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Stichwahl in Frankreich
"Aufatmen sollte man nicht"

Die Stichwahl um das Präsidentenamt in Frankreich ist nach Einschätzung der Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyne Gebhardt, noch nicht entschieden. Sie wisse, dass viele Anhänger des konservativen Kandidaten François Fillon nicht unbedingt für Ex-Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, sondern für die Front-National-Chefin Marine Le Pen stimmen würden, sagte sie im DLF.

Evelyne Gebhardt im Gespräch mit Sarah Zerback | 25.04.2017
    Evelyne Gebhardt, sozialdemokratische Abgeordnete im Europäischen Parlament.
    Evelyne Gebhardt ist sozialdemokratische Abgeordnete im Europäischen Parlament. (dpa / Marijan Murat)
    Sarah Zerback: Der Blutdruck in der EU, der ist in den vergangenen Tagen doch ziemlich in die Höhe geschnellt, kurz vor der ersten Wahlrunde in Frankreich. Vom Horror-Szenario für die EU war die Rede, vom europapolitischen Abgrund gar, den eine Stichwahl der beiden Europafeinde Le Pen und Mélenchon mit sich gebracht hätten. Umso lauter waren die Seufzer der Erleichterung in den Hauptstädten Europas, an den Börsen, als klar wurde, die rechtsextreme Marine Le Pen tritt in zwei Wochen an gegen den wirtschaftsliberalen proeuropäischen Emmanuel Macron. Und dennoch: Insgesamt haben zehn Millionen Franzosen für extrem außen gewählt und damit gegen die EU. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Evelyne Gebhardt. Die gebürtige Französin sitzt für die Sozialdemokraten im Europaparlament und ist dessen Vizepräsidentin. Guten Morgen, Frau Gebhardt.
    Evelyne Gebhardt: Guten Morgen.
    Zerback: Macron gegen Le Pen, das war ja auch Ihre erklärte Wunschkonstellation für die Stichwahl. Ist das denn nun wirklich ein Grund zum Aufatmen?
    Gebhardt: Aufatmen sollte man nicht. Solange noch eine Wahl bevorsteht heißt es, sehr wachsam sein, aufmerksam und schauen, dass am Ende die richtige Entscheidung getroffen wird. Zu sagen, jetzt ist es gelaufen, wäre töricht.
    "Das war Le Pen Light"
    Zerback: Was macht Sie denn persönlich so sicher, dass die Unterstützer von Fillon auch tatsächlich für Macron stimmen werden?
    Gebhardt: Ich bin gar nicht sicher darüber, denn ich weiß, dass leider auch sehr viele Anhänger von Fillon durchaus nicht unbedingt Macron wählen werden, dass einige von ihnen auch Le Pen wählen wollen. Denn wenn wir uns das Programm von Herrn Fillon anschauen, das war Le Pen Light zum Teil, aber nicht wirklich proeuropäisch. Da müssen wir schon sehr aufpassen, was geschieht. Außerdem: Als kurz bevor der Wahl die Diskussion war, Fillon eventuell abzusetzen, haben viele Anhänger von Fillon gesagt, wenn ihr das tut, wenn ihr ihn absetzt, dann gehen wir ins Lager von Le Pen herüber. Das heißt, wir können nicht sicher sein, dass sie alle jetzt Macron wählen.
    Zerback: Dass nun mit Mélenchon und auch mit Le Pen ausgerechnet zwei so antieuropäische Politiker dann doch so viele Menschen ansprechen, wie sehr bereitet Ihnen das denn Sorge?
    Gebhardt: Es bereitet mir Sorge, sehr viel Sorge sogar. Ich war zwar auch erleichtert, dass Frau Le Pen nicht die meisten Stimmen erhalten hat, aber ich stelle schon fest, dass bei einer stärkeren Wahlbeteiligung sie dennoch fast fünf Prozent mehr hatte als vor fünf Jahren, das heißt ihr Wählerpotenzial enorm gestiegen ist. Das heißt, in der Gesellschaft gibt es einen Rechtsruck, der nicht unerheblich ist, und wir müssen uns insgesamt in der Politik Gedanken darüber machen, wie wir mit dieser Sache umgehen. Das heißt, auch in der Politik anders vorgehen, besser die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen und die richtigen Antworten darauf geben.
    "Es wird Zeit, dass die sozialistische Partei sich Gedanken macht"
    Zerback: Das ist Ihr Rezept. – Rechtsruck, sagen Sie, in der Gesellschaft. Ist es denn tatsächlich so, dass die gesellschaftliche Mitte sich radikalisiert hat, radikaler geworden ist? Oder ist der Front National so moderat geworden?
    Gebhardt: Er gibt sich moderater. Als Le Pens Vater noch Präsident dieser Partei war, hat er kein Blatt vor den Mund genommen. Allerdings Marine Le Pen hat immer noch das gleiche Programm. Da hat sich nichts geändert. Allerdings hat sie alles das, was rassistisch oder extremistisch klingt, aus ihrem Vokabular gestrichen und deswegen den Eindruck erweckt, dass sie weiter in die Mitte hineingerückt ist, und da ist es ihr gelungen, viele Menschen einzufangen, die vorher von Le Pens Vater abgeschreckt wurden.
    Zerback: Jetzt wenden sich ja die Sozialisten, Ihre Schwesterpartei in Frankreich, Macron zu und seiner Bewegung En Marche, gerade jetzt vor den Parlamentswahlen im Juni. Der Kandidat der Sozialisten, Hamon, der war mit seinen 6,3 Prozent so schlecht aufgestellt, dass er jetzt gerade gar keine Rolle spielt. Werden die Sozialisten das überleben?
    Gebhardt: Das werden die Sozialisten in Frankreich schauen müssen. Das hängt sehr davon ab, wie sie sich jetzt in Zukunft aufstellen werden. Der innere Parteistreit, der seit Jahren in Frankreich da ist, der eine gegen den anderen, hat natürlich sehr der Partei geschadet und es wird Zeit, dass die französische sozialistische Partei sich Gedanken darüber macht, sich mal wieder einheitlich zu präsentieren und nicht mit sehr vielen unterschiedlichen Wahrnehmungen und Chefs, die sich gegenseitig in der Öffentlichkeit immer wieder gegenseitig angreifen.
    Zerback: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber Gedanken machen sollten sich sicherlich nicht nur die Sozialisten. Sie selbst können das einschätzen, Sie waren mal im Beraterteam des konservativen französischen Präsidenten Sarkozy. Jetzt sind ja beide großen etablierten Parteien dermaßen abgestraft worden. Wie muss man denn darauf reagieren?
    Gebhardt: Sie sind abgestraft worden, weil in beiden Parteien der Chefstreit immer wieder sichtbar wurde, aber nicht mehr, welche Inhalte, welche Konzepte gibt es für die Politik, was will man denn eigentlich für eine Zukunft gestalten. Wenn wir uns den Wahlkampf von Benoít Hamon zum Beispiel anschauen: Am Beginn hat er auch ziemlich wackelig, was die Europäische Union angeht, diskutiert und erst in der späteren Phase hat er einen dezidierten proeuropäischen Kurs gefahren. Wenn man immer wieder den Eindruck hat, ja die wissen gar nicht so recht, was sie wollen, dann haben die Bürgerinnen und Bürger keine große Lust, diese Leute zu wählen. Das ist ja ganz klar.
    "Nicht Brüssel, sondern sind die Hauptstädte sind das Problem"
    Zerback: Nun ist es aber natürlich kein rein französisches innerpolitisches Problem, sondern das geht auch Europa an. Eine große deutsche Tageszeitung hat die Tage gesagt, Le Pens Erfolg gründet nicht auf ihrer Stärke, sondern auf der Schwäche der EU. Liegt das Problem in Brüssel?
    Gebhardt: Jein. Natürlich ist die Wahrnehmung von dessen, was in Brüssel und Straßburg gemacht wird, nicht immer sehr positiv. Allerdings wenn ich mir die letzten Jahre anschaue, ist eigentlich nicht Brüssel, sondern sind die Hauptstädte das Problem, die nicht in der Lage sind, sich auch mal zusammenzusetzen und wirklich eine Lösung zu finden. Wir sehen, dass Frau Merkel und Co. ständig in irgendwelchen Gipfeln, Sondergipfeln und so weiter sich zusammen treffen, aber nicht in der Lage sind, daraus auch wirklich mal ein Konzept für die Europäische Union, für die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu gestalten, und da drückt der Schuh und da muss mehr gemacht werden. Deswegen sind die Nationalwahlen auch so wichtig, in Frankreich, wird es proeuropäisch oder nicht proeuropäisch, in Deutschland im September, wer wird die Geschicke leiten. Das ist nicht egal, denn das hat dann auch Einfluss auf die Politik in Brüssel selber.
    Zerback: Aber, Frau Gebhardt, jetzt haben Sie den Ball elegant weitergespielt an die Mitgliedsländer. Haben Sie es denn auch als Europaparlamentarierin versäumt, den Menschen das europäische Projekt einfach besser zu erklären?
    Gebhardt: Wir haben Fehler gemacht und einer der Fehler ist ganz klar, dass wir viel zu lange immer wieder versucht haben, den Bürgern zu erläutern, wie funktioniert die Europäische Union. Dabei weiß auch kein Mensch, wie die Politik intern gestaltet wird in Deutschland zum Beispiel, wie die Rolle Bundesrat, Bundesrat und Regierung ist. Das ist nicht, was die Bürger wirklich interessiert, sondern welche Konzepte, welche Visionen, welche Zukunftsstrategien hat man. Das ist das, was wir besser den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln müssen.
    Zerback: Nennen Sie doch mal ein ganz konkretes Beispiel. Das würde mich interessieren.
    Gebhardt: Zum Beispiel, dass wir sagen, wir wollen auch ein soziales Europa. Das ist ja eines der Probleme, die wir haben, dass Europa mit Wirtschaftspolitik, mit Kapital, mit Finanzen gleichgesetzt wird. Dass es aber auch um soziale Rechte geht, dass wir auch dafür sorgen müssen, dass das Zusammenleben der Bürger in der Europäischen Union verbessert wird, dass viele der kleinen Dinge, die Bürgerinnen und Bürger angehen, wenn sie reisen, wenn sie im Ausland mal sind, dass diese Themen angegangen werden müssen, das heißt zu sagen, es geht nicht nur um die Finanzen, es geht auch um das Wohlergehen und um das soziale Umfeld der Bürgerinnen und Bürger.
    Zerback: … sagt Evelyne Gebhardt. Sie ist die Vizepräsidentin des Europaparlaments und Sozialdemokratin in Brüssel. Besten Dank für das Gespräch heute in den "Informationen am Morgen".
    Gebhardt: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.