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Stickoxidausstoß bei Dieselautos
"Eine 50-Prozent-Verminderung halte ich für gut möglich"

Die Autoindustrie sei endlich aufgewacht und habe erkannt, dass sie ein deutliches Emissionsproblem habe, sagte Hermann Koch-Gröber, Professor an der Hochschule Heilbronn. Wie sie Verbesserungen erreichen wollen, sei zu Recht technologieoffen - pauschal eine Hardwarenachrüstung zu fordern, greife zu kurz.

Hermann Koch-Gröber mit Ursula Mense | 19.07.2017
    Abgase strömen aus dem Auspuff eines Fahrzeuges mit Dieselmotor in Leipzig.
    Erneut gibt es eine Diskussion um den richtigen Umgang mit dem Schadstoffausstoß von Dieselmotoren. (dpa / Jan Woitas)
    Ursula Mense: Warum nicht gleich so, fragen sich Viele angesichts der jetzt angekündigten Rückrufaktionen von Daimler, BMW und Audi. Die betroffenen Euro-5- und -6-Diesel von Daimler sollen fast alle mit einem Update nachgerüstet werden, um danach weniger der schädlichen Stickoxide auszustoßen. Bei BMW und Audi ist es die Hälfte der Autos.
    Das hält der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, für unzureichend. In unserem Programm forderte er heute von der Autoindustrie, die Hardware nachzurüsten.
    - Software-Update, Hardware Nachrüstung: Wir wollen im Gespräch mit Professor Hermann Koch-Gröber klären, was technisch geht und sinnvoll ist. Koch-Gröber ist Systemingenieur im Automobilbereich und lehrt an der Hochschule Heilbronn in der Fakultät Mechanik und Elektronik. Ich habe ihn zunächst gefragt, wie hilfreich ein Software-Update tatsächlich ist, um die Luft reiner zu halten und wie es genau funktioniert.
    Hermann Koch-Gröber: Man muss sich klar werden, dass moderne Motorentechnik in vielfältigster Weise nur durch Software darzustellen ist. Die Benziner sind großenteils sauber, weil sie Lambda-geregelt fahren. Diese Regelung ist Software. Das heißt, Software pauschal als fragwürdige Maßnahme darzustellen, trifft die Sache nicht, weil ohne Software geht am Automotor gar nichts. Es ist anzuerkennen, dass der Begriff Software durch VW im Image stark beeinträchtigt worden ist, aber trotzdem ist die Software das Mittel der Wahl.
    Mense: ... und steuert dann den Motor entsprechend, dass er dann weniger dieser Stickoxide ausstößt.
    Koch-Gröber: Ja, das ist klar nachvollziehbar, ist auch erklärbar. Die Euro-5-Motoren haben alle eine sogenannte Abgasrückführung und dieses Abgas, was man in den Motor wieder hineinführt, sorgt dafür, dass in der Verbrennung deutlich weniger Stickoxide entstehen. Diese Abgasrückführung ist bei den Motoren nach der Serie aber nicht in allen Betriebspunkten genutzt und auch nicht so viel genutzt, so viel Menge durchgesetzt, wie es für minimale Emissionen nötig wäre.
    Mense: Das ist aber doch ein bewusster Akt gewesen, denn gegenüber Euro 4 hat ja die Euro-5-Norm – so habe ich es jedenfalls gelesen – sehr viel schlechtere Werte. Um mal zu vergleichen: Der Euro-5-Diesel soll 906 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen. Das war ja bei Euro 4 mal besser. Also hat man da bewusst das verschlechtert?
    "Man hat das in Kauf genommen"
    !Koch-Gröber:!! Man hat das in Kauf genommen. Die Kritik ist absolut berechtigt einer sehr starken Industrie. Dass dann im Realbetrieb die nächste Stufe schlechter herauskommt, darüber kann man nur den Kopf schütteln. Dieser Wert von 900, muss man sich aber klar machen, ist ein Mittelwert über alle fahrenden Fahrzeuge. Die Spanne ist sehr groß. In dem 900er-Wert sind Autos drin, die unter der Hälfte, die relativ gut fahren; es sind Autos, die deutlich über 1.000 sind, bis in die 2.000, und das variiert auch je nach Fahrbedingungen. Aber es ist richtig: Man hat das in Kauf genommen, weil man bei den Handelnden in der Industrie die Auffassung viel zu lange hatte, dass dieses nicht Nutzen gerechtfertigt sei, weil es Komponenten des Motors schützt gegen potenziellen Ausfall.
    Mense: Umgekehrt, wenn man das jetzt wieder rückgängig machen muss durch ein Software-Update, werden dann die Motoren Nachteile haben, oder die Leute, die die Autos fahren, mit Nachteilen klar kommen müssen?
    Koch-Gröber: Das sehe ich nicht so. Es ist ganz normale Entwicklungsaufgabe, dass man eine andere Nutzung von einem Bauteil absichert, sagt man als Ingenieur. Das heißt, nicht alleine in der Software schreibt, jetzt machst Du das AGR-Ventil dort auf, wo es vorher geschlossen war, sondern sich die Konsequenzen genau anguckt, und deswegen können das auch nur die Hersteller machen: Kann dieses ausgeführte AGR-Ventil – und es gibt auch noch ein paar mehr Bauteile, die da betroffen sind – diese geänderte Betriebsweise, hält das das aus über Lebensdauer. Und die frühere Argumentation, wie gesagt ganz klar, die ist mit Recht anzugreifen, immer schon gewesen. Die frühere Argumentation war, das kostet Geld, das zu entwickeln, ich muss es nicht, weil ich schütze meine Bauteile, also mache ich es nicht. Diesem Vorwurf muss sich die Industrie stellen. Und endlich wird aufgewacht und gesagt, das geht so nicht mehr, wir haben ein deutliches Imissionsproblem von Schadstoffkonzentration in den Städten, also nutzen wir die bestehenden Möglichkeiten aus und entwickeln jetzt gezielt darauf, den Schadstoffausstoß zu vermindern, und da geht einiges. Zielrichtung sind etwa 50 Prozent Verminderung mal ganz pauschal. Und dann muss man unter dieser Zielsetzung entwickeln und die Umsetzung der Entwicklungsergebnisse ist Software, die wiederum zum Beispiel ein Ventil ansteuert.
    Mense: Das ist auch das, was wir jetzt erwarten dürfen von Daimler, BMW und Audi?
    Koch-Gröber: Ja, das ist richtig, speziell für die Euro-5-Fahrzeuge. Ich begrüße sehr, dass Daimler nun auch die Euro-6-Fahrzeuge verbessert, weil die Euro-6-Fahrzeuge, die seit 2015 verkauft werden, sind im Mittel ein ganzes Eck besser. Statt der 900 sind die Werte so im 500er-Bereich. Aber noch lange nicht da, wo sie technisch von der Technologie her sein könnten.
    Mense: Wo könnten sie denn sein?
    "Eine 50-Prozent-Verminderung halte ich für gut möglich"
    Koch-Gröber: Dort eine 50-Prozent-Verminderung – dann ist man halt im 200er-Bereich – halte ich für gut möglich. Das muss man den Daimler und natürlich die anderen Hersteller jetzt auch kritisch fragen. Sie publizieren eine Verbesserung, aber sie müssen das quantifizieren, und zumindest mir liegen da keine Informationen vor.
    Mense: Umgekehrt gefragt: Erhöht ein solches Update möglicherweise dann den CO2-Ausstoß?
    Koch-Gröber: Eine Erhöhung im kleinen Prozentbereich ist physikalisch zu begründen. Wir reden über ein, zwei, drei Prozent, und das halte ich auch für vermittelbar. Diese wenigen Prozent gehen unter, sind nachgelagert gegen Variationen, die wir ohnehin haben, zuvorderst von der Fahrweise. Das Klima reagiert auf die Emissionen, die tatsächlich passieren, und die passieren tatsächlich – das weiß man seit Jahrzehnten – zum Beispiel sehr in Abhängigkeit, wie ich das Fahrzeug bewege, ob ich vorausschauend, vernünftig, langsam, zurückhaltend fahre, oder eben nicht.
    Mense: Ein Eingriff in die Hardware der Autos – so ist zu lesen – wäre noch viel teurer. Was ist denn da überhaupt denkbar und wäre das sinnvoller?
    Koch-Gröber: Die Hardware-Diskussion bezieht sich typischerweise auf die sogenannte SCR-Technik, also Stickoxide aus dem Abgas wieder zu entfernen mithilfe von AdBlue-Harnstoff-Wasserlösung. Die Euro-6-Fahrzeuge, die der Daimler jetzt sagt, er verbessert sie, die haben zum großen Teil eine solche Technologie, und er nutzt dann dort die vorhandenen Komponenten, die er so wiederum ansteuert, wieder in Software programmiert, dass sie in mehr Betriebszuständen die Emissionen reduzieren. Diese Technik ist bei Euro 6 vorhanden. Es gibt Diskussionen, diese Technik bei Euro 5 nachzurüsten. Speziell die Deutsche Umwelthilfe mit Unterstützung der Firma Twintec hat dort einen Prototyp vorgestellt, der sehr gute Emissionen zeigt. Nur Automobiltechnik ist eine Großserientechnik, und jeder, der da mal gearbeitet hat, kennt den riesen Unterschied zwischen einem Prototypen, ein Ergebnis darzustellen, und das in Großserie nachzurüsten oder zu produzieren. Das heißt, so wie zum Beispiel die Deutsche Umwelthilfe es propagiert, zu sagen, wir zeigen das an einem Auto, macht doch mal, ihr wollt nur nicht, weil es viel Geld kostet, das springt zu kurz.
    Mense: Das heißt, es wäre eigentlich nur bei Euro 6 wirklich möglich?
    Koch-Gröber: Ja, so kann man das zusammenfassen. Ansonsten wird die ganze Diskussion auch von politischer Seite mit Recht so geführt, dass es um Wirkung geht, um Grenzwerte. Wie die erreicht werden, ist technologieoffen. Das heißt, wenn jemand von einem Euro-5-Fahrzeug eine Lösung mit SCR-Nachrüstung anbietet, aber dann auch geradesteht für Entwicklungsaufwand und Kosten, dann hat da niemand was dagegen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.