Dienstag, 19. März 2024

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Stölzl: Schavan muss kämpfen

Christoph Stölzl, Ex-Bildungssenator und Präsident der Hochschule für Musik in Weimar, hat das Verfahren gegen Annette Schavan kritisiert. Es würden Prüfer benötigt, die interdisziplinäre Arbeiten zu beurteilen wüssten. Schavan sei eine "kluge Frau" und müsse sich jetzt zur Wehr setzen.

Christoph Stölzl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 18.10.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Wochenende hatte es noch so ausgesehen, als ob Annette Schavans letztes Stündlein in der Politik geläutet hätte. "Süddeutsche Zeitung" und "Spiegel" druckten Auszüge aus einem Gutachten der Uni Düsseldorf ab, das die Doktorarbeit der Bildungsministerin unter die Lupe nahm und das ihr eine Täuschungsabsicht unterstellt. Doch nicht nur der Druck auf Schavan wurde dadurch größer; auch die Universität geriet wegen der undichten Stelle erheblich in Schwierigkeiten.

    Spitzenvertreter von Forschungsinstitutionen nannten das Verfahren skandalös. Auch aus der CDU kam Solidarität für Annette Schavan, während die SPD die Ministerin als irreparabel beschädigt ansieht und ihr den Rücktritt nahelegte.

    Gestern tagte also der Promotionsausschuss. Manfred Götzke aus unserer Bildungsredaktion...

    [Es folgt ein kurzer Bericht von der Ausschusssitzung, die Red.]

    Und telefonisch zugeschaltet ist uns Professor Christoph Stölzl von der CDU, er ist derzeit Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, war früher Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Berlin und Leiter des Deutschen Historischen Museums. Schönen guten Morgen, Herr Stölzl.

    Christoph Stölzl: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Stölzl, erst der Fall Guttenberg, jetzt der Fall Schavan, wenn man das so ausdrücken kann. Jedenfalls beide erhielten beziehungsweise erhalten Rückendeckung aus der Union. Täuscht der Eindruck, oder ist es so, dass es die CDU mit der Einhaltung wissenschaftlicher Tugenden nicht so genau nimmt?

    Stölzl: Nein. Ich glaube, das ist ein falscher Eindruck. Das Ganze ist ja höchst unerfreulich aus meiner Ansicht, weniger politisch als deswegen, weil die guten Sitten in der Wissenschaft eigentlich immer so waren, dass man seine Thesen öffentlich aufstellt und sie auch öffentlich begründet, nachprüfbar, und dass jemand, der jemand angreift, das genauso öffentlich tut und auch begründet. Also, dass eine Prüfung nach 32 Jahren noch mal nachgeholt wird, das finde ich ohnehin eine unglückliche Geschichte. Die Kritiker hätten einen offenen Schlagabtausch führen sollen mit Frau Schavan.

    Heckmann: Aber wenn sich jetzt erst herausstellt, dass sie möglicherweise sich da bei anderen Autoren bedient hat, was spricht dagegen, das sich näher anzuschauen?

    Stölzl: Das können die gerne anschauen, aber in der Tat, was Sie so ein bisschen abgetan haben, dass das ein interdisziplinäres Werk ist, das ist doch eine wichtige Geschichte. Wenn jemand wortgleich Einsteins Relativitätstheorie noch mal einreicht, dann sagt man, das ist eindeutig ein Plagiat. Das ist Naturwissenschaft, da kann man ganz klar sehen. Aber Frau Schavan ist ja eindeutig eine Theologin. Die vielen Bücher, die sie seitdem geschrieben hat, die handeln von Gott und handeln vom Geist, der weht wo er will, und handeln von solchen Dingen.

    Und die Pädagogik, die Philosophie, die Theologie sind keine exakten Wissenschaften, sondern Gedankengebäude, die in der Tat eben auf Überzeugungen beruhen. Ich fände es auf jeden Fall gut, wenn die Prüfer aus der gleichen Disziplin kämen. Das ist schon mal eine wichtige Geschichte, damit man überhaupt mit Waffengleichheit sich auseinandersetzt. Ich habe mich nicht mit diesen Dingen auseinandersetzen können, ich bin ja kein Prüfer. Ich habe nur mal eine Stichprobe gemacht da im Netz bei dieser Website, die sich damit beschäftigt, und nur einen Punkt rausgegriffen.

    Da geht es um irgendeine Frage, Gewissen in der Bibel, und da stößt Frau Schavan auf fünf Stellen und die Ankläger sagen, jemand anderer hat die gleichen fünf Stellen genauso in der gleichen Reihenfolge vorher in einem anderen Buch beschrieben. Wenn Sie mich fragen würden nach dieser Frage, würde ich die Bibel lesen und würde vermutlich auf die gleichen fünf Stellen stoßen. Also das ist auch methodologisch, finde ich, eine schwierige Geschichte, weil es eben um Kulturwissenschaften geht. Ob die exakt sind, nachprüfbar, ist eine andere Frage. Aber noch mal: ich fände …

    Heckmann: Aber es macht doch einen Unterschied, Herr Stölzl, ob man quasi seine eigenen Gedanken formuliert, oder ob man die Formulierungen anderer Autoren übernimmt und sie nicht kenntlich macht, oder?

    Stölzl: Ja, das muss man sehen. Ich bin kein Prüfer, das sollen die Prüfer da prüfen. Aber ich finde trotzdem, dass die Frage wirklich unbedingt von denen geprüft werden sollte, die sich auf dem gleichen Grenzgebiet bewegen wie Frau Schavan. Gut, das wird die Universität hoffentlich tun, ist ja auch nun klug und sie ist aus Schaden klug geworden, dass das bisherige Verfahren jedenfalls zum Krach geführt hat.

    Heckmann: Sie haben im Vorgespräch, Herr Stölzl, gesagt, die Frage Plagiat oder nicht Plagiat, das ist möglicherweise gar nicht so die entscheidende Frage.

    Stölzl: Also, Plagiat ist ja ein eindeutiger krimineller, kriminologischer Begriff. Da sollen die Juristen sich darum schlagen. Ich habe gesagt, ich finde in der Frage, ob jemand Wissenschaft betreibt, oder ob der Fortschritt der Wissenschaft durch ein Werk gefördert wird – das ist ja in allen Promotionsordnungen ganz entscheidend -, hängt mit den Gedanken zusammen, die da formuliert werden, selbstverständlich ordentlich begründet und sauber in ihren Quellen. Das ist doch selbstverständlich, da gibt es gar keine Frage.

    Heckmann: Das heißt, Sie sagen ihren Studenten nicht an der Hochschule für Musik, frei nach Deng Xiaoping, bereichert euch, wenn es der Wissenschaft dient, dann kupfert ab?

    Stölzl: Nein, selbstverständlich überhaupt nicht. Ich bin streng fürs Urheberrecht. Gerade wir Musiker sind doch ungeheuer penibel, wenn es um das Urheberrecht bei geistigen Schöpfungen geht. Das, will ich, soll gar nicht klein gemacht werden. Aber in dieser Diskussion finde ich es schade, dass man sich um diese technischen Fragen vor allem kümmert, statt die Frage, ob Frau Schavan in diesem Buch irgendeinen wissenschaftlichen Fortschritt gemacht hat.

    Heckmann: Aber geht es wirklich um die Frage, ob Frau Schavan die Wissenschaft vorangebracht hat, oder geht es nicht vielmehr um die Frage, dass es um ihre Glaubwürdigkeit geht auch als Ministerin?

    Stölzl: Ja selbstverständlich! Ihre Glaubwürdigkeit als Ministerin, muss ich aber sagen, da bin ich als Bürger nun in der Tat, ich würde sagen, ein bisschen anderer Meinung. Wir wünschen uns Minister, die qualifiziert sind für ihr Amt. Frau Schavan macht seit 30 Jahren Wissenschaftspolitik und Bildungsförderung, hat damit eine, glaube ich, sehr viel längere Erfahrung als viele andere Minister in vielen Regierungen, und hat das sehr gut gemacht. Ich fände es einen Jammer, wenn diese große Erfahrung sozusagen verloren ginge.

    Heckmann: Darf man deswegen weniger streng sein?

    Stölzl: Nein. Selbstverständlich muss man streng sein. Aber sie muss sich auch verteidigen dürfen. Ich finde, wissenschaftlicher Disput ist öffentlich und muss öffentlich geführt werden. Sie muss genauso öffentlich darauf antworten können, wie ihre Ankläger, finde ich, das öffentlich machen müssen.

    Heckmann: Herr Stölzl, Thomas Oppermann von der SPD hat gestern gesagt, Annette Schavan sei als Bildungs- und Forschungsministerin irreparabel beschädigt, und hat ihr den Rücktritt nahegelegt. Sie solle sich selbst überlegen, ob sie sich das selbst und auch Deutschland zumutet. Würden Sie ihr auch raten, diesen ganzen Prozess nicht durchzustehen?

    Stölzl: Na ja, das ist natürlich parteipolitisches Tagesgeschäft. Selbstverständlich muss die Opposition so sprechen. Ich rate Frau Schavan, offen zu kämpfen. Sie ist eine kluge Frau. Was ich von ihr gelesen habe, ist scharfsinnig und klug. Und ich glaube, sie wird sich da auch schlagen müssen.

    Heckmann: Der frühere Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Berlin, Professor Christoph Stölzl, war das von der CDU. Jetzt ist er Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar und dahin geht auch der Dank und der Gruß. Schönen Tag, Herr Stölzl.

    Stölzl: Ja, guten Morgen.


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