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Stille Tage im Harz

Nicht zum 150. Todestag Heinrich Heines wie so viele andere Veröffentlichungen des vergangenen Jahres, sondern pünktlich zum 151. Todestag haben die beiden Berliner Lyriker Björn Kuhligk und Jan Wagner ihre Hommage an den großen deutschen Klassiker vorgelegt. Auf den Spuren Heines sind sie die Harzreise nachgewandert und haben dabei lyrische und prosaische Fragmente gesammelt.

Von Enno Stahl | 25.07.2007
    Die junge deutsche Autor heute fährt Bahn, Fahrrad, vielleicht gar Skateboard. Das Wandern aber, welches des Müllers Lust gewesen sein mag, ist nicht eben die bevorzugte Fortbewegungsweise jüngerer Schriftsteller, die ja gemeinhin in Städten, genauer: im Gros zu Berlin sich aufhalten. Dort muss man zwar recht viel laufen, aber von Natur kann dabei keine Rede sein.

    Ganz anders die beiden Berliner Lyriker Björn Kuhligk und Jan Wagner, sie haben sich auf Schusters Rappen gemacht und nicht nur das, ihre Wanderung folgte einem berühmten Vorbild, nämlich dem Heinrich Heines, der einst seinen ersten großen Publikumserfolg mit seiner politisch-romantischen Harzreise feierte, dem Auftakt seiner Reisebilder-Quattrologie. Wie kam es zu dieser Idee?

    Wagner: " Die Idee kam auf, als wir mit vier Lyrikern zusammen saßen und überlegten, es wäre eigentlich ganz schön, sich wegzubewegen von den Schreibtischen und direkt beim Wandern, direkt auf der Reise zu schreiben. Dann kam das Heinejahr und der Plan wurde konkret. "

    Aus ursprünglich vier Kollegen wurden schließlich nurmehr zwei, eben Kuhligk und Wagner. Sich ausgerechnet dem übermächtigem Vorbild Heinrich Heines zu stellen, erscheint wagemutig. Nicht nur als herausragender Lieddichter, sondern auch als amüsant-eloquenter Reiseerzähler mit unübertroffenem satirischen Witz erwies sich Heine gerade auch in seiner Harzreise. Politisch war sein Text zudem hochbrisant. Kurz: in verschiedenen Kategorien hat Heine Top-Formate vorgelegt, wie kann ein heutiger Autor sich damit messen?

    Kuhligk: " Indem wir versucht haben, uns genauer an dem Vorbild der Harzreise abzuarbeiten, also die ganzen Punkte, nämlich Reiseerzählung, Lyrik, politische oder gesellschaftskritische Statements tauchen in unserem Buch auch auf, also die Harzreise ist ja - das mag man nicht falsch verstehen - eine Riesen-Rumpelkammer, also sie bietet sich geradezu an, sich daran abzuarbeiten und das haben wir eben versucht. "

    Wie sind die Heine-Bezüge denn nun konkret gesetzt worden, gibt es Zitatmontagen, die in Kuhligks und Wagners Texte mit eingeflossen wären?

    Kuhligk: " Heine taucht zu Anfang jeden Kapitels auf, mit einem Zitat aus seiner Harzreise, und ansonsten sind wir eben genau die Route, die Heine auch gelaufen ist, nachgewandert, zum Teil mussten wir auch Busse und Bahnen benutzen, weil die Strecke schlichtweg auch zu lang war, und dadurch, dass wir die Strecke ganz genau abgelaufen sind, die Harzreise von Heine immer auch gelesen haben, war das Material eben da, und wir bewegten uns in unserem Material und haben uns an Heines abgearbeitet. "

    Jan Wagner ergänzt:

    " Also das Interessante war schon dieser doppelte Bezugspunkt, also Heine, wie Björn sagte, das Buch, Heine der Text, und das konkret vor Ort Erlebte. Wir haben natürlich auch schon probiert stilistische Annäherungen an Heines Prosa drin zu haben, haben Motive aus der Harzreise aufgegriffen und in eigenen Texten uns anverwandelt. "

    Dieses Bemühen merkt man den Texten an, die Anverwandlung, von der Wagner spricht, ist jedoch nicht immer gelungen. Kuhligk zum Beispiel lässt - dem Heine-Vorbild nacheifernd - immerhin unmittelbar politische Statements einfließen, denen es aber bisweilen gerade im Vergleich mit dem Klassiker ein wenig an Brillanz gebricht. Jan Wagner dagegen reduziert das Heine'sche Lyrikerbe etwas zu sehr auf ihre romantischen Motivräume, bietet eher Impressives, als dass politische Deutungskontexte hinter den Bildern aufschienen.

    Da die beiden aber unbestreitbar zu den profiliertesten unter Deutschlands Junglyrikern gehören, finden sich natürlich immer wieder auch gelungene, sprachlich hoch ausgebildete Texte, wie Wagners "clausthaler serenade", sein Anagramm-Gedicht "schierker feuerstein", Kuhligks "Vom Land" oder "Frühschicht".

    Doch zurück zum Wandern selbst: wenn man sich zu Fuß durch die Landschaft bewegt, fern der Städtehektik, was geschieht einem da, gab es besondere Anekdoten auf der Reise?

    Wagner: " Man kann es tatsächlich eher ex negativo ... Es gab zum Beispiel keinen einzigen Hirsch, kein einziges Wildschwein, kein einziges Reh. Wir hatten wirklich als Großstadtnarren gedacht, wir begegnen morgens Rehen auf der Lichtung, müssen vor Wildschweinen sehen, aber all das war nicht der Fall. Wir haben kein einziges Tier gesehen, einen Eichelhäher glaube ich, der uns eine Weile voranflog, was auch ein wunderschönes Erlebnis war, wenn man Eichelhäher nicht gewohnt ist. Aber tatsächlich das Nicht-Auftauchen war schon eine Verblüffung. "

    Der Harz ist deutsche Provinz, zwar touristisch aufgemöbelt, als solche wurde sie schon von Heine geschildert, welches Deutschlandbild gewannen nun die Wanderer des Jahres 2005 auf ihrem Fußmarsch?

    Wagner: " Schwer zu sagen, die Orte, die wir gesehen haben, waren doch relativ fremd, als ich glaub nicht, dass es ein repräsentatives Deutschlandbild ergäbe, wenn man diese Orte stellvertretend nehmen wollte. Zum Beispiel Clausthal-Zellerfeld war so besonders und so anders als alles, was ich kannte, dass mir das schwer fallen würde, das hochzurechnen, auf Deutschland insgesamt. "

    Der Wald im Zimmer. Eine Harzreise, Björn Kuhligk und Jan Wagner, Berliner Taschenbuch Verlag, 172 S.