Dienstag, 16. April 2024

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Straftat oder Ordnungswidrigkeit?
Das Dilemma mit den Schwarzfahrern

Wer wiederholt beim Schwarzfahren erwischt wird, kann im Gefängnis landen. Deutschlandweit gibt es zwischen 8.000 und 9.000 dieser Fälle pro Jahr. Allerdings sind Häftlinge für den Staat ziemlich teuer. Deswegen fordern mehrere Bundesländer, Schwarzfahren zu entkriminalisieren.

Von Pia Rauschenberger | 30.04.2018
    Fahrausweisprüfer/innen in der Saarbahn in Saarbrücken. Im Bild: Bitte nur mit Fahrausweis .
    Wer wiederholt ohne Ticket erwischt wird, könnte im Gefängnis landen (imago/Becker&Bredel)
    "Einen wunderschönen guten Tag, die Fahrscheine bitte. Danke Danke. Kann ich da noch das Lichtbild sehen? Danke."
    Die meisten Fahrgäste zeigen ohne Umschweife ihren Fahrschein, als Nikolas im Bus in Hanau kontrolliert. Seinen vollen Namen will er lieber nicht öffentlich machen. Als Kontrolleur ist er ruppige Reaktionen gewöhnt.
    "Sie bleiben mal hier. Thomas? Können wir hier zusammen raus? Ich hab den jungen Mann hier. Oder hast du dahinten was? Sie bleiben mal da, bei Ihnen ist keine Chipkarte drauf. Bei dem Herren ist nichts drauf auf der Karte. Wurde gerade gelöscht, Ihre Berechtigung. Sie schreiben mir jetzt Ihre Daten auf." - "Hä, wofür denn Alter? Woher soll ich wissen, dass meine Karte gesperrt wurde?"
    Fürs Schwarzfahren droht eine Haftstrafe
    Schwarzfahren ist in Deutschland eine Straftat. Wer zu oft ohne Ticket erwischt wird oder seine Mahngebühr nicht zahlt, kann ins Gefängnis kommen. Die Kriminologin Nicole Bögelein von der Universität Köln schätzt, dass es deutschlandweit zwischen 8.000 und 9.000 dieser Fälle pro Jahr gibt. Hinter diesen Zahlen stecken vor allem Menschen, die seit Jahren immer wieder Schwarzfahren. Notorisches Schwarzfahren, nennt das Bögelein.
    "Generell muss man davon ausgehen, dass Personen, die wiederholt wegen Schwarzfahrens auffallen und dann aus verschiedenen Gründen auch im Gefängnis landen, sozial nicht besonders gut dastehen, häufig eine starke Suchtbelastung aufweisen, ganz häufig Langzeitarbeitslosigkeit. Und ein nicht zu unterschätzender Anteil sind Personen, die keinen festen Wohnsitz haben oder sogar richtig obdachlos sind."
    Einer dieser notorischen Schwarzfahrer ist Dominik Doherr. Momentan müsste er eigentlich im Gefängnis sitzen. Über die Freie Hilfe, einen Verein für Straffälligenhilfe, kann er stattdessen arbeiten. 80 Tage lang muss er als Handwerker arbeiten, statt nach Plötzensee ins Gefängnis zu kommen. Heute renoviert er in Berlin-Marzahn eine Wohnung.
    "Und wenn Sie jetzt hier fertig sind nach den 80 Tagen?" - "Kommt noch mehr." - "Kommt noch mehr? Von anderen Sachen?" - "Na, wieder Schwarzfahren."
    Dominik Doherr saß in seinem Leben schon mehrmals wegen Schwarzfahren im Gefängnis.
    "Wenn man nicht flüssig ist, oder man muss zum Arzt oder irgendwas. Ich bin sonst Radfahrer. Wenn ich krank bin, meistens ist dann das Fahrrad noch defekt. Dann kann ich nicht fahren. Muss ich mit der Bahn fahren. Wenn ich kein Geld habe, fahr ich schwarz."
    Häftlinge kosten den Staat 150 Euro täglich
    Den Staat kostet jeder Häftling pro Tag etwa 150 Euro. Viele Politiker halten das für zu viel Geld. Aus mehreren Bundesländern gibt es auch deshalb die Forderung, Schwarzfahren zu entkriminalisieren. Aus der Straftat eine Ordnungswidrigkeit zu machen. Dann würden Polizei und Justiz entlastet, heißt es zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Andere Bundesländer wollen allerdings an dem Straftatbestand festhalten. So oder so - für den Kontrolleur Nikolas ist die Mitarbeit der Polizei eine große Hilfe:
    "Hier jetzt die letzte Woche hatten wir einen Tag gehabt, da musste ich vier Mal die Polizei hinzuziehen. Das ist halt manchmal nicht anders möglich, weil Sie da Leute dabeihaben, die weigern sich, ihren Namen anzugeben, ihre Anschrift rauszugeben, Falschangaben machen."
    Auf dem Bahnhofsplatz in Hanau nimmt die Polizei die Personalien einer jungen Frau auf, die sich nicht ausweisen konnte.
    "Ich hab mich dann umgemeldet, weil in Kronbach war ich gemeldet." - "Seit 2014 in Ehrensee gemeldet." "Ja, das ist aber schon länger her." "Na gut, ok"
    Kontrolleure brauchen oft Hilfe der Polizei
    Nikolas‘ Kollege Thomas findet auch, dass Schwarzfahren weiterhin als Straftat bestraft werden sollte. Falls es zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft würde, sähe er seinen Job als Kontrolleur in Frage gestellt:
    "Ich glaube, dann würde ich das auch nicht mehr machen. Weil, dann würden die Leute einen ja auslachen. Ordnungswidrigkeit, dann sagen die Leute: komm, passiert ja eh nichts. So ist es eine Straftat, sieht immer noch anders aus. Und im Endeffekt ist es eine Straftat. Man umgeht Zahlungen, aber kassiert die Leistungen. Ich kann doch nicht in die Eisdiele gehen, esse zwei Amarena-Becher und steh auf und geh. Im Endeffekt nix anderes."
    Sven Hirschler vom Rhein-Main-Verkehrsverbund findet, es vor allem aus einem Grund wichtig, dass Schwarzfahren eine Straftat bleibt.
    "Es geht tatsächlich um die Drohung, die dann im Raum steht, drei mal Straftat und dann Gefängnis. Das wird sehr wenig gemacht, aber das ist die Drohung, die dann im Raum steht."
    In Berlin-Marzahn macht Dominik Doherr eine Zigarettenpause auf dem Balkon. Für ihn blieb es nicht bei der Drohung:
    "Na die Mahnungen kommen sowieso. Und dann irgendwann stehen sie vor der Tür und holen einen ab."
    Er hat die Zeit in Haft als Einschnitt erlebt.
    "Ich hatte Angst, dass ich echt die Wohnung verliere. Weil, man verliert vieles. Familie kann man verlieren, Freunde, wenn man da in Haft sitzt. Familie kommt einen nicht besuchen. Meine Mutter sowieso nicht, die ist schwer krank."
    Umgang mit Schwarzfahrern bleibt ein Dilemma
    Einmal saß er ein halbes Jahr lang wegen Schwarzfahrens in Haft, erzählt er. Danach sei es ihm schwergefallen, wieder im normalen Leben anzukommen. Dass er gegen das Strafgesetz verstoßen hat, der Punkt hat für ihn kein Gewicht.
    "Ich halte es nicht für richtig, dass Personen, die, weil sie kein Geld haben, eine Straftat, die auch als Armutsdelikt gelten muss, begehen und sie auch wiederholt begehen, dann nochmal mit einer Strafe zu belegen", sagt die Kriminologin Nicole Bögelein. "Da müsste es andere Formen geben, da müsste man sozialarbeiterisch tätig werden. Also so eine marginalisierte Gruppe, die ohnehin viele Probleme hat, nochmal zusätzlich zu belasten, halte ich nicht für richtig."
    In der Praxis bleibt der Umgang mit Schwarzfahrern ein Dilemma: Einerseits finden es die beiden Hanauer Kontrolleure ungerecht gegenüber den anderen Fahrgästen, wenn Schwarzfahrer nicht richtig bestraft werden. Andererseits: Wer wegen Schwarzfahrens im Gefängnis landet, weil er Schwierigkeiten hat, sein Leben zu ordnen, der kommt oft auch nicht besser sortiert aus der Haft. So wie Dominik Doherr.
    "Immer blöd, wenn man nicht zum Geburtstag fahren kann, sondern nur über Telefon sagen muss: ich bin mal wieder in Haft."