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Störfeuer im popkulturellem Zeitalter

Buchpremiere im "Bloomclub" in der Innenstadt von Wuppertal-Elberfeld. Es ist eine ungewöhnliche Location für eine Buchpräsentation, denn der Club hat mit Literatur sonst gar nichts zu tun: Hier feiern junge Menschen an den Wochenenden zu Hiphop-Musik ab, und Jan Drees, selber erst 26, will diese Klientel da abholen, wo sie sich gern aufzuhalten pflegt. An der Alten Freiheit, unweit der Schwebebahnhaltestelle Döppersberg, im Keller.

Von Martin Krumbholz | 10.04.2006
    Es ist ein feucht-trüber Winterabend. In früheren Zeiten, erinnert sich der Reporter, indem er die schwach beleuchtete Wendeltreppe hinunterstolpert, war hier ein wunderschönes Kino von der Art, wie es sie in einer Stadt wie Wuppertal leider nicht mehr gibt: ein seltsam nostalgisches Gefühl sich schließender Kreise. Wuppertal, die Stadt des Friedrich Engels und der Else Lasker-Schüler. Jan Drees, Jahrgang 1979, hat als Sportler begonnen, als 800-Meter-Läufer mit beachtlichen internationalen Erfolgen, und der Ehrgeiz, die eigene Technik zu vervollkommnen, erklärt er, habe ihm auch beim Schreiben nicht geschadet.

    Pinkfarben eingebunden ist das schmale Bändchen, eine dicke Erdbeere ist darauf zu sehen, es heißt "Letzte Tage, jetzt" und erzählt eine Geschichte vom "Ablieben", also vom Auseinandergehen eines Pärchens. "Da ist jede Menge Musik drin", verspricht der Verlag: von Tocotronic über Massive Attack bis hin zu den Beatles, und da das so ist, ist die Buchpräsentation eben auch nicht eine konventionelle Lesung in irgendeiner Buchhandlung, sondern eine veritable Party: der DJ Christian Vorbau, ebenfalls Wuppertaler, wird im Anschluss an die Lesung Platten auflegen…

    Martin Krumbholz: Zwei Stunden vorher. Ich frage Jan Drees nach dem besonderen Clou seines Romans: die Geschichte aus der Perspektive der Frau zu erzählen, die ihren Freund nach drei Jahren verlässt. Nebil heißt der junge Mann, also "Lieben" von hinten gelesen, und von hinten wird jetzt auch die Geschichte rekapituliert, die mit einer falschen Verbindung begann. Nebil hat sich angeblich bloß am Telefon verwählt, man kommt ins Gespräch, am nächsten Tag setzt er sich in den Zug, die beiden verlieben sich. Ist aus einer falschen Verbindung eine richtige geworden, oder war alles ein Irrtum? Am Ende jedenfalls steht die Trennung, beschlossen von ihr, der namenlosen Frau, der der Autor Jan Drees die Feder führt.

    Jan Drees: Es war ein langer Weg zu dieser weiblichen Perspektive… Ich habe häufig den Vorwurf gehört, junge Autoren würden nur von sich selbst erzählen. Das sah ich als Gefahr, der ich entgehen wollte durch Verfremdung. Ich konnte spielen. Wenn ein männlicher Autor über das Ende einer Beziehung schreibt, dann hat man beispielsweise "Soloalbum", und muss wieder mit Tricks, mit popkulturellen Verweisen arbeiten, um es nicht zu larmoyant wirken zu lassen.

    Wenn man aus der Perspektive der Frau erzählt, kann man teilweise die gleichen Sätze, die man vorher dem Mann in den Mund gelegt hat, der Frau geben, und es wirkt plötzlich ganz anders, sie bekommen eine andere Färbung, eine andere Tönung. Ich denke beim Schreiben nicht an die Person, an den Raum und so weiter, ich denke in Textstrukturen.

    Ich habe mir eine Stimme vorgestellt und versucht sie stringent weiterzuführen. Erst am Schluss habe ich wieder an die Frau gedacht. Als ich das Manuskript Frauen zu lesen gab, fiel denen auf, dass Frauen nicht über ihre langen Haare nachdenken, das ist eine reine Männerphantasie, für Frauen ist das erschreckend selbstverständlich. Solche Stellen habe ich dann herausgenommen.

    Eigentlich ist die Stimme, mit der ich jetzt erzähle, der des Mannes vorher ähnlich, aber den Mann mit dieser Stimme reden zu lassen, ist larmoyant. Wenn Männer so reden, wirkt es weinerlich, wenn Frauen so reden nicht. Man kann den Leser leicht beeinflussen. Wenn ich am Anfang sage: Hier spricht eine Frau, dann glaubt der Leser das. Es geht in diesem Text um den Wahrheits- und Wahrscheinlichkeitsgehalt einer Sprache. Deshalb kann ich hier suggestiv arbeiten.

    Krumbholz: Lässt man sich erst einmal darauf ein, dass hier eine Frau erzählt, wird man den Blick auf anderes richten: Woran scheitert die Beziehung, wie hätte sie funktionieren können, und wo liegen die schönen, erinnernswerten, romantischen Momente?

    Drees: Ob die Beziehung letztlich scheitert, kann man hier noch gar nicht verraten. Es geht nicht darum, dass die Frau den Mann verlässt, sondern dass sie überlegt, ihn zu verlassen. Die Frau weiß, wenn sie ihren Partner verlässt, steht sie alleine da. In dem Moment ist sie nackt. Dieses Nacktsein fand ich viel spannender als das Sich-Kennen-Lernen, von dem normalerweise in Liebesgeschichten erzählt wird. Ich glaube, dass am Ende der Beziehung ein neues Kennenlernen stattfindet. Natürlich kommt das Kennenlernen auch vor. Da sind wir dann schon fast bei der Romantik.

    Krumbholz: Der Reiz des Textes liegt in der Elaboriertheit, in der Verknappung, der Pointiertheit, man meint ihm die vielen Überarbeitungsprozesse anzusehen. Gleichzeitig ist der Text aber auch gespickt mit Anspielungen, Zitaten, Verweisen, nicht nur auf Popgruppen und Musiktitel - von Goethe bis Niklas Luhmann, von Edvard Munch bis Gerhard Richter, von Herzog & de Meuron bis zu René Pollesch wird fast alles aufgerufen, was derzeit durch die Feuilletons der gebildeten Presse geistert. Ein Name-dropping, das zuweilen ein bisschen einschüchternd wirken kann und übrigens nicht unbedingt einer weiblichen Attitüde zu folgen scheint. Hören wir hier die letzten Lebenszeichen der Popliteratur?


    Drees: Es ja im Moment Mode, lakonisch zu erzählen. Diese Geschichte sollte eben nicht lakonisch erzählt werden. Diese Menschen verzweifeln ganz, ganz tief. Es gibt da keinen Ausweg, da hilft auch keine Popmusik, da hilft kein Film, man steht ganz allein da. Die Referenzen in meinem Text sind Störfeuer, die die Helden überfordern. Wir leben in einem Zeitalter, in dem man mit Medien spielen kann. Man kennt die Strategien, man weiß dass die Tischdecke von Polke gefälscht ist…

    Wir definieren die Menschen über ihr popkulturelles Wissen. Wenn wir uns hier in diesem Club treffen, möchten wir von einem Industriedesigner mal schnell erklärt bekommen, was ist Industriedesign. Das führt zu Überforderung und auch zu Verflachung. Diese Referenzen verdecken das Wesentliche zwischen zwei Menschen. Aber der Unterschied zur Popliteratur ist klar: In dem, was wir Popliteratur genannt haben, waren Massenphänomene gleichzeitig Medizin. Oasis rettet mein Leben, und ich kann mir durch Filmzitate für schwache Zeiten ein Lebensgefühl zusammenbasteln. Das funktioniert hier nicht mehr. Die popkulturellen Verweise laufen komplett ins Leere.

    Krumbholz: Und welche Rolle spielt Wuppertal, die "Hügelstadt"? Beim Namen genannt wird sie nicht, im Gegensatz zu Berlin, das explizit vorkommen darf.

    Drees: Berlin, das ist eine Persiflage. Weil im Moment alles in Berlin spielt, sollte es bei mir wenigstens auf zwei Seiten vorkommen, und alles was dabei eine Rolle spielt habe ich auf zwei Seiten stakkatoartig heruntergebetet. Berlin ist so abgerockt, dass ich glaube bei 46.000 Autoren, die dort leben, braucht es nicht noch einen zu geben, der den neuen Blick auf Berlin ausprobiert. Hier in Wuppertal bin ich der einzige junge Autor, werde von allen lieb gehabt, und das ist schön.

    Krumbholz: Jan Drees ist spürbar aufgeregt, es ist der erste Abend einer Tour, die durch ganz Deutschland gehen wird. Die Veranstaltung im Bloomclub ist eifrig beworben worden, und tatsächlich bildet sich an diesem unfreundlichen Dienstagabend um viertel vor acht eine Schlange bis auf die andere Straßenseite… Vielleicht kommen die meisten nicht wegen der Literatur, aber immerhin hält die Literatur sie nicht davon ab, zu kommen, zu hören und zu feiern. Am Ende wird, noch ehe die letzten Sätze aus "Letzte Tage, jetzt" verklungen sind, der DJ Christian Vorbau die erste Platte auflegen.
    Drees: Wir werden 300 Leute hier haben, die alle unter 30 sind, die werden 35 Minuten lang einen Text anhören und danach werden sie fünfeinhalb Stunden lang tanzen. Normalerweise würden die nicht zu einer Lesung gehen. Die werden geholt durch die Musik, da mach ich mir gar nichts vor. Die kommen weil sie glauben, dass sie hier eine großartige Party haben werden. Wenn die dann später vielleicht in eine Buchhandlung gehen und mein Buch oder ein anderes kaufen, dann ist das doch ein großer Erfolg… Die holen wir da ab wo sie sich sonst aufhalten, und dann stehe ich da und sage: Feuerzeuge raus, gleich kommt eine Ballade, und diese Ballade werden sie dann hören.

    Jan Drees:
    Letzte Tage, jetzt.

    Roman. Eichborn Verlag, 138 Seiten, 12,90 Euro.