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Stippel: Künftig bei Transplantationen Kontrollberichte einführen

Das gegenwärtige Verfahren der Transplantationsmedizin sei nicht optimal, weil 40 Prozent der Organe nicht nachvollziehbar verteilt werden, sagt Dirk Stippel. Der Transplantationschirurg der Universitätsklinik Köln schlägt vor, dass man ein Verfahren einführt, das auch von Nichtspezialisten verstanden werde.

Dirk Strippel im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.08.2012
    Tobias Armbrüster: Organtransplantationen sind ins Gerede gekommen. Gestern wurde bekannt, dass ein großer Teil von Spenderorganen nicht über die europäische Spenderorganisation Eurotransplant vergeben wird, sondern quasi auf dem kleinen Dienstweg innerhalb eines Krankenhauses. Mein Kollege hat darüber und über die Vergabepraxis allgemein gestern Abend mit Professor Dirk Stippel gesprochen, er ist Leiter der Transplantationschirurgie an der Universitätsklinik Köln, und er wurde zuerst gefragt, ob dieses beschleunigte Verfahren bei der Organvergabe tatsächlich immer mehr zur Regel wird.

    Dirk Stippel: Ja, ich persönlich finde es auch unbefriedigend, dass das im Jahr 2012 in über 40 Prozent der Fälle angewandt wurde. Und ich glaube, dass man auch ohne gravierende Änderungen das nicht so weit kommen lassen muss, denn bei der Niere ist es zum Beispiel so, dass, bevor eine Niere in das beschleunigte Verfahren kommt, sie von fünf Zentren als medizinisch ungeeignet abgelehnt werden muss. Bei der Leber reicht hierzu bei der Bundeswarteliste schon eine zweimalige Ablehnung. Das war prinzipiell so gedacht, weil bei der Leber natürlich viel mehr die Uhr läuft, das heißt, die Zeit, die man hat, um das Organ zu vermitteln, ist kürzer, aber es hat sich über die Jahre gezeigt, dass häufig auf den ersten Plätzen der bundeseinheitlichen Warteliste Patienten stehen, die zum Beispiel Kinder sein können oder Patienten mit speziellen Stoffwechselerkrankungen, das heißt, Patienten, für die man sehr gezielt eine Leber auswählen muss und für die viele Organe dann nicht infrage kommen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Organe unbedingt schon den Status eines Rescue-Organs, also eines formal schlechten Organs zugewiesen bekommen müssen.

    Dirk-Oliver Heckmann: Herr Stippel, wie anfällig ist diese Verfahren für Manipulationen? Der Chef der deutschen Hospizstiftung, der spricht ja von einer Einflugschneise für Manipulationen.

    Stippel: Ich glaube, dass man unterscheiden muss zwischen Fehlern im System, die einfach den Standard, den wir in der Transplantation auch, um das Vertrauen zu erhalten, halten sollten, erreichen müssen, von kriminellen Machenschaften, wie sie jetzt an zwei Unikliniken aufgedeckt wurden. Die ganze Transplantation lebt von Vertrauen, und deswegen sind wir auch in der Pflicht, hier sozusagen eine Transparenz zu schaffen. Und deswegen ist ein Verfahren nicht optimal, bei dem inzwischen 40 Prozent der Organe für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar verteilt werden. Und ich glaube, man könnte das zum Beispiel ändern, indem – und Eurotransplant hat hierzu Vorschläge gemacht – indem man zum Beispiel die Zeitspanne, wie normal alloziert wird, bis das Organ wirklich aus dem Spender ist. Denn normalerweise kann Eurotransplant schon den Empfänger suchen, wenn die Entnahmeoperation noch läuft. Und die Uhr tickt ja sozusagen erst von dem Moment an, wo das Organ aus dem Spender entfernt wurde.

    Heckmann: Jetzt haben wir ja von diesen Manipulationen an diesen beiden Krankenhäusern gehört, was ja niemand für möglich gehalten hat vorher eigentlich. Dieses beschleunigte Verfahren, für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass auch dieses Verfahren solchen Manipulationen Vorschub leisten könnte?

    Stippel: Das beschleunigte Verfahren führt dazu, dass die Organe nicht bundeseinheitlich mit gleicher Wahrscheinlichkeit angeboten werden, weil die Organe nicht dem Spenderkrankenhaus angeboten werden, sondern in der Region angeboten werden. Und sie werden immer dem Transplantationszentrum angeboten, das einen Patienten mit dem höchsten Meldescore auf der Liste hat. Dieses Zentrum muss dann aber nicht – so ist die offizielle Regel – und wird es auch nicht – das wäre auch unlogisch – diesem Patienten die Leber geben, sondern darf es dann frei verwenden. Und dadurch erreicht dieses Verfahren auch eine Verzerrung bei der Verteilung der Organe und ist in diesem hohen Prozentsatz sicher kein optimales Verfahren.

    Heckmann: Das heißt, auch ein Verfahren, das möglicherweise Manipulation zulässt?

    Stippel: Ich glaube, dass alle Verfahren nicht hundertprozentig sicher gegen Manipulationen sind. Ob dieses Verfahren anfälliger ist für Manipulation als das normale Meldeverfahren, ist insofern nicht auszuschließen, weil zwar eine Begründung, wieso man welchen Patienten ausgesucht hat, eingegeben werden muss, aber es da drüber keine offiziellen Berichte oder sonst etwas bisher gibt.

    Heckmann: Jetzt beschäftigt uns seit einigen Tagen und Wochen dieser Skandal um die Spenderorgane. Bisher spricht man von Einzelfällen – wie groß, würden Sie sagen, ist der Schaden für die Spenderbereitschaft? Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller, der sagt ja schon, es werde Monate, wenn nicht Jahre dauern, dieses Vertrauen wiederzugewinnen.

    Stippel: Das muss man ehrlich sagen, das ist sicher zu befürchten, und es trifft ja die völlig Falschen. Es trifft nicht die betroffenen Transplantationsmediziner, die das Unheil angerichtet haben, sondern es trifft querbeet alle Patienten auf der Warteliste, nicht nur Leberpatienten, sondern die Spendebereitschaft trifft genau so Nieren, Herz und alle anderen Patienten. Also ich glaube auch, dass vor allem die positiven Effekte, die man doch jetzt erhofft hat und vielleicht auch ansatzweise sehen konnte durch das neue Transplantationsgesetz, wahrscheinlich verpuffen werden.

    Heckmann: Wobei man ja sagen muss, dass jedes gespendete Organ dann doch einem anderen Menschen geholfen hat, auch wenn er manipuliert worden ist.

    Stippel: Von daher sollte man eigentlich in der Diskussion auch diese zwei Dinge trennen. Das ist in Deutschland eigentlich, finde ich, auch gut geregelt, dass die Organspende durch die DSO gemacht wird - die Deutsche Stiftung für Organtransplantation - dass die Durchführung der Allokation durch Eurotransplant gemacht wird, und die Transplantation durch die Zentren, sodass das eigentlich getrennt ist, was prinzipiell richtig ist. Was in diesen Zentren gelaufen ist, sind letztendlich ja wirklich Machenschaften mit krimineller Energie. Wenn es soweit kommt, ist es immer schwierig, das zu verhindern, und man kann das letztendlich nur durch regelmäßige Kontrollberichte versuchen zu entdecken.

    Heckmann: Wie kann das Vertrauen wiedergewonnen werden?

    Stippel: Indem man ein Verfahren findet, was öffentlich nachvollziehbar ist, wo auch der Nichtspezialist das Gefühl hat, er versteht, wie das Ganze abläuft.

    Heckmann: Und glauben Sie, dass es kommen wird?

    Stippel: Ja, ich glaube wohl. Ich glaube, dass einfach die Empörung so groß ist, dass es dazu kommen wird, ja.

    Pindur: Der Transplantationsmediziner Professor Dirk Stippel von der Universität Köln im Gespräch gestern Abend mit meinem Kollegen Dirk-Oliver Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.