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Stiefkinder der Musikgeschichte

In der Zeit der Klassik wurden Trios gerne übersehen, nahmen in der Romantik dann aber an Fahrt auf. Ein besonderes Beispiel für das große Interesse an der Besetzung Klavier-Violine-Violoncello sind die Klaviertrios von Robert Schumann.

Von Raoul Mörchen | 24.04.2011
    Klaviertrios werden gerne übersehen. In der Klassik ist das durchaus verständlich, da waren Trios kaum etwas anderes als Klaviersonaten, denen sich zwei Streicher begleitend an die Seite setzten - formal eine eher unausgewogene Angelegenheit, für die die meisten Komponisten sich nicht besonders ins Zeug legten. Dann aber, im Zuge der Romantik, nahm die Gattung an Fahrt auf - oder sagen wir lieber: sie legte an Gewicht zu. Wie viel Interesse ein Komponist im 19. Jahrhundert entwickeln konnte an der Besetzung Klavier-Violine-Violoncello, das zeigt sich besonders schön am Beispiel der Trios von Robert Schumann. Sie sollen, in einer ausgesprochen spannenden Neuaufnahme mit Leif Ove Andsnes und Tanja und Christian Tetzlaff, in dieser Sendung vorgestellt werden.

    " Fantasiestücke, op. 88 Nr. 1"

    So hatte sich Robert Schumann die ersten Schritte vorgestellt: seine ersten Schritte in der Gattung Klaviertrio. Schumann wird dieses Jahr 1842 der Kammermusik widmen. Einige seiner besten Werke entstehen: die drei Streichquartette, das Klavierquartett, das Klavierquintett. Die Triobesetzung aber bereitet ihm Sorgen: Die vier sehr locker gestrickten Sätze, die er zu Papier bringt, haben wenig gemein mit der Form und Satzfolge, die man von einem Trio erwartet. Und die auch Schumann eigentlich erwartet - zumindest im Rückblick. Denn als er fünf Jahre später sich an die Arbeit macht, ein zweites Trio zu schreiben, da wirft er noch einmal einen kritischen Blick auf die alte Partitur und streicht den Titel durch: "Fantasiestücke" nennt er jetzt die vier Sätze. Erst das nächste Trio soll das erste sein.

    " Klaviertrio Nr.1 d-moll op.63, 1. Satz: Mit Energie und Leidenschaft - Anfang "

    Der Ehrgeiz, der den Komponisten gepackt hat, ist allenthalben zu spüren in der Partitur, die jetzt entsteht: Ihre Form folgt in den Ecksätzen dem klassischen Vorbild des Sonatensatzes, dazwischen ein Scherzo und ein lyrischer langsamer Satz. Doch das ist gewissermaßen nur die Pflicht. Die Kür, die Kunst, liegt im Charakter der Sätze selbst: Ihre Ideen entwickeln sich nicht mehr wie in den Fantasiestücken en passant, führen nicht einfach von einem romantischen Klaviersatz in begleitende Außenstimmen der Streicher. Das Trio in d-Moll mit der Opuszahl 63 wird ein hochkomplexes musikalisches Gewebe aus kunstvoll miteinander verflochtenen Stimmen und über weite Distanzen verbundene Motive:

    " Klaviertrio Nr.1 d-moll op.63, 1. Satz: Mit Energie und Leidenschaft"

    Mit großem Schwung, die Ideen dicht gedrängt, reißt Schumann den Hörer hinein in den ersten Satz. Wenn man will, kann man wie in der Klassik noch zwei Themen ausmachen, doch je genauer man hinhört, desto verwirrender wird die Lage: Alles scheint miteinander zusammenzuhängen, auseinander hervorzugehen, die Bestandteile des Satzes könnten auch ganz anders zusammenpassen. Und genau das zeigt Schumann dann in einer außergewöhnlich langen Durchführung, im Mittelteil: Da schneidet er die Motive in völlig neuer Folge aneinander, als sei das Trio nur ein Collage. Und doch zerfällt ihm die Partitur dabei nicht unter den Händen: sie wird fest gehalten von einer Stimmung großer Euphorie:

    " Klaviertrio Nr.1 d-moll op.63, 1. Satz: Mit Energie und Leidenschaft "

    Wie eingangs schon gesagt: Klaviertrios sind Stiefkinder der Musikgeschichte, man findet sie meist unter "ferner liefen". Auch den drei Trios von Schumann begegnet man nicht oft im Konzert. Am ehesten dem ersten, seltener dem unmittelbar darauf entstandenen zweiten, sehr selten dem erst 1851 komponierten dritten - und erst recht allen zusammen. Dabei kann man durch sie gerade in direkter Aufeinanderfolge einen tiefen Einblick gewinnen in die Entwicklungsgeschichte Schumanns - vor allem, wenn man noch zwei andere Werke für dieselbe Besetzung hinzuzieht, wie es nun der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes tut und seine beiden deutschen Kollegen und Freunde, die Cellistin Tanja und der Geiger Christian Tetzlaff: Nämlich die erwähnten Fantasiestücke, das Trio Nummer Null sozusagen, und die 6 Studien in kanonischer Form.

    " Sechs Studien für Pedalflügel. Bearbeitung für Klaviertrio, Studie 1"

    Im Original sind die sechs Studien in kanonischer Form für Pedalflügel beziehungsweise Orgel geschrieben. Erst Schumanns Kollege Theodor Kirchner hat sie bearbeitet für Klavier, Violine und Cello. Die Studien dennoch mit aufzunehmen in die Gesamteinspielung der Trios, ist eine kluge Entscheidung - und sie passt gut ins Bild einer so klugen, so kenntnisreichen, so musikalisch reflektierten Aufnahme, wie sie Andsnes und die Geschwister Tetzlaff beim Label EMI vorlegen: Erfährt man nämlich durch die mit ins Boot genommenen Fantasiestücke mehr von der Vorgeschichte der Trios, vom gestiegenen Anspruch des Komponisten an die Gattung, so beleuchten die Studien einen anderen Aspekt, der wichtig ist für diese Werkgruppe: Der scheinbar zügellose, frei fantasierende Romantiker Schumann hat sich mit zunehmender Reife mehr und mehr für die Kunst der Alten interessiert, ganz besonders für den Kontrapunkt und die beiden Formen, in denen er zur voller Blüte kommt: die Fuge und eben den Kanon. Was Schumann in seinen sechs kanonischen Studien in kleinen Charakterstücken ausprobiert, wird er auch in den Klaviertrios nutzen, als gesteigerte Fertigkeit in der Verschränkung von Klavier, Geige und Cello.

    " Klaviertrio Nr.1 d-moll op.63, 3. Satz: In mäßiger Bewegung "

    Seit man mit seriösen Klassik-CDs kein großes Geld mehr verdienen kann, sind gerade die Neueinspielung von Kammermusik vielfach Liebhaberprojekte: Projekte für Liebhaber - und von Liebhabern, den Musikern selbst. Auch die vorliegende Gesamtaufnahme der Schumann-Trios ist Liebhaberei: eine Aufnahme, die sich drei befreundete Musiker gegönnt haben.

    " Klaviertrio Nr.1 d-moll op.63, 3. Satz: In mäßiger Bewegung "


    Wer zur Aufnahme die Partitur mitliest, wird nichts vermissen, keinen Phrasierungsbogen, keine Dynamikänderung, keinen Akzent. Doch Notentreue ist nur das eine. Das andere ist die allenthalben spürbare Neugierde, auch das Erstaunen über diese Werke - und der Wille, sie darzustellen als Zeugnisse eines Komponisten, der von den eigenen Gefühlen hin und her geworfenen wurde.

    Spannend sind diese Trios in jedem Takt. Noch dort, wo die Stimmung unbeschwert scheint, spürt man, dass selbst Ruhe und Entspannung Zustände sind, für die Schumann viel hat einsetzen müssen. Schnell reagieren die drei Musiker auf die unentwegten Gemütsschwankungen, sie zeichnen fiebrige Kurven nach mit starken Ausschlägen, lassen nichts einfach so vor sich hin laufen. Der große Geiger Christian Tetzlaff scheint sich vor nervöser Anspannung an einigen Stellen im Pianissimo geradezu selbst auflösen zu wollen: Vom Stereobild sehr streng an die linke Position gerückt, ist man versucht, mit dem Balanceregler nachzuhelfen und ihn mit zusätzlicher Dynamik weiter in den Vordergrund zu rücken. Robuster seine Schwester Tanja am Cello und vor allem Leif Ove Andsnes am Klavier. Ohne Schumanns Energie einzudämmen, lenkt Andsnes sie in sichere Bahnen. Das Gesamtergebnis ist trotz des manchmal prekären Gleichgewichts ungemein aufregend und schürft tatsächlich tief auf dem Grund dieser grandiosen Trios.

    " Klaviertrio Nr. 3 g-moll op. 110, 4. Satz: Kräftig, mit Humor "
    Das war zum Schluss das Finale des dritten Klaviertrios op. 110 - mit Leif Ove Andsnes, Klavier, Tanja Tetzlaff, Violoncello, und Christian Tetzlaff, Violine.


    Robert Schumann. Complete works for piano trio
    Leif Ove Andsnes, Klavier
    Christian Tetzlaff, Violine
    Tanja Tetzlaff, Violoncello
    Label: EMI Classics
    Bestellnummer: 0 94180 2
    EAN Code 5099909418028
    Label Code: 06646