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Stochern im Nebel

Untersuchungsausschüsse im Bundestag und bald drei Landtagen sollen die Verantwortung an den Ermittlungspannen um die NSU-Mordserie aufklären. Eines scheint bereits klar: Nicht zuletzt führte mangelnde Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden zum Versagen der Ermittler.

Von Rebecca Lüer, Blanka Weber und Claudia Altmann | 04.07.2012
    Berlin, Paul-Löbe-Haus, Europasaal. Seit Anfang März treffen sich die elf Mitglieder des Bundestags-Untersuchungsausschusses in diesem großen runden Raum, dessen verglaste Fassade einen spektakulären Blick freigibt auf die Spree im Regierungsviertel. Wie ähnliche Gremien in den Landtagen von Thüringen und Sachsen versuchen die Obleute auch dieses Ausschusses herauszufinden: Wer trägt die Verantwortung an den Ermittlungs-Pannen rund um die Mordserie des Trios, das sich Nationalsozialistischer Untergrund – kurz NSU – nannte? Sie tun das mit - in Bundestagsausschüssen sonst seltener - Einmütigkeit und arbeiten - zumindest bislang - meist über die Fraktionsgrenzen hinweg zusammen. Und eines ist den elf Abgeordneten jetzt schon klar:

    "Der Untersuchungsausschuss hat schon sehr erschütternde Details der Nicht-Zusammenarbeit unserer Sicherheitsbehörden in dieser einmaligen Mordserie gebracht."

    Sagt der Obmann der Grünen, Wolfgang Wieland. Dem auch als Zwickauer Terrorzelle bezeichneten Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe werden unter anderem neun Morde an türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern sowie die Tötung einer Polizistin angelastet. Rätselhaft ist vor allem, wieso das Neonazi-Trio über ein Jahrzehnt lang im Untergrund aktiv sein konnte und Polizei wie Geheimdienste nicht gegen sie einschritten.

    Die Aufklärung dieses Versagens markiert den Kernauftrag der drei Untersuchungsausschüsse. Während das Gremium im Bundestag derzeit die Zeitspanne zwischen 2000 und 2007 durchleuchtet, in der die Morde passierten, widmet sich der U-Ausschuss in Thüringen vor allem der Frage, wie in den 90er-Jahren in Jena diese rechtsterroristische Zelle entstand. Und der in Sachsen soll klären, warum das Trio dort unerkannt untertauchen konnte.

    Im Zuge der Aufklärungsarbeit wird immer deutlicher, dass vor allem der Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei zu wünschen übrig ließ. Behörden schotteten sich teilweise komplett ab, blockierten sich gegenseitig anstatt zusammenzuarbeiten. Hinzu kam laut FDP-Obmann Hartfried Wolff:

    "Dass wir ein Zuständigkeitswirrwarr einerseits unter den Ländern, aber andererseits auch im Verhältnis Bund Länder haben."

    Bevor die Ausschussmitglieder des Bundestags ihre parlamentarische Sommerpause mit einer Woche Verspätung antreten können, steht morgen noch die Befragung eines besonderen Zeugen an: Heinz Fromm, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er wird zu dem bislang wohl größten Skandal rund um die Ermittlungen zu den NSU-Täter Rede und Antwort stehen müssen: Wie kam es dazu, dass ein Mitarbeiter seiner Behörde nach Bekanntwerden der Mordserie Akten zur sogenannten Operation Rennsteig geschreddert, also vernichtet hat? Mit Details über V-Leute beim rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz". Dieser Organisation gehörten auch die späteren Mitglieder des Zwickauer Terrortrios an. Ist der deutsche Geheimdienst auf dem rechten Auge blind gewesen?

    Eine Konsequenz aus dem Skandal hat Heinz Fromm bereits selbst gezogen. Der fraktionsübergreifend als engagierter Kämpfer gegen Rechtsextremismus respektierte 63-Jährige wird auf eigenen Wunsch Ende des Monats vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Er übernimmt damit die Verantwortung für Schlampereien und Dilettantismus in seiner Behörde. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich:

    "Er war in den letzten Monaten bedrückt über die Tatsache, dass auch seine Behörde in den vielen Jahren nicht dazu beitragen konnte, dass die Morde des nationalsozialistischen Untergrunds verhindert oder aufgeklärt werden konnten."

    In der Tat tappten die Sicherheitsbehörden jahrelang im Dunkeln, ermittelten in Richtung Organisierte Kriminalität anstatt im rechten Milieu. Bis sich am 4. November des vergangenen Jahres Böhnhardt und Mundlos nach einem missglückten Bankraub im thüringischen Eisenach selbst töteten. Etwa zeitgleich explodierte 180 Kilometer entfernt im sächsischen Zwickau eine Dachwohnung. Die Brandstiftung geht offenbar auf das Konto von Beate Zschäpe, die sich wenige Tage später der Polizei stellte. Ein Bekennervideo tauchte auf, in dem sich die Rechtsextremisten mit der rassistischen Mordserie brüsteten.

    Opferfamilien und Öffentlichkeit waren schockiert, die ermittelnden Behörden blamiert. Denn deren entscheidende Fehleinschätzung manifestierte sich im jahrelang verwendeten Begriff "Döner-Morde": Die Täter im falschen Milieu zu suchen – inklusive exotischer Spurensuche durch Befragung eines Geisterbeschwörers in Hamburg oder aufwendiger verdeckter polizeilicher Ermittlungen mit extra eingerichteten Dönerständen in Nürnberg und München, um mögliche Schutzgeld-Theorien zu überprüfen. SPD-Obfrau Eva Högl:

    "Wir stellen fest, dass die ermittelnden Beamten große Fantasie an den Tag gelegt haben, viel Engagement, um der Theorie organisierte Kriminalität nachzugehen, aber nicht ansatzweise das gleiche Engagement bei der Verfolgung des Hinweises: Täter aus der rechten Szene."

    Beispiel Thüringen. Die drei mutmaßlichen Mitglieder des NSU stammen aus Jena. Nach der Wende schlossen sie sich der rechtsextremen Szene an. Der Verfassungsschutz wurde aufmerksam, führte V-Leute im Umfeld der Neonazi-Kameradschaften des "Thüringer Heimatschutz". Bis zu 200 Mitglieder zählte diese rechtsextreme Gruppierung, aus der auch die spätere Terrorzelle hervorging.

    "Die Festplatte war leer, der Schreibtisch war leer geräumt. Nichts war da. Die Beamten sagten dann: Na, wenn wir dann `mal befürchtet hatten, dass der Verfassungsschutz uns da zuvor kommt, dann haben wir `was gefunden."

    Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer erstattete Bericht. 260 Seiten dick ist das Papier, das er vor zwei Monaten in Anwesenheit des Thüringer Innenministers vor Journalisten präsentierte. Sein Gutachten macht deutlich: Durchsuchungen von Polizeibeamten liefen regelmäßig ins Leere. Personen der rechten Szene waren gewarnt worden. Beispiel: Tino Brandt. Seit 1994 hat der NPD-Funktionär für den Thüringer Verfassungsschutz gearbeitet und ist aus der Behörde gedeckt worden. Er galt als strategischer Kopf der besagten Neonazi-Kameradschaften.

    "Wir haben auch den Tino Brandt gefragt und Tino Brandt hat ganz offen eingeräumt, vier – fünf Mal sei er vom Verfassungsschutz vor solchen Durchsuchungen gewarnt worden."

    Sieben Jahre lang stand Tino Brandt – mit Unterbrechung – auf der Gehaltsliste des Thüringer Verfassungsschutzes. 35 Strafverfahren sind gegen den NPD-Landeschef eingeleitet worden. Acht Mal gab es Anklagen, jedoch nie eine Verurteilung. "Wir konnten ihm nicht beikommen", sagte gestern ein 52-jähriger Staatsanwalt im Untersuchungsausschuss des Landtages. Gerhard Schäfer, der ehemalige Bundesrichter, bestätigte:

    "Man hat auch versucht in dieser Zeit Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung eines Ermittlungsverfahrens gegen Tino Brandt. Bei dem sachbearbeitenden Staatsanwalt ist 97/98 ein Beamter des Verfassungsschutzes aufgetaucht, den wir nicht identifizieren konnten, und meinte, ein gutes Wort für Tino Brandt, der damals des Landfriedensbruchs beschuldigt wurde, einlegen zu müssen mit dem Hinweis, er sei doch gar nicht gewalttätig und so eine gute Quelle dürfe man doch nicht zum Erliegen bringen. So `was brauche man doch."

    Unbekannt ist, wer der besagte Beamte des Verfassungsschutzes war. Auch der gestern befragte Staatsanwalt konnte oder wollte sich nicht an die Person erinnern. Er bestätigte nur, dass es mehrfach Besuch in der Staatsanwaltschaft gab von Beamten des Verfassungsschutzes sowie vom Militärischen Abschirmdienst MAD. "Wir fühlten uns abgeschöpft", erklärte der Staatsanwalt wörtlich. Umgekehrt habe es keine Informationen gegeben.

    Tino Brandt wurde 2001 als Spitzel enttarnt. Zu diesem Zeitpunkt stand bereits - der gestern entlassene - Thomas Sippel an der Spitze des Thüringer Verfassungsschutzes. Er löste im Jahr 2000 seinen heftig umstrittenen Vorgänger Helmut Roewer ab, der wiederum sechs Jahre zuvor aus dem Bundesinnenministerium nach Erfurt kam. In Roewers Zeit wurde die sogenannte Operation Rennsteig ins Leben gerufen. Mit der Verfassungsschützer von Bundes- und Landesamt sowie vom MAD zwischen 1997 und 2003 versucht hatten, Informanten aus dem Umfeld der NSU-Zelle anzuwerben. Wenn man jedoch versucht zu recherchieren, stößt man auf Mauern des Schweigens, sagt der Journalist und Buchautor Maik Baumgärtner. Es bestehe überhaupt kein Interesse an Aufklärung.

    "Und im Nachhinein betrachtet ist es ein Skandal, dass dort über zehn Spitzel drin gewesen sind und dass diese Spitzel zehn, 15 und mehr Straftaten begangen haben. Von Volksverhetzung, Propagandadelikten bis Körperverletzung und dafür nie verurteilt worden sind. Und die Leute, die damals schon aktiv waren, gesagt haben, da stimmt irgendetwas nicht. Wir müssen uns die Strukturen mehr angucken, diese Leute mehr angucken. Warum passiert nichts? Warum reagieren die Repressionsbehörden nicht darauf? Und heute weiß man, warum sie nicht reagiert haben. Weil eben die Leute, die diese Straftaten begangen haben, für den Staat gearbeitet haben, indirekt."

    Tinte, Tusche, Tonfarbe, Treppe, Tarif oder Tacho – so lauteten die Tarnnamen der V-Leute. Mitglieder des Thüringer Untersuchungsauschusses sollen jetzt deren Klarnamen, also die wirklichen Namen erfahren. Und auch Obleute des Bundestagsuntersuchungsausschusses erhielten heute Einblick in die Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ihnen stellen sich einige brennende Fragen: Verbergen sich hinter einem oder mehreren dieser Tarnnamen Teile des NSU? Wurden in ihrem Umfeld V-Leute geführt? Was wussten Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes über die Terrorzelle? Welche Erkenntnisse hatten Verfassungsschützer des Bundes?

    Denn: 2003 soll der italienische Geheimdienst dem Bundesamt mitgeteilt haben, dass es eine gewaltbereite Vernetzung von deutschen Neonazis gebe. Damals war die NSU-Terrorzelle bereits fünf Jahre im Untergrund. Die zuständigen Behörden in Thüringen aber stellten die Ermittlungen gegen das Trio just 2003 ein. Fazit des Publizisten Publizist Maik Baumgärtner.

    "Das Problem an dieser ganzen Recherche ist, dass die eigentlichen Quellen, die man hat, Behördenquellen sind und das macht die Arbeit schwierig. Man arbeitet mit den Materialien von den Leuten, die man angreifen möchte und da wiederum Gesprächspartner zu finden, mit denen man Hintergrundgespräche führen kann, was ist da eigentlich falsch gelaufen, hier gibt’s einen Aktenvermerk x, y, warum gibt’s bis heute kein Z. Das ist unmöglich, weil die Leute sich bis heute decken. Bis heute die Strukturen ineinander greifen und diese ganze Recherchearbeit – das geht noch Jahre."

    Doch Jahre Zeit haben die Untersuchungsausschüsse nicht. Im Bundestag bislang im Focus der Obleute-Kritik: Die Aufklärungsarbeit der bayrischen Behörden. Da war zum Beispiel die "BAO Bosporus". Das Kürzel steht für "Besondere Aufbauorganisation" und beschreibt eine Art Sonderkommission der Polizei - in dem Bundesland, in dem die Zwickauer Rechtsterroristen die meisten, nämlich fünf Morde verübt hatten. Dabei hatte der damalige bayrische Innenminister Günther Beckstein schon nach dem ersten Mord an einem türkischstämmigen Blumenhändler in Nürnberg den an sich richtigen Verdacht gehegt: Der CSU-Politiker fragte im Herbst 2000 nämlich bei den Ermittlern nach, ob ein ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar wäre? Allerdings, sagt der Grüne Wolfgang Wieland:

    "Er hat sich abspeisen lassen mit unzureichenden Antworten."

    Was der Kritisierte energisch zurückweist. Und was nun im vierten parlamentarischen Untersuchungsausschuss gipfelt. Dessen Einsetzung heute im bayerischen Landtag beschlossen wurde. Vor dem Bundestagsgremium betont Günter Beckstein, seine ehemaligen Ermittler und er hätten keine Fehler gemacht:

    "Wir haben Millionen Daten von Funkzellen überprüft, wir haben zigtausende von Videobildern gerastert, wir haben Tausende von Spuren und Personen überprüft, aber es war die heiße Spur nicht dabei. Ich sehe nicht, wo substanzielle Fehler passiert sein sollten."

    Eine ähnliche Sichtweise auch bei der bayrischen Justiz. Der damals leitende Oberstaatsanwalt Walter Kimmel übergab die Zuständigkeit nicht an den Generalbundesanwalt. Behördenegoismus? Kimmel weist das von sich. Der Verdacht eines rechtsterroristischen Hintergrunds habe sich nicht erhärtet, weil Bekennerschreiben gefehlt hätten, betont er. Verfahrensfehler gesteht der Jurist bei seiner Zeugenbefragung nicht ein – ganz im Gegenteil: Man habe aus der Sicht von damals alles Menschen mögliche getan. Obmann Wieland sieht das anders:

    "Die Staatsanwaltschaft spielte eine völlige Randrolle. Im Jurastudium lernt man, dass sie den Hut auf hat, dass sie die Sachleitungsbefugnis hat, dieser Staatsanwalt konnte uns auch nicht eine Stelle sagen, wo er eine Idee eingebracht hätte in die Ermittlungen – gar nichts."

    Und auch der bayrische Verfassungsschutz gibt in den Augen der Ausschussmitglieder ein ärmliches Zeugnis ab. Dessen Leiter der Abteilung Rechtsextremismus, Edgar Hegler, kann letztlich nicht schlüssig begründen, warum die Ermittler von der BAO Bosporus über ein halbes Jahr auf Geheimdienst-Informationen aus der bayrischen Rechtsextremisten-Szene warten musste. Und warum der bayrische Verfassungsschutz offenbar nicht über den Tellerrand hinweg in andere Bundesländer Informationen zu den Tätern recherchierte. So kommen Linken-Obfrau Petra Pau und ihr Ausschusskollege von der CDU, Clemens Binninger, zu demselben Ergebnis:

    "Die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wurde mit der Polizei, war eher zäh, war holprig, und war alles andere als inspiriert. Für die Aussage des bayrischen Verfassungsschützers gibt es milde gesagt nur ein Wort, nämlich 'Blamage'."

    Blamabel nach Ansicht vieler Ausschuss-Mitglieder auch, dass das Bundeskriminalamt nie die zentrale Ermittlungsbefugnis übertragen bekam. Auch nicht 2006 auf eigenen Wunsch hin, nach neun Morden der Terrortrios in fünf Bundesländern, trotz Brandbrief an das Bundesinnenministerium unter Wolfgang Schäuble. Ein Affront der Länder gegenüber Bund und BKA? Nicht für Günther Beckstein:

    "Es wäre ein schwerer Fehler gewesen, zu einem Zeitpunkt, wo mehr als hundert Beamte in Ermittlungen sind, wo es bereits viele Hunderte Ordner an Ermittlungsunterlagen gibt, im laufenden Galopp einen Fall zu übertragen, hätte bedeutet, dass zumindest wochen-, wahrscheinlich monatelang nichts weiter passiert wäre."

    Die Zeugen vom Bundeskriminalamt weisen das im Ausschuss entschieden zurück. Man hätte genügend Beamte gehabt, um professionell zu übernehmen.

    Doch die bayerischen Ermittlungspannen sind nur ein Beispiel. Sie zeigen, wie unwillig die beteiligten Behörden sind, eigene Fehler oder Versagen einzugestehen. Selbstkritik? Fehlanzeige! Eine Haltung, die sich bislang durch praktisch alle Zeugenbefragungen im Bundestags-Untersuchungsausschuss zieht. Die Zeit aber drängt, denn mit Ende der Legislaturperiode im Herbst 2013 muss auch die Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss ein Ende haben. Bis dahin sollen Vorschläge erarbeitet werden, wie die Struktur und die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten auf der Ebene von Bund und Ländern verbessert werden können. Für CDU-Obmann Binninger steht schon jetzt fest:

    "Die Vernehmungen haben gezeigt, dass wir angesichts dieses Falles nicht nur über die Zuständigkeitsverteilungen der Polizei zwischen Bund und Ländern auch neu sprechen müssen gerade in solchen Kapitalverbrechen, sondern auch dass aufseiten der Justiz offensichtlich Bedarf besteht, klarere Zuständigkeiten hier zu finden."

    Als die Ausschüsse auf Bundesebene und in Thüringen schon längst mitten in der Arbeit waren, wurde in Sachsen immer noch über die Einsetzung eines solchen Gremiums gestritten. Die schwarz-gelbe Koalition war dagegen, weil sich – wie es hieß - die sächsischen Behörden nichts vorzuwerfen hätten und außerdem die NPD – als im Landesparlament vertretene Partei - mit von der Partie sei. Diese könnte an geheime Informationen etwa über V-Leute in den eigenen Reihen gelangen, was wiederum das geplante NPD–Verbotsverfahren beeinflussen könnte, so das Argument der Staatsregierung.

    Anfang März setzten sich SPD, Grüne und Linke schließlich durch. Das Gremium soll klären, warum das Trio ab 1998 unerkannt und unbehelligt in Sachsen leben konnte. Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Klaus Bartl von der Linkspartei sieht schwere Fehler und Ungereimtheiten vor allem in Sachsen selbst. Für ihn sei eine der großen Merkwürdigkeiten:

    "Dass im Frühjahr 2000 bekannt wird - durch eine so genannte Telekommunikationsüberwachung, dass sich mutmaßlich Böhnhardt und Mundlos in Chemnitz aufhalten. Dann sind Observationsmaßnahmen in einer ganz seltsam unabgestimmten Art gelaufen im Mai und im September. Einmal wusste das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen nichts davon, dass Thüringen hier ist. Beim nächsten Mal weiß Thüringen nichts davon, dass Sachsen handelt. Einmal weiß die Polizei nicht, dass der Verfassungsschutz observiert und umgekehrt. Und letzten Endes läuft alles ins Leere."

    Die Behörden des Freistaates hätten selbst tätig werden müssen, kritisiert Bartl. Hier aber hätten Polizei, Verfassungsschutz und wohl auch Staatsanwaltschaft versagt. Diese Einschätzung äußerte vorgestern vor dem Ausschuss auch Christoph Gusy von der Universität Bielefeld. Der Rechtsprofessor soll die so genannte Sicherheitsarchitektur im Freistaat durchleuchten.

    "Die sächsischen Behörden haben an dieser Stelle sehr früh von gewissen Umtrieben des späteren Zwickauer Trios Kenntnis bekommen. Sie haben auch gewisse Ermittlungsmaßnahmen gestartet. Dann allerdings die Sache praktisch ruhen lassen, obwohl immer wieder vereinzelt einzelne Informationen gekommen sind, aufgrund derer man Anhaltspunkte dafür hatte, dass die Tätigkeit keinesfalls völlig zu Ende sei. Im Gegenteil."

    Der Rechtsexperte widerlegt damit die Ansicht von Sachsens Innenminister Markus Ulbig, der Freistaat habe aus Thüringen nicht genügend Informationen über die gesuchten Neonazis bekommen. Daher habe auch nicht mehr unternommen werden können, heißt es lapidar in Ulbigs Abschlussbericht. Miro Jennerjahn von den Grünen gibt sich damit nicht zufrieden. Ihm ist bei den bisherigen Anhörungen im Ausschuss aufgefallen:

    "Dass ab dem Jahr 2000 offensichtlich ein Bruch in der Beobachtungstätigkeit gegenüber der rechtsextremen Szene existiert. Bis zum Jahr 2000 wurde beispielsweise in Verfassungsschutzberichten vor dem gefährlichen Potenzial von Rechtsterrorismus gewarnt. Und ab dem Jahr 2000 taucht das nicht wieder auf, wo die Mutmaßung naheliegt, dass es auch im Zusammenhang mit dem Verbot von 'Blood and Honour' zusammenhängt. Dass man also öffentlicherseits quasi die Legende stricken wollte, dass das 'Blood and Honour'-Verbot erfolgreich war."

    Warum sind die Behörden nicht Hinweisen nachgegangen, dass zu diesem Zeitpunkt ein Mitglied des Skinhead-Netzwerkes das Trio offenbar mit Waffen versorgen wollte? Wie konnte das Neonazi-Trio in Sachsen zwölf Banküberfälle verüben und sich auf sichere Unterstützerstrukturen verlassen? Auf all diese Fragen gibt es in Sachsen bisher keine Antworten. Nach der parlamentarischen Sommerpause beginnen im September die Zeugenanhörungen. Dann wird es möglicherweise auch Sondersitzungen geben, wie sie im Bund und in Thüringen im Interesse einer raschen Aufklärung abgehalten werden.