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Stimmungsumschwung
Schweden führt wieder Grenzkontrollen durch

Wochenlang wurde über die vorbildliche Willkommenskultur der Skandinavier berichtet. Nun hat sich der Wind aber scheinbar gedreht. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten haben zu einer Volksabstimmung über die Flüchtlingspolitik aufgerufen - und die Regierung in Stockholm hat in der letzten Woche wieder Grenzkontrollen eingeführt.

Von Christine Westerhaus | 16.11.2015
    Flüchtlinge stehen in einer Schlange vor einem weißen Zelt an.
    Im Seehafen Rostock lassen sich Flüchtlinge dabei helfen, Tickets für die Überfahrt nach Schweden zu kaufen. (dpa / Bernd Wüstneck)
    "Schweden hat in dieser Flüchtlingssituation mehr als jedes andere Land getan. Aber auch bei uns gibt es Grenzen dessen, was wir bewältigen können. Und an diesem Punkt sind wir nun angekommen."
    Schwedens Migrationsminister Morgan Johansson bringt die Situation auf den Punkt. Auf einer Pressekonferenz verkündete er, dass die Einwanderungsbehörde "Migrationsverket" den Ansturm der Flüchtlinge nicht mehr bewältigen kann. Schweden könne den Schutzsuchenden kein Dach mehr über dem Kopf garantieren, die Unterkünfte seien voll, die Mitarbeiter mit der Situation völlig überfordert. Inzwischen wird auch an den Grenzen zu Dänemark und Deutschland wieder kontrolliert. Ohne gültigen Reisepass darf niemand mehr ins Land. Das bedeute jedoch nicht, dass Schweden seine Grenzen für Asylbewerber dichtmache, sagt der deutsche Politikwissenschaftler Bernd Parusel, Mitarbeiter beim schwedischen Migrationsverket.
    "In Schweden hat einfach die Zahl der Asylbewerber sehr stark zugenommen und man ist an eine gewisse Belastungsgrenze gekommen. Es gibt da wirklich einen ganz ernsthaften Engpass und dann ist es eben so, dass Leute durch Schweden durchreisen weil sie nach Finnland oder nach Norwegen weiterwollen. Ich denke, die Grenzkontrollen sind ja befristet angekündigt und sind ein Mittel einfach, sich ein Bild über die Lage zu verschaffen und die Aufnahme wieder in geordnetere Bahnen zu lenken irgendwie."
    Dennoch sind die Signale, die das Land derzeit nach Europa sendet, eindeutig. Schweden will und kann die Flüchtlingskrise nicht allein bewältigen und hofft auf Unterstützung anderer EU Staaten.
    "Das ist für Schweden ganz ganz wichtig, das ist ein Unding für Schweden, dass in der jetzigen Situation einige wenige Länder sehr viele Asylbewerber aufnehmen und andere Länder davon kaum betroffen sind und auch kein Interesse daran haben, davon betroffen zu werden. Die Situation müsste einfach insgesamt in Europa gelöst werden. Zum Beispiel mit einem Verteilsystem für Asylbewerber. Ich denke schon, dass es wichtig ist, dass man zu einer vernünftigen Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb Europas kommt."
    Auch unter der schwedischen Bevölkerung wächst der Unmut. Noch im September gaben laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IPSOS 44 Prozent an, Schweden sollte an seiner offenen Asylpolitik festhalten und mehr Flüchtlinge aufnehmen. Im Oktober waren fast genauso viele Menschen dafür, die Zuwanderung zu begrenzen.
    "Ich denke, einen gewissen Stimmungswandel gibt es schon. Es ist die Frage, wie dramatisch man das wirklich sieht, aber Schweden hat über einen relativ langen Zeitraum eine sehr großzügige Aufnahmepolitik gehabt und es war immer so, dass man den Eindruck hatte, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch dahinter stand. Jetzt in letzter Zeit gibt es schon immer mehr Beklommenheit und Unsicherheit, was die Zuwanderung langfristig für Konsequenzen hat. Da gibt einfach Sorgen, dass Schweden das nicht mehr schafft."
    Eine Partei, die von diesen Sorgen in der Bevölkerung profitiert, sind die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. In jüngster Zeit versuchen sie verstärkt, mit zuwanderungsfeindlichen Aktionen auf Stimmenfang zu gehen. So haben sie die Bevölkerung in einer Postsendung (per Brief) aufgerufen, für eine Volksabstimmung gegen Einwanderung zu stimmen. Und in Griechenland haben Parteimitglieder Pamphlete verteilt, die Asylsuchende davon abhalten sollen, sich nach Schweden aufzumachen. Kein Geld, kein Job, kein Dach über dem Kopf – so die Überschrift des Flugblatts. Doch die meisten Schweden distanzieren sich von dieser Aktion, so Bernd Parusel.
    "Die Schwedendemokraten haben das gemacht hauptsächlich meiner Meinung nach für die interne Stimmung in Schweden. Um bei potenziellen Wählern dazustehen als tatkräftig und um ein Zeichen zu setzen gegen die Asylzuwanderung. Vielen Leuten ist das ausgesprochen peinlich und ich kann auch nur sagen, ich bin ja Deutscher und Schwede und kann nur sagen, das ich es völlig unakzeptabel finde, dass eine rechtspopulistische Partei aus Schweden, in Griechenland unter Leuten, die Schutz suchen, Gerüchte streut. Weil dieses Blatt das ist letztendlich nichts als Gerüchte, da sind viele Falschinfos drin."
    Gewarnt wird unter anderem davor, dass es in Schweden viele Vergewaltigungen und Straftaten gebe und dass die Zuwanderung daran schuld sei. Unterschrieben ist das Papier mit "das schwedische Volk". Doch die Aktion hat in Schweden einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Großteil der Bevölkerung steht also noch hinter der Asylpolitik der Regierung. Eine Massenbewegung gegen Zuwanderung ist also vorerst nicht zu befürchten, so Bernd Parusel.
    "Es gibt viele lokale kleinere Gruppen, auch Einzeltäter, also einzelne Personen, die zu drastischen Maßnahmen greifen. Wir haben ja schon Anschläge auf Asyl¬bewerberheime hier auch gehabt und das hat sich in letzter Zeit sogar gehäuft. Aber ich kann momentan noch nicht sehen, das es eine organisierte Bewegung gibt wie die Pegida."