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Stimmabgabe in Weißrussland nur teils kontrollierbar

In Weißrussland konnten fünf Tage lang vor der eigentlichen Parlamentswahl Stimmen abgegeben werden und wurden nicht kontrolliert, berichtet der OSZE-Wahlbeobachter Hermann Lipitsch (SPÖ). Der Zugang zu den Wahllokalen aber sei wesentlich verbessert worden.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 24.09.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen in Weißrussland vor zwei Jahren erlebte der autoritär herrschende Lukaschenko etwas, was er wo möglich in seinem Leben nicht für möglich gehalten hatte: Massendemonstrationen gegen seine Herrschaft. Ihm, seiner Polizei und seinem Geheimdienst KGB aber ist es gelungen, die Bewegung klein zu halten, und so fanden gestern Parlamentswahlen statt, die allerdings von einem Teil der Opposition boykottiert wurden, andere wurden zur Wahl gar nicht erst zugelassen. – Am Telefon begrüße ich jetzt Hermann Lipitsch, er ist Abgeordneter der Sozialdemokraten im Nationalrat Österreichs und für die OSZE Wahlbeobachter in Weißrussland. Ihn erreichen wir in der Hauptstadt Minsk. Schönen guten Morgen, Herr Lipitsch!

    Hermann Lipitsch: Schönen guten Morgen aus Minsk.

    Heckmann: Herr Lipitsch, sollte man von Wahlen überhaupt sprechen, oder war das ganze nicht eher eine komplette Farce?

    Lipitsch: Man muss das zweigeteilt sehen. Wir waren, ich zum Beispiel, in 14 Wahllokalen unterwegs, wo man sehr bemüht war, klar und transparent darzustellen, dass jeder das Recht hat zu wählen. Aber im Vorfeld hat es ja bereits fünf Tage Abstimmungen gegeben. Das heißt, man hat die Stimme vorzeitig abgeben können. Im Schnitt sind zwischen 15 und 80 Prozent gerade in Studentenheimen und so weiter an Stimmen bereits im Vorfeld abgegeben worden, und das ist nicht kontrollierbar. Am Wahltag selbst war man sehr bemüht und auch sehr entgegenkommend, man hat uns überall die Möglichkeit gegeben, hineinzuschauen. Da hat man sich wirklich bemüht, gegenüber den letzten Wahlen, wie mir meine Kollegen erklärten, wirklich Transparenz zu zeigen. Nur wie gesagt: Es sind fünf Tage vorher und es ist der Wahltag, der gestern stattgefunden hat.

    Heckmann: Gibt es denn Hinweise, Herr Lipitsch, wirklich für Akte der Wahlfälschung, für konkrete Wahlfälschung, oder ist das gar nicht nötig gewesen, weil die Opposition ja ohnehin keine Chance gehabt hat?

    Lipitsch: Wir hatten einen Tag vorher die Chance, mit Oppositionellen zu diskutieren, und es ist ja darum gegangen, dass es hier im Umkreis eigentlich so war, wir haben nirgends ein Wahlplakat gesehen. Es war die einzige Chance, fünf Minuten im staatlichen Fernsehen sich zu präsentieren, und das nicht alle. Und wenn ich jetzt die Kandidaten in den Bezirken, wo ich unterwegs war, angeschaut habe, sind das natürlich alles Kandidaten gewesen aus dem Bereich sogenannter präsidentenfreundlicher Parteien, und wenn ich zwischen drei Kandidaten wählen kann, die eigentlich alle zum Präsidenten gehören und keiner zur Opposition, dann ist die Wahl natürlich etwas leichter zu durchschauen, würde ich sagen.

    Heckmann: Das heißt, um auf meine erste Frage noch mal einzugehen, das Ganze war eine komplette Farce?

    Lipitsch: So, wie sich das darstellt, ist die Situation natürlich so: Es ist alles regulär abgelaufen, nur man hat halt nur bestimmte Kandidaten wählen können, denn hier werden Menschen gewählt, nicht Parteien. Das heißt, es sind ja sechs Parteien, die präsidentenfreundlich sind, und aus diesen Bereichen sind die meisten der Kandidaten gekommen. Wobei bei Fragen zum Beispiel an die Junge Front, die ja nicht zugelassen wurde, hat uns in jedem Wahllokal natürlich der Beisitzer erklärt, es ist alles in Ordnung, es ist alles rechtens, nur sie wurden halt nicht zur Wahl zugelassen.

    Heckmann: Allen war klar, Herr Lipitsch, die Abstimmung würde weder frei, noch fair verlaufen. Die Opposition, zumindest große Teile der Opposition haben deswegen zum Boykott aufgerufen, denn bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent wäre die Abstimmung ungültig gewesen. Das Ergebnis lautet jetzt, die Wahlbeteiligung habe 74 Prozent betragen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Staatsmacht hier an dieser Stelle bei der Wahlbeteiligung manipuliert hat?

    Lipitsch: Wie gesagt, das, was für uns nicht einsehbar war, war die Stimmabgabe in den letzten fünf Tagen vor dem Wahltag, und hier haben natürlich gerade in Studentenheimen oder in militärischen Einrichtungen eine große Anzahl an Menschen bereits vor dem Wahltag ihre Stimme abgegeben, und das ist für uns nicht kontrollierbar. Es ist immer nur die Momentaufnahme, die wir haben, wenn wir uns diese halbe Stunde oder Stunde im Wahllokal befinden, und das andere ist für uns nicht kontrollierbar, was fünf Tage vorher eigentlich passiert ist.

    Heckmann: Und da wagen Sie auch keine Aussage, keine Ungefähraussage, und es könnte schon sein, dass die Wahlbeteiligung deutlich über 50 Prozent gewesen ist?

    Lipitsch: Das ist sicher so gewesen, denn wie gesagt, zwischen 15 und 80 Prozent haben ihre Stimme im Vorfeld schon abgegeben. Das ist aufgrund der Zahlen, die uns in den Wahllokalen genannt wurden. Das heißt also, circa 30 Prozent, 35 Prozent haben sicher gestern ihre Stimme abgegeben, und damit kommt man auf diese circa 60 Prozent.

    Heckmann: Sie haben gerade eben gesagt, Herr Lipitsch, Sie hätten die Möglichkeit gehabt, natürlich auch mit Oppositionellen zu sprechen, vielleicht auch mit dem einen oder anderen normalen Bürger sozusagen. Was haben Sie für einen Eindruck vom Klima insgesamt? Haben Sie den Eindruck, dass Lukaschenko insgesamt an Rückhalt verliert, oder sind die meisten zwar nicht frei, aber doch ganz zufrieden?

    Lipitsch: In den Gesprächen haben wir festgestellt, dass gerade so wie bei den Parlamentswahlen das Interesse etwas weniger ist. Wir haben mit Menschen geredet, warum sie zur Wahl gehen und so weiter, zu den Parlamentswahlen; sie sehen den Präsidenten als großen, sage ich jetzt einmal, Chef dieser Republik und das Parlament ist halt auch eine Einrichtung dazu und man ist ja auch bemüht, Menschen zur Wahl zu bekommen. Es gibt dort überall Veranstaltungen vor den Wahllokalen, also nicht Parteiveranstaltungen, auf das haben wir sehr genau geschaut, aber es sind so Familienfeste, wo für Kinder Fernsehen hergerichtet ist, wo Musikgruppen spielen und so weiter. Hier ist man bemüht, dass die Menschen überhaupt zur Wahl gehen. Man versucht, sie mit diesen Mitteln zu bewegen. Aber die Menschen sehen den Präsidenten als jenen, der das Land regiert und dieses Land auch vertritt, und das Parlament ist halt zusätzlich, wenn wir das so nennen wollen, und deswegen ist hier die Wahlbeteiligung oder das Interesse an der Wahl nicht so groß. Sie sehen den Präsidenten als großen Chef.

    Heckmann: Vor zwei Jahren, ich habe es gerade eben schon erwähnt, Herr Lipitsch, gab es ja Massendemonstrationen gegen die gefälschte Wahl. Rechnen Sie mit ähnlichen Aktionen jetzt nach den Parlamentswahlen auch?

    Lipitsch: Ich habe gestern noch mit unserem Fahrer und mit unserem Dolmetscher geredet darüber. Die haben gesagt, eigentlich rechnen sie nicht mit irgendwelchen Demonstrationen, denn so wie bei der Präsidentenwahl ist das Interesse bei der Parlamentswahl der Menschen nicht so groß, und sie sind auch nicht davon überzeugt, dass das Parlament so einen Einfluss auf dieses Land hat, wie wenn es bei den Präsidentenwahlen den Präsidenten betrifft.

    Heckmann: Wie ist denn insgesamt der Zustand der Opposition? Die wirkt ja ziemlich zersplittert. Ist diese Zersplitterung die Hauptursache auch dafür, dass Lukaschenko jetzt noch so fest im Sattel sitzt?

    Lipitsch: Ich glaube, wenn man bei den Gesprächen mit der Opposition genau zugehört hat, ist es so, dass jeder seinen eigenen Weg gehen will und hier eine Gemeinsamkeit für mich überhaupt nicht erkennbar ist, und das ist natürlich diese Stärke, die jetzt die Regierung hat, dass die Opposition hier wirklich nicht - Man sieht auch nicht die Bereitschaft, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Das war überall in den Statements klar erkennbar, dass auch die Opposition sich in den Gesprächen oft in die Haare gekommen ist und hier ein gemeinsamer Weg überhaupt nicht erkennbar ist.

    Heckmann: Aber andererseits muss man auch feststellen, dass die Opposition immerhin Öffentlichkeit herzustellen in der Lage ist.

    Lipitsch: Das ist sehr positiv, dass sie die Möglichkeit hat, und ich glaube, mit dieser Maßnahme, dass sie nicht zur Wahl angetreten sind, sind sie sehr stark in die Öffentlichkeit getreten. Anders könnte ich mir nicht vorstellen, würde die Öffentlichkeit so auf ein Land schauen oder auf die Opposition schauen, wenn eine normale Wahl gewesen wäre und hier eigentlich diese Maßnahme, dass sie nicht angetreten sind, nicht gesetzt wurde.

    Heckmann: Die Opposition hat schon im Vorfeld von einer Farce gesprochen. Die Wahlbeobachter, die könnten im Prinzip auch zuhause bleiben und ihren Bericht von 2010 abschreiben. Weshalb, Herr Lipitsch, hat es sich dennoch gelohnt für Sie, diese Wahlen zu beobachten?

    Lipitsch: Wenn ich mit meinen Kollegen, die ja auch 2010 hier waren, gesprochen habe, hat sich wie gesagt der Zugang in den Wahllokalen und so weiter wesentlich verbessert. Man hat, ich würde sagen, dazugelernt und man verschließt sich nicht mehr dem Wahlbeobachter gegenüber, was angeblich 2010 sehr stark der Fall war. Und ich glaube, in diesem Sinne ist es ganz, ganz wichtig, dass diese Wahlen oder solche Wahlen begleitet werden, um einfach mehr Transparenz zu schaffen, und jeder lernt dazu, würde ich sagen, so auch die Möglichkeit zu schaffen, Schritt für Schritt dann wirklich zu dementsprechenden Wahlen zu kommen, die man dann auch als dementsprechend demokratisch bezeichnen könnte.

    Heckmann: Hermann Lipitsch war das hier live im Deutschlandfunk. Er ist Abgeordneter der Sozialdemokraten im Nationalrat Österreichs und für die OSZE Wahlbeobachter in Weißrussland. Herr Lipitsch, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch. Schöne Grüße nach Minsk!

    Lipitsch: Danke! Schönen Gruß!

    Heckmann: Danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.