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Steve Israel: The Global War on Morris
Plötzlich in Guantanamo

Dick Cheney als fieser Finsterling und ein unschuldiger Bürger, der in kafkaesker Art zum Staatsfeind wird: Steve Israel, Abgeordneter der Demokraten aus New York, hat mit "The Global War on Morris" eine politische Satire über die staatliche Überwachungsmaschinerie in den USA vorgelegt.

Von Sabina Matthay | 20.04.2015
    Steve Israel, Mann mit grauen Haaren im Anzug, steht an einem Rednerpult und gestikuliert mit den Händen, im Hintergrund eine US-amerikanische Flagge.
    Steve Israel sitzt seit 2001 für die New Yorker Demokraten im Repräsentantenhaus. (imago/stock&people/UPI photo)
    Steve Israels Erstling beginnt in den USA des Jahres 2004, Präsident George W. Bush strebt die zweite Amtszeit an. Doch das Thema ist brandaktuell: die staatliche Überwachungsmaschinerie, die im Zuge des Kampfs gegen den islamistischen Terrorismus zur Krake mutierte und dabei auch die bürgerlichen Freiheitsrechte der Amerikaner ramponierte. Lange vor Edward Snowdens NSA-Enthüllungen habe er das Buch begonnen, sagt der demokratische Abgeordnete:
    Steve Israel: "In Washington kann Wahrheit eben merkwürdiger und oft amüsanter sein als Dichtung."
    Die Widmung des Buchs setzt Ton und Stoßrichtung:
    "Für Ex-Vizepräsident Dick Cheney. Und für meinen Vater, der ihn nicht besonders mochte."
    Und so lässt Israel Cheney eine gewichtige Rolle in seinem Plot zukommen, als Graue Eminenz der Regierung Bush sitzt er im Zentrum eines Netzes von Speichelleckern und schürt die Furcht vor Terroristen, Dschihadisten und Liberalen und überlegt, wie sich das Terrorwarnsystem zugunsten des Präsidenten manipulieren lässt. Ein echter Finsterling eben:
    "Karikaturen wurden Cheney nicht gerecht. Sie vermittelten weder den höhnischen Dauerausdruck noch die ständig hochgezogene Oberlippe, die wirkte, als wolle er gleich seitlich ausspucken; auch nicht, wie er das Kinn stets wie eine Schildkröte unter den Kragen zu schieben schien und auch nicht die dünnen weißen Haare oder den argwöhnischen Blick. In Person war er viel furchterregender."
    Der Supercomputer kommt ihm auf die Spur
    Titelheld Morris Feldstein dagegen ist fleischgewordene Harmlosigkeit. Der Pharmavertreter hat ein Ehrenamt in einer Synagoge, ansonsten macht er es sich am liebsten vorm Fernseher bequem. Konflikte überlässt er seiner Frau, Veränderungen sind ihm zuwider:
    "Morris Feldsteins gesamtes Leben verlief in den sicheren Grenzen der Anonymität. Wenn Morris überhaupt eine Maxime hatte, dann: "mach' keinen Ärger"."
    Ein echter Langweiler also, sagt Steve Israel:
    Steve Israel: "Und dieser hilflose Unschuldsknabe, der nicht mal Nachrichten sieht, wird also unversehens vom Überwachungsprogramm der NSA zum Staatsfeind Nummer eins auserkoren."
    Als Morris sich zu einem Seitensprung verführen lässt und das Motel für das Stelldichein mit seiner Unternehmenskreditkarte zahlt, kommt der streng geheime Supercomputer NICK ihm nämlich auf die Spur.
    "NICK war erregt. Er schnurrte nur so vor Neugier. Dieser Morris Feldstein ging NICK mächtig auf den Zeiger."
    Und plötzlich steht Morris im Fadenkreuz sämtlicher amerikanischer Geheimdienste. Mit dürftigen Beweisen, aber beseelt von Ehrgeiz und Übereifer erklären deren Agenten den Mann aus der Schlafstadt bei New York zum Großfinanzier des Terrors. Morris endet als einziger jüdischer Insasse im Gefangenenlager Guantanamo Bay.
    "Im ersten Haftjahr erstellte Morris in Gedanken eine Liste aller interessanten Orte, die er je besucht hatte. Das waren die Israel-Reise mit den jüdischen Philanthropen, der Familienausflug nach Disneyworld, die Karibikkreuzfahrt, die Ferienwohnung in Florida natürlich. Und jetzt Guantanamo. Zählte das eigentlich?"
    "Absurdeste, oft albernste Entscheidungen"
    In 52 Kapiteln schildert Steve Israel den "globalen Krieg gegen Morris", die Satire zeuge von seinem eigenen Zwiespalt zwischen Recht auf Privatsphäre und Verlangen nach Sicherheit, sagt Israel. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte der Demokrat für den Patriot Act gestimmt, auf dem die Beschneidung der bürgerlichen Freiheitsrechte der Amerikaner fußt.
    Steve Israel: "In diesem Buch versuche ich, den Lesern eine Vorstellung von dem zu geben, was sich hinter den Kulissen abspielte, nämlich absurdeste, oft alberne Entscheidungen, die das Pendel zu weit in eine Richtung ausschlagen ließen."
    "Die schrankenlose amerikanische Vision, die einen ganzen Kontinent erschaffen, eine Demokratie geschmiedet und die Nazis besiegt hatte, die durch die Schwärze des Weltalls gespäht und einen Mann auf den Mond gebracht hatte, die gaffte jetzt durch Jalousien und überwachte die Muslime in unserer Mitte."
    In den USA ist "The Global War on Morris" mit Wohlgefallen aufgenommen worden. Dass ein Politiker die für viele Amerikaner schier unglaublichen Umtriebe von Regierung und Geheimdiensten auf's Korn nimmt, hat Steve Israel gute Kritiken eingebracht. Manche bemängeln allerdings, dass Israels Übertreibungen, Parodien, sein cleverer Humor gelegentlich Selbstzweck seien. Anderen ist die Satire nicht schwarz genug, vielleicht, weil der Autor Bösewichte wie Unschuldslämmer und Gutmenschen gleichermaßen mit Bosheiten bedenkt. Sie hätte sich gern zu Wut über das Schicksal des Morris Feldstein aufstacheln lassen, doch es habe nur zu Mitleid gereicht, schrieb eine Kritikerin. Möglicherweise kann Hollywood da was ändern: Der Regisseur Rob Reiner hat die Filmrechte für "The Global War on Morris" erworben.
    Steve Israel: "The Global War on Morris"
    Verlag Simon & Schuster, nur in Englisch erhältlich, 304 Seiten, 19,40 Euro.