt der Körper einer alten Frau. 200 Rupien, knapp zwei Euro 70, bringt das an Einkommen. Manoj und die anderen Leichenbestatter legen die in Tüchern gehüllten Körper auf Holzscheite. Aus einer ewigen Flamme entzünden sie das Feuer. Die Asche wird danach im Ganges verstreut. Alles ist klar geregelt. Emotionen kommen bei Manoj keine auf.
    "Jeder muss irgendwann sterben. Auch ich. Aber es ist eine Sache von zwei Stunden, dann sind die Körper verbrannt und die Trauer ist vergessen. Wir erlauben hier niemandem zu weinen."
    Varanasi ist die Stadt Shivas
    Tatsächlich weint hier am Krematorium niemand. Ein Sohn, der seinen Vater hergebracht hat, hat seinen Kopf rasiert. Das ist ein altes Ritual. Er sieht niedergeschlagen aus. Aber in der extremen Hektik an den Ghats bleibt keine Zeit zum Trauern. Die Angehörigen müssen 200 Kilogramm Holz besorgen, die Leiche in ein Tuch wickeln, Träger finden, die Bestatter wie Manoj bezahlen und hoffen, dass sie bald an die Reihe kommen. Der Tod gehört in Varanasi zum Alltag wie der Einkauf im kleinen Lebensmittelladen um die Ecke. Manoj hat deshalb eigentlich einen krisenfesten Job. Aber er hat auch Konkurrenz. Durch das elektrische Krematorium, das die Stadt vor einigen Jahren direkt neben seine Feuerstätte bauen ließ.
    "Unsere ganze Familie ist abhängig von diesem Geschäft. Jetzt wird jede zweite Leiche dort in dem Ofen verbrannt. Das ist ein Problem für uns. Ein Glück, dass so oft der Strom ausfällt und das elektrische Krematorium deshalb meistens still steht. Das liegt wohl an unseren Flüchen. Shiva hat uns erhört."
    Shiva ist in der Hindu-Mythologie der Zerstörer und Erneuerer. Varanasi ist die Stadt Shivas. Für Shiva hat sich Manoj aus der Asche der Toten einen weißen Punkt auf die Stirn gemalt. Er bezeichnet seine Arbeit als Geschenk des Gottes. Aber Manoj kann seinen Job nur aushalten, weil er ständig Marihuana raucht.
    "Marihuana bringt mir Weisheit. Ich kann mich so besser konzentrieren. Shiva hat es auch genommen, ich tue das aus spirituellen Gründen. Versuch’s auch mal. Dann verstehst Du es."
    Warten auf den Tod
    Manchmal, an besonders hektischen Tagen, verbrennen Manoj und seine Kollegen sieben Leichen gleichzeitig. Zehntausende Menschen kommen pro Jahr nach Varanasi, um hier zu sterben. Manche schaffen es nicht: Einige Sterbehäuser schicken ihre Bewohner wieder zurück in ihre Heimatorte, wenn sie nicht schnell genug sterben.
    Ghulab Bhai, die 82-jährige, die sich todkrank fühlt und auch im Sterbehaus lebt, kann aber bleiben, egal, wie lange sie noch lebt. So viel ist schon sicher, das bestätigt einer der Mitarbeiter.
    "Neulich bin ich mal umgekippt und war zwei Stunden bewusstlos. Es war kein Problem! Aber zum Sterben hat’s trotzdem nicht gereicht. Ich habe mich wieder berappelt."
    Und wenn es auch in den nächsten Jahren nicht klappt? Ghulab lächelt.
    "Dann komme ich einfach nach Deutschland und besuche Dich!"
    Über den Tod lässt sich in Varanasi also auch prächtig scherzen.