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Stillstand gibt es nicht

Bewegung in die Kunst der fünfziger Jahre haben Kinetiker wie Alexander Calder gebracht mit seinen vom Wind bewegten Riesenmobiles. Jean Tinguely erfand die tönende Skulptur. Mit rasselnden kleinen Wagen, die überraschende Bewegungen und Synkopen-Geräusche arhythmisch wiederholten, gab er seinen Monsterskulpturen eine Stimme, blechern und unüberhörbar. Sein Manifest lautete: Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht.

Von Christa Spatz | 22.05.2005
    " Meine Maschinenwelt befindet sich irgendwie frei in der Luft aufgehängt."

    Jean Tinguely, einer der spektakulärsten Künstler des vorigen Jahrhunderts. Heute vor 80 Jahren wurde er in Fribourg als einziges Kind der Tinguelys geboren, die noch im gleichen Jahr mit ihm nach Basel zogen, wo der Vater in einer Schokoladenfabrik arbeitete. Hier erlebte der Junge eine unbeschwerte Kindheit. Am liebsten tummelte er sich an Bächen in der Umgebung, wo er kleine Wassermühlen baute. Der strenge Vater zog die Zügel an als er erfuhr, dass Jean oft die Schule schwänzte. Schließlich versuchte der Junge, inzwischen 14, aus der Enge seines Elternhauses auszubrechen. Er wollte nach Albanien, um dem Volk gegen den Überfall des faschistischen Italien zu helfen. Weit kam er nicht, man griff ihn in der Eisenbahn auf und schickte ihn nachhause.

    Der Vater verordnete eine strenge Lehre als Dekorateur. Noch im selben Jahr wurde er wegen Unpünktlichkeit entlassen, und bestand die Abschlussprüfung erst im zweiten Anlauf mit einer guten Note.

    Von nun an ging es bergauf. Mit Freude nahm er Unterricht im Zeichnen und Malen an der Basler Kunstgewerbeschule. Hier wurde er mit der Kunstgeschichte vertraut gemacht. Ihn faszinierten vor allem die Künstler der Moderne: Kandinsky, Klee, Miro, Malevich und Calder. Speziell die Raumgestaltung ihrer Bilder. Durch sie wurde Tinguely, der für ein Möbelgeschäft nebenbei als Dekorateur arbeitete, angeregt, die im Schaufenster ausgestellten sachlich kühlen Möbel der 50er Jahre mit rätselhaften Gebilden aus dünnen Drähten zu umschlingen. Dies zog Neugierige an, und Kunden fanden sich im Nu.

    " Als Künstler fühle ich mich wieder dazu verurteilt, etwas beweglich zu machen, ich bin aber nicht ständig unter Druck. Ich kann mich dem auch entziehen, indem ich plötzlich Apparate baue, die rein spielerischen Charakter haben, die nur noch luschtig sind."

    Im Alter von 26 Jahren heiratete er seine Studienfreundin Eva Aeppli. Nach der Geburt der Tochter Miriam, die bei den Grosseltern aufwuchs, zog das Paar nach Paris. Dort lebten sie in einem alten Hotel, wo Jeannot, wie er hier genannt wurde, in einem nicht mehr benutzten Cafesaal eine Dauerausstellung seiner Werke präsentieren konnte: Raumzeichnungen, Radierungen und Skizzen grotesker Maschinen. Er wurde entdeckt von einer Pariser Galerie. Hier lernte er Constantin Brancusi, Yves Klein und seine spätere zweite Frau Niki de Saint Phalle kennen und begann seine ersten spektakulären Aktionen zu machen. So warf er 1959 über Düsseldorf aus einem Flugzeug ein 15.000 mal vervielfältigtes Manifest über Statik ab.

    Ein Jahr später erregte seine Hommage an New York mit einer autodestruktiven Maschinenskulptur im Garten des Modern Art Museums großes Aufsehen. Es waren die ersten Happenings in der Geschichte der Kunst.

    " Es war auch ein Witz, vis-a-vis von New York, eine Hommage an New York zu machen, eine Maschine zu machen, die sich selber zerstört. Das ist natürlich eher ironisch. Aber es war zuerst ein Steigerungsversuch bis zu dem Grad, wo ich nicht mehr darauf achten muss, was geschieht dann, wenn ich dies mache, was passiert, wenn ich das tu, also einfach komplett frei - und ich hab diesen autodestruktiven Charakter bewusst mit Intentionen rein gegeben, weil das nicht nur ein Spektakel war, den alle faszinierend fanden. Die Idee, dass sich etwas selbst zerstört, das ist natürlich schön, irgendwie anziehend, heute schon und damals. Und diesen Charakter, diesen Spiele- und Spektakelcharakter, der war auch richtiggehend schön brav selbstmörderisch ausgerichtet. Eine schöne Freitodstimmung."

    Es waren Schrottmonster, die Fortschrittsgläubigkeit und Maschinenverliebtheit jener Zeit persiflierten.

    Tinguelys Manifest lautete: Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht.

    Zu sehen sind seine Werke in ganz Europa, in Amerika und Japan. Vor allem aber in Basel, seiner Heimatstadt, ist er überall gegenwärtig. Schon am Schweizer Bahnhof werden die Reisenden von seinem "Luminator" empfangen. Und sein Fassnachtsbrunnen am Theaterplatz mit seinen strampelnden und quietschenden Maschinen im Wasser, den er 1977, acht Jahre vor seinem Tod, gebaut hat, entzückt Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

    Fünf Jahre nach seinem Tod, wurde ihm von einem Basler Großkonzern ein Museum errichtet, das seinen Namen trägt. Konzipiert hatte es der Tessiner Stararchitekt Mario Botta, mit weitem Blick auf die Stadt und den Rhein, an dessen Seitenbächen er einst als Junge seine Wassermühlen gebaut hatte.