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Stichwahl in Brasilien
Schlammschlacht vor laufender Kamera

Brasilien steht vor der Stichwahl um das Präsidentenamt und der Wahlkampf artet in einer politischen Schlammschlacht aus. In den Fernsehduellen zwischen Amtsinhaberin Dilma Roussef und Herausforderer Aécio Neves lässt niemand auch nur ein gutes Haar am anderen.

Von Julio Segador | 25.10.2014
    Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff.
    Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff muss in die Stichwahl. (dpa / picture-alliance / Joédson Alves)
    In Brasilien geht ein denkwürdiger Wahlkampf zu Ende. Ein Wahlkampf, dessen Härte und Schärfe viele im In- und Ausland überrascht hat. Sie haben sich nichts geschenkt, Aécio Neves, der Herausforderer, und Dilma Rousseff, die Präsidentin, die eine zweite Amtszeit anstrebt. Negativer Höhepunkt war dabei das zweite von vier TV-Duellen zwischen beiden Kandidaten, das nur so strotzte vor Beleidigungen, Anschuldigungen, Bösartigkeiten.
    Ihr Auftritt sei eine einzige Lügenkampagne, wirft Neves der Präsidentin vor.
    Ob sie deshalb lüge, weil sie den Brasilianern nichts Konstruktives mitzuteilen habe, fragt der Herausforderer. Die Präsidentin kontert sofort. Er, der Kandidat, sei doch derjenige, der lüge.
    Ein Wahlkampf mit harten Bandagen – bei dem die Inhalte in den Hintergrund traten. Wer erfahren wollte, wie Brasilien die seit drei Jahren stagnierende Wirtschaft wieder zum Laufen bringen will, wie das Land seine Rolle als südamerikanischer Global Player und international wichtiges Schwellenland interpretiert, wie Brasilien die Bedürfnisse seiner wachsenden Mittelschicht befriedigen will – dem blieben beide Kandidaten - Rousseff und Neves – meist die Antworten schuldig. Aécio Neves, der 54-jährige sozialdemokratische Herausforderer, attackierte die Präsidentin vor allem wegen der angespannten Wirtschaftslage.
    "Für die Präsidentin ist die Inflation kein Problem. Sie hat kein Konzept wie man dagegen vorgehen kann. Heute macht die Inflation den Brasilianern wieder das Leben schwer. Die Regierung wird unserer Zukunft ein perverses Erbe hinterlassen: hohe Inflation, niedriges Wachstum und Verlust von Vertrauen. Ohne Vertrauen gibt es keine Investitionen, ohne Investitionen keine neuen Jobs."
    Mehr Markt, weniger Einfluss des Staates auf die Wirtschaft, mit diesem Rezept will Aécio Neves die Ökonomie Brasiliens wieder in Fahrt bringen. Und: Neves fordert ein Ende der Korruption, die sich wie eine bleierne Krake im Land breitgemacht habe, wofür die Arbeiterpartei die Verantwortung trage.
    Rousseff setzt auf die Profiteure der Sozialreformen
    "Ihre Regierung wird in die Geschichte eingehen als eine Regierung, die keinerlei Moral hatte, die überall Gelder veruntreute. Sie haben sechs Minister wegen Korruption entlassen. Und alle Ihre Behörden haben Sie mit Leuten besetzt, die dort nur ihren eigenen Geschäften nachgehen."
    Ganz anders die Präsidentin und Kandidatin der Arbeiterpartei Dilma Rousseff. Sie setzt auf Kontinuität und vermittelt den Brasilianern, dass ihr Projekt noch nicht zu Ende ist.
    "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir noch sehr viel für dieses Land tun können. Wir haben eben erst mit der Transformation begonnen, wir haben noch einen langen Weg vor uns. In der Bildung, bei Themen wie Sicherheit und Gesundheit. Bei der Verbesserung der Infrastruktur. Wir sind auf dem richtigen Weg."
    Seit 12 Jahren ist die Arbeiterpartei in Brasilien an der Macht, seit dieser Zeit wurden mit klugen Sozialprogrammen mehr als 30 Millionen Brasilianer aus der Armut in die untere Mittelschicht gehievt. Das sind die Wähler, auf die die Präsidentin setzt, und die ihr die Wiederwahl sichern sollen. Die meisten dieser Menschen leben im armen Nordosten Brasiliens, etwa in der Region Porto da Folha im Bundesstaat Sergipe: Satte 73 Prozent der Wählerstimmen bekam Dilma Rousseff hier im ersten Wahlgang, Herausforderer Neves nur 18 Prozent. Die Menschen in der Region wie diese Frau sind der Arbeiterpartei dankbar für die Sozialprogramme – etwa Bolsa Familia – eine Art Sozialhilfe.
    "In den vergangenen 12 Jahren hat sich hier alles verbessert. Zuvor hat sich niemand für uns interessiert. Und hier denken alle so. Früher gab es keine Agrarprogramme, keine Bolsa Familia, nichts. Wir lebten von dem wenigen, was wir in der kargen Gegend anpflanzen konnten. Heute hat sich unser Leben verbessert."
    Umfragen zeigen hauchdünnen Vorsprung für die Amtsinhaberin
    Und hier trägt hat auch der Wahlkampf Rousseffs Früchte. Die Behauptung, Herausforderer Neves wolle die Sozialprogramme kürzen. Neves hat dies zwar schon oft dementiert, doch ohne Erfolg.
    Für diesen Bauer steht fest, wen er wählen wird:
    "Ich sehe mit Aécio Neves keine gute Zukunft. Er verspricht, alle Probleme zu lösen. Aber er lügt. Ich vertraue seinen Worten nicht. Wir hier vertrauen Präsidentin Dilma. Ihre Taten haben wir erlebt. Sie hat sich für uns eingesetzt. Deshalb werden wir sie wählen, ich und auch meine ganze Familie."
    Und: Dilma Rousseff hatte im Wahlkampf kräftige Unterstützung: Ihren Vorgänger im Amt, den populären Ex-Präsidenten Lula da Silva. Auch er stellte im Wahlkampf immer wieder den sozialen Aufstieg vieler Menschen im Land in den Mittelpunkt. Ein Aufstieg, der nach seinen Worten auf die Politik der Arbeiterpartei zurückgeht.
    "Wir sind seit 12 Jahren an der Macht und Ihr wisst alle, wie wir das Land verändert haben. Ihr wisst, was mit den ärmsten Familien im Nordosten Brasiliens passiert ist, Ihr wisst dass Ihr nun das Recht habt, erhobenen Hauptes in diesem Land zu gehen. Denn die Nordbrasilianer haben ihren Stolz und sind nicht nur dazu geboren, um in Sao Paulo als Maurer zu arbeiten oder dort Brücken zu bauen."
    Die neuesten Umfragen geben Amtsinhaberin Dilma Rousseff zwar einen hauchdünnen Vorsprung. Aécio Neves dagegen hat bei der ersten Runde der Wahl – als er im Schlussspurt die favorisierte Marina Silva überflügelte - bewiesen, dass er kämpfen kann. Auch aus diesem Grund ist die Stichwahl um das Präsidentenamt in Brasilien völlig offen.