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Steuer für das Finanzsystem "sollte nicht an Transaktionen hängen"

Eine Transaktionssteuer treffe nicht zwangsläufig die Finanzindustrie, sagt Guntram Wolff, stellvertretender Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Daher sei eine Steuer auf Profite oder Gewinne sinnvoller.

Guntram Wolff im Gespräch mit Anne Raith | 10.01.2012
    Anne Raith: Lange verging kaum eine Woche ohne Gipfeltreffen und eilig einberufene Krisensitzung, ohne Pressekonferenz in den Morgenstunden mit der Ankündigung, dieses Mal sei ein Durchbruch geglückt, dieses Mal aber wirklich. In den vergangenen Tagen und Wochen um den Jahreswechsel ist es dann erstaunlich ruhig geworden um die Euro-Schuldenkrise – bis gestern, als sich die Kanzlerin mit dem französischen Staatspräsidenten getroffen hat, um den Fahrplan der kommenden Wochen durchzugehen – ein Auftakt zum fünften europäischen Krisenjahr in Folge. "Wenn jetzt nicht weitere Maßnahmen getroffen werden, dann fliegt uns der Euro 2012 um die Ohren", sagt Guntram Wolff, der stellvertretende Direktor vom Brüsseler Think Tank Bruegel, den ich nun am Telefon begrüße. Einen schönen guten Morgen!

    Guntram Wolff: Guten Morgen!

    Raith: Herr Wolff, von "Maßnahmen treffen" kann nach dem gestrigen Treffen wiederum noch nicht die Rede sein. Aber war das gestern mehr als demonstrative Einigkeit? Gehen die beiden Ihrer Meinung nach zumindest in die richtige Richtung?

    Wolff: Ja, also den Eindruck habe ich im Prinzip schon. Frau Merkel und Herr Sarkozy sind bei den wichtigen Themen auf einer Linie. Natürlich muss man sich fragen, ob jetzt die Tobin Tax das wichtigste Thema ist, das man direkt angehen muss, aber im Prinzip, denke ich, geht man da jetzt bei den großen Themen Wachstum, Staatsschuldenbekämpfung, oder auch eine Strategie für den Finanzsektor in die richtige Richtung. Aber diese Maßnahmen müssen halt wirklich denn auch umgesetzt werden, und das wird auch noch einiges dauern. Also wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass diese Krise innerhalb von ein paar Monaten vorbei sein wird.

    Raith: Sie sprechen die Tobin Tax. Das war ja das Griffigste, um das es gestern ging: eine sogenannte Finanztransaktionssteuer. Die Kanzlerin könnte sich das vorstellen, hieß es gestern, auch für die Euro-Zone. Abgesehen davon, ob das durchsetzbar ist oder nicht, wäre das denn sinnvoll?

    Wolff: Gut. Ich glaube, es ist politisch ganz klar so, dass wir eine Steuer für das Finanzsystem brauchen. Das Finanzsystem muss bezahlen auch. Es hat bei der Krise sehr viele Fehler gemacht und sehr viel auch beigetragen und sehr viel von den Steuerzahlern gefordert, und im Gegenzug muss auch das Finanzsystem dazu beitragen. Die Frage ist, ob die Tobin Tax die richtige Steuer ist, und da wissen wir eigentlich aus der Literatur doch relativ klar, dass die Tobin Tax eben oft nicht die richtigen Leute besteuert. Letztendlich sind sie eben nicht mal sicher, ob dann am Ende effektiv diese Steuer wirklich von der Finanzindustrie bezahlt wird, oder eben doch von ihren Kunden.

    Raith: Warum wird sie dann immer wieder aufs Tableau gebracht? ... , weil man Handlungsfähigkeit beweisen will, weil das etwas ist, was griffig ist, was ein gutes Schlagwort ist?

    Wolff: Also ich glaube, da geht es sicherlich um solche Überlegungen, dass man wirklich den Wählern da etwas vermitteln möchte, das vielleicht gerade in der französischen Situation derzeit sehr wichtig ist, dass man da Handlungsspielraum zeigt.

    Raith: Frankreich hat ja sogar getönt, im Notfall alleine vorzupreschen. Ist das überhaupt möglich, eine Finanz-Transaktionssteuer allein für ein Land beziehungsweise dann für die Euro-Zone?

    Wolff: Na gut! Ich meine, Frankreich kann das natürlich machen, wenn da ein politischer Wille da ist. Das wird nur dann dazu führen, dass es halt keine Finanztransaktionen mehr in Frankreich gibt. Der Finanzmarkt Paris wird geschlossen werden und alles wird nach Frankfurt und nach London verlagert werden und im Endeffekt hat der französische Staat und der französische Wähler natürlich überhaupt nichts davon.

    Raith: Einer muss vorangehen, lautet ja immer wieder das Argument der Befürworter, wenn nicht einer anfängt, dann gehen die anderen 27 auch nicht hinterher.

    Wolff: Gut! Ich meine, das kann man natürlich hoffen. Man kann aber auch genau das Gegenteil erwarten, dass dann die anderen 26 eigentlich letztendlich sich freuen, den Finanzmarkt Paris bekommen zu haben und weiter mit usual Business machen. Da glaube ich nicht, dass dieses Sprichwort funktioniert.

    Raith: Aber Sie sagen, eine Steuer muss und sollte es geben. Wie könnte die aussehen?

    Wolff: Das ist jetzt eine weitgehende und schwere Frage. Aber im Prinzip haben wir Steuerinstrumente, die ansetzen an den Einkommen, die auch ansetzen an Gewinnen, die auch ansetzen an Überschussgewinnen in Bezug auf die Einnahmen. Insofern: Wir haben doch einige mögliche Steuerinstrumente. Aber das muss man dann wirklich sehr genau ausarbeiten, wie die aussehen sollten. Es ist klar: Es sollte nicht an Transaktionen hängen, es sollte an Profiten oder an Gewinnen hängen.

    Raith: In dieser Frage, lassen wir sie mal da hingestellt sein, sind sich Deutschland und Frankreich auch nicht in Gänze einig, ebenso wenig wie es in einer anderen Frage noch Unstimmigkeiten gibt. Angeblich will die Bundeskanzlerin ja den Fiskalpakt, wo es um solides Wirtschaften, um automatische Sanktionen geht, verknüpfen mit dem Vertrag über den ständigen Rettungsfonds. Das heißt, nur wer auch wirklich die strengen Haushaltsregeln akzeptiert, kann mit Hilfen aus dem Fonds rechnen. Ist das sinnvoll mit Blick gerade auf die hoch verschuldeten Staaten?

    Wolff: Also ich glaube, es ist klar, dass wir da eine Verknüpfung haben wollen und dass da auch eine Verknüpfung da sein muss. Auf der einen Seite haben wir mehr finanzielle Solidarität, also wir stellen Hilfsmechanismen zur Verfügung, die sind ja derzeit auch schon wirklich ziemlich groß, das ESM wird 500 Milliarden sein, das trägt nicht alles Deutschland, aber Deutschland ist ein wichtiger Beitragszahler, dazu kommen IWF-Hilfen. Also wir haben ja doch schon einiges an finanziellen Hilfen vorgesehen. Und im Gegenzug muss man natürlich dann auch erwarten, dass die Länder, die diese finanziellen Hilfen in Anspruch nehmen wollen, dass diese Länder eben auch bereit sind, bei ihrer Haushaltspolitik und auch wahrscheinlich bei ihrer Strukturpolitik beeinflusst zu werden von Europa. Das ist, glaube ich, ein kohärenter Ansatz. Also diese Verknüpfung muss sein.

    Raith: Wie lässt sich das vereinbaren mit dem gleichzeitigen Wunsch nach Wachstum und Beschäftigung, Aufschwung, Konjunkturankurbelung? Das waren ja weitere Stichworte, die gestern fielen.

    Wolff: Ja, das ist in der Tat eine schwierige Frage. Aber ich glaube, wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass wir die Fiskalkonsolidierung in Südeuropa, dass wir die verschieben können. In Griechenland sind diese Strukturreformen notwendig, auch in Spanien müssen wir Defizite reduzieren. Aber Sie haben recht: Wir müssen natürlich auch eine Wachstumsstrategie entwickeln. Das wurde gestern diskutiert. Ich denke, was wichtig ist, dass wir uns auch klar machen müssen, dass wir auch in Deutschland bereit sein müssen, mehr für Wachstum in Deutschland, aber auch eben in der Peripherie zu tun. Strukturfondsmittel für Südeuropa sind sicherlich hilfreich, aber dann würde ich eben auch noch dafür plädieren, dass wir letztendlich vielleicht einige antizyklische Fiskalelemente für den gesamten Euro-Raum brauchen. Wir brauchen wahrscheinlich doch noch ein stimulierendes Fiskalpaket für den Gesamt-Euro-Raum, und das heißt also auch für Deutschland und die Niederlande.

    Raith: ... , sagt Guntram Wolff - er ist stellvertretender Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel – über das gestrige Treffen zwischen Kanzlerin Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy und über die Herausforderungen für die Euro-Zone 2012. Haben Sie herzlichen Dank!

    Wolff: Ja, vielen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.