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Steyerberg in Niedersachsen
Blaupause für den Klimaschutz

Die Gemeinde Steyerberg in Niedersachsen hat gerade einmal 5.321 Einwohner, ist aber in Sachen Klimaschutz ganz weit vorne. Bis 2020 soll dort das größte Fernwärmenetz im ländlichen Raum entstehen. Doch nicht nur deshalb hoffen Bürgermeister Jürgen Weber und seine Mitarbeiter auf Nachahmer.

Von Volker Mrasek | 07.12.2018
    Bei Sehnde in Niedersachsen geht die Sonne hinter einem Windrad inmitten von Nebelschwaden auf
    Die Verwaltung von Steyerberg in Niedersachsen kommt ganz ohne stromfressende Rechner aus. Das ist nur einer der Bausteine, mit denen die Gemeinde erfolgreich versucht, die Energiebilanz des Dorfes zu verbessern. (picture alliance/ dpa/ Julian Stratenschulte)
    "Wir haben gerade ein Elektroauto bestiegen. Ich bin nur noch elektrisch oder mit der Bahn und öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs."
    Auf Dienstfahrt durch den Flecken Steyerberg, eine kleine Gemeinde in Niedersachsen, die wirklich so heißt. Am Steuer des E-Mobils: Jürgen Weber, der Bürgermeister. Auf dem Beifahrersitz: Sabine Schröder, die Klimaschutz-Beauftragte der Kommune in der Nähe von Nienburg.
    "Die erste elektrische Energie, die wir hatten vor über 110 Jahren, ist durch Wasserkraft erzeugt worden. Und hier haben wir auch heute noch die Wasserkraft in Steyerberg: 500.000 Kilowattstunden Strom!"
    "Wir sind gerade über das Wehr rüber gefahren. Das hat man gehört, an den Reifengeräuschen."
    Klimapolitisches Musterdorf
    Mitten im Ort eine Wassermühle, die noch immer läuft und - natürlich modernisiert! - Strom aus einem Bachlauf gewinnt.
    Steyerberg ist ein klimapolitisches Musterdorf: Die kleinste sogenannte Masterplan-Kommune, die bei der Nationalen Klimaschutz-Initiative der Bundesregierung mitmacht. Was bedeutet: Der Flecken mit seinen acht Ortsteilen und kaum mehr als 5.000 Einwohnern will Deutschlands Klimaschutzziel auch im Kleinen umsetzen. Dafür muss Steyerberg seinen CO2-Ausstoß bis zur Jahrhundertmitte praktisch auf Null herunterfahren ...
    "Die Energie, die Sie da hinten noch aus dem Schornstein 'rauskommen sehen, das ist die, die wir demnächst nutzen wollen, um Steyerberg mit Wärme zu versorgen."
    Der Schornstein, über 150 Meter hoch, gehört zu einem Chemiewerk. Es ist einer der größten Produzenten von Weichmachern in Europa. Der Herstellungsprozess erfordert hohe Temperaturen. Entsprechend heiß ist auch das Abgas. Die Gemeinde will es in Zukunft durch einen Wärmetauscher schicken und energetisch nutzen, wie Jürgen Weber später in seinem Büro genauer erläutert. Ende 2020 soll es so weit sein:
    "Wir planen im ländlichen Raum das größte Fernwärmenetz zur Zeit mit möglichen 420 Anschlussnehmern, um hier im Ort die Heizung und Warmwasser zu betreiben. Und das erspart - wir haben's 'mal so umgerechnet - 1,5 Millionen Liter Heizöl und etwas über 3.000 Tonnen CO2 jedes Jahr. Hier im Ortsteil Steyerberg wohnen 3.200 Menschen, das heißt, wir können allein durch dieses Projekt fast eine Tonne an CO2 pro Bürger einsparen."
    Denn über 300 Einwohner haben schon unterschrieben und wollen ihre alte Heizung rauswerfen!
    "Wir sind jetzt im Lebensgarten angekommen. Und jetzt werden wir uns von Frau Koller das Ganze erklären lassen."
    Der Lebensgarten in Steyerberg. Eine Öko-Siedlung, bald 30 Jahre alt:
    "Wir waren so die Spinner hier im Ort. Und jetzt spinnen auf einmal alle."
    CO2-Einsparung durch Eigenanbau von Obst und Gemüse
    Christine Koller zieht es in eine bestimmte Ecke des Geländes:
    "So, ich öffne mal die Tür."
    "Hier haben wir unsere letzten geernteten Tomaten. Und wunderschöne rote Äpfel, die hier aus dem Obstgarten kommen."
    Ein Obst- und Gemüsegarten, den die Öko-Siedlung zur Selbstversorgung betreibt, und zwar in Permakultur. Das ist eine nachhaltige Bewirtschaftungsform, bei der verschiedene Sorten Obst und Gemüse auf demselben Flecken Erde gedeihen und besonders hohe Erträge erzielen. Auch das ist eine Stellschraube in Sabine Schröders Klimaschutzkonzept für Steyerberg, ...
    "Weil wir erreichen wollen, dass jeder Ortsteil, den wir haben, sich auch mit der Permakultur selbst versorgen kann. /// Dadurch, dass wir halt keine Gemüse- oder Obstsorten uns hierher anliefern lassen müssen, sparen wir natürlich CO2: Dadurch, dass wir Verkehr vermeiden."
    Inwieweit die ortsansässigen Landwirte da auch mitziehen, muss sich allerdings noch zeigen.
    Schon jetzt hat Steyerberg aber so Manches in die Tat umgesetzt. Zum Beispiel im Rathaus, einem alten Fachwerkgebäude, in dem auch die Geografin ihr Büro hat:
    "Es gibt keinen Rechner, falls Ihnen das schon aufgefallen ist!"
    Tatsächlich! Kein Verwaltungsangestellter hat hier noch einen klobigen PC:
    "Dafür einen sogenannten Thin Client, also ein kleines Gerät, was den Zugang zum Server sicherstellt. Wir haben hier 'n 70 Prozent geringeren Energieverbrauch als ein normaler Arbeitsplatzrechner."
    Steyerberg hat neuerdings ein eigenes Klimabüro für seine Bürger. Demnächst soll der erste Elektro-Bus angeschafft werden. Es gibt noch viele kleine Mosaiksteine im Masterplan der Gemeinde. Das größte Faustpfand auf dem Weg zur CO2-neutralen Kommune hält Bürgermeister Jürgen Weber aber bereits in der Hand. Windräder, Solaranlagen und die alte Wassermühle - schon heute versorgen sie den Flecken mit jeder Menge regenerativem Strom:
    "Bilanziell haben wir mehr Energie, die wir hier produzieren, als wir verbrauchen - aus Wind, Wasser und Sonne."
    Hoffen auf Nachahmer
    Weber hätte nichts dagegen, wenn seine Gemeinde Nachahmer fände. Steyerberg als Blaupause für eine klimaengagierte Kleinstadt! Vielleicht wird der Flecken dann ja auch bekannter. Wie war das noch gleich?
    "Wir waren so die Spinner hier. / Und jetzt spinnen auf einmal alle!"