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Strafjustiz
Eine Geschichte der Todesstrafe

Einen Menschen töten - juristisch legitimiert: Die Todesstrafe ist eines der umstrittensten staatlichen Instrumente. Ihr widmet sich der Journalist Helmut Ortner in seinem Buch "Wenn der Staat tötet". Neben arabischen Staaten stehen die USA im Fokus.

Von Annette Wilmes | 16.08.2017
    Die "Todeskammer" des Staatsgefängnisses von Huntsville in Texas
    Jährlich legt Amnesty International Statistiken über die Todesstrafe vor, zuletzt im April dieses Jahres. Demnach gibt es in mehr als zwei Dritteln aller Staaten weltweit die Todesstrafe nicht mehr. (dpa / picture-alliance / AFP)
    Das Völkerrecht beschränkt die Todesstrafe auf die "schwersten Verbrechen". Aber was schwerste Verbrechen sind, das bestimmen die despotischen Machthaber mancher Staaten selbst. Helmut Ortner schreibt zum Beispiel über die Situation in Saudi-Arabien. Dort wurden allein im Januar 2016 47 Menschen hingerichtet, offiziell verurteilt wegen "Terrorismus, Anstiftung zu Gewalt und krimineller Verschwörung". Aber auch Blasphemie, "Beleidigung des Propheten oder der Religion" sind Grundlage für ein Todesurteil. Wem Homosexualität oder Ehebruch nachgewiesen wird, muss ebenfalls mit der Hinrichtung rechnen.
    Ortner widmet sein Augenmerk aber nicht nur den arabischen Staaten. Vor allem die Entwicklung in den USA interessiert ihn: eine westliche Demokratie, die für Menschenrechte eintritt, aber auf die Todesstrafe nicht in allen Bundesstaaten verzichten will. "Und mich da immer auch gewundert habe, warum es immer und vor allen Dingen in Ländern wie den USA immer noch die Vorstellung gibt, man könne mit der Todesstrafe die Welt gerechter und besser machen. Und wir wissen, kein Präsident wird in den USA gewählt, der sich explizit gegen die Todesstrafe ausspricht."
    Jährlich legt Amnesty International Statistiken über die Todesstrafe vor, zuletzt im April dieses Jahres. Demnach gibt es in mehr als zwei Dritteln aller Staaten weltweit die Todesstrafe nicht mehr.
    Auch Kinder und Jugendliche werden nach wie vor hingerichtet
    Es gebe aber auch ernüchternde und erschütternde Entwicklungen, schreibt Helmut Ortner. So würden im Iran sogar Kinder und Jugendliche hingerichtet. Zwischen 2005 und 2015 sollen insgesamt 73 Todesurteile gegen Menschen unter 18 Jahren vollstreckt worden sein, sagt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
    "Auch dem syrischen Regime von Präsident Baschar al-Assad wirft Amnesty schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Nach einjährigen Untersuchungen wird in einem Bericht die 'außergesetzliche Exekution durch Massen-Erhängungen' von Tausenden von Menschen im Militärgefängnis von Saydnaya dokumentiert. Von 2011 bis Ende 2015 sollen dort bis zu 13.000 Menschen hingerichtet worden sein. Eine unglaubliche Zahl. Ein unvorstellbares Verbrechen. Die Opfer seien in der überwältigenden Mehrheit normale 'Zivilisten', die dem Assad-Regime als Opponenten galten."
    Ortner verzeichnet humanitäre Fortschritte
    Der Untertitel des Buches lautet "Eine Geschichte der Todesstrafe". Helmut Ortner sieht darin eine Reformgeschichte. "Also gewisser Weise von den Leibesstrafen, von der Vierteilung hin zur Giftspritze. Ist das eine Verbesserung, hat es mit Humanisierung zu tun? Am Ende steht immer der Tod, die Vorstellung, das Böse auszutreiben. Aber dennoch ist es qualitativ ja etwas Anderes, einen Menschen vor dem Töten noch mal zu malträtieren, zu foltern oder ihn sanft entschlafen zu lassen."
    Jede Form der Todesstrafe sei an die Zeit gebunden, sagt Ortner. Nicht nur die Römer, auch die Assyrer und Babylonier kannten die Kreuzigung, wie er ausführt, ebenso die Perser, Griechen und Karthager. Für die erste Reform sorgte der römische Kaiser Konstantin, als er um das Jahr 320 nach Christus die Kreuzigung als Hinrichtungsritual abschaffte. Es folgte der Galgen; das Rädern war von der germanischen Frühzeit bis in das 18. Jahrhundert gebräuchlich, Vierteilen, Verbrennen, Ertränken und lebendig begraben im Mittelalter, Enthauptung mit dem Schwert oder dem Beil, Steinigungen finden noch heute im Iran statt. Die Technisierung des Tötens begann mit der Erfindung der Guillotine. Im April 1792 wurde sie in Paris zum ersten Mal eingesetzt.
    "Die Zeit ist reif für eine neue Maschine, deren Devise lautet: Gleichheit, Vernünftigkeit, und vor allem – Menschlichkeit. Menschlichkeit gegenüber dem Opfer, dessen Schmerz die Guillotine verringert. Menschlichkeit gegenüber den Zuschauern, denen die Maschine den grauenerregenden Anblick der alten Hinrichtungsrituale erspart, weil sie aus dem unmenschlichen Schauspiel des öffentlichen Sterbens ein kurzes Blutvergießen macht. Und Menschlichkeit gegenüber dem Henker, der nur mehr Auslöser eines mechanischen Tötungsprozesses ist, weil zwischen ihm und dem Körper des Delinquenten eine neutrale Maschine steht."
    Den sanften Tod gibt es nicht
    Tod durch die Kugel - das Erschießen; Strom im Körper - Der elektrische Stuhl; Sterben im "Aquarium" - Die Gaskammer; Tod durch die Vene - Die Giftspritze. Auch die modernen Hinrichtungsarten beschreibt Helmut Ortner sehr detailliert. Dabei wird klar, dass es den sanften und sauberen Tod nicht gibt. Selbst bei der Giftspritze ist es vorgekommen, dass die zum Tode Verurteilten bis zu einer Dreiviertelstunde unter Qualen mit dem Tode rangen.
    "Auch beispielsweise Schilderungen in der Gaskammer, im elektrischen Stuhl - ich glaube, Bücher wie dieses, das darf nicht an der Oberfläche bleiben, nicht an der Statistik hängen bleiben, nicht an der Rechtsfrage, auch nicht auf so einer Ebene der Oberfläche der Humanität, dass man gegen oder für die Todesstrafe ist. Sondern dass man wirklich vermittelt, dass der Leser eine Vorstellung bekommt, was es wirklich heißt, hingerichtet zu werden."
    Ortner beschreibt das so intensiv, dass er damit Beklemmung auslöst. Er bedient sich im Buch verschiedener Stilmittel - Reportage, Zeitzeugenberichte und Hinrichtungsprotokolle. Die Zitate aus der Literatur und nicht zuletzt die eindrucksvollen historischen Abbildungen, Zeichnungen, Gemälde und Fotos machen aus dem Buch eine Art Panorama der Ursachen und Wirkungen der Todesstrafe. Es ist keine wissenschaftliche Arbeit und keine Streitschrift.
    Ein Plädoyer gegen die Todesstrafe
    Mit der Fülle der Fakten, die alle gründlich belegt sind, schafft es Helmut Ortner jedoch, eindringlich gegen die Todesstrafe zu argumentieren.
    "Etwa mit dem Hinweis, der einerseits populär ist, aber gleichzeitig sehr wirksam, dass es Fehlurteile gibt, dass durch neue Verfahren, DNA-Spuren, der Hinweis, dass viele Unschuldige auch hingerichtet wurden. Oder dass der Vollzug der Todesstrafe nirgendwo, und zwar wissenschaftlich belegt, dazu beiträgt, dass weniger Gewalttaten, weniger Morde, weniger Scheußlichkeiten, weniger Böses auf dieser Welt passiert. Das kann zum gewissen Maße zu einer Nachdenklichkeit führen. Mehr ist vielleicht schon nicht zu haben."
    Weltweit verzichten immer mehr Staaten auf die Todesstrafe. "Das lässt hoffen", schreibt Helmut Ortner am Ende des Buches. Aber er verliert nicht aus dem Auge, dass es auch in Europa, das seit Jahren keine Todesstrafen mehr zulässt, in allen Ländern populistische Strömungen gibt, die sich für die Wiedereinführung aussprechen, nicht nur in der Türkei.
    Helmut Ortner: "Wenn der Staat tötet. Eine Geschichte der Todesstrafe"
    Theiss Verlag, 235 Seiten, 22,95 Euro.