Dienstag, 19. März 2024

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Strafverfahren gegen "netzpolitik.org"
"Es ist nicht legitim, einfach alles zu veröffentlichen"

Der Historiker Peter Hoeres hält die Aufregung um das Strafverfahren gegen "netzpolitik.org" für "etwas überzogen". Zwar bezweifle er, dass die Reaktion der Behörden in diesem Fall sinnvoll sei - grundsätzlich habe der Staat aber das Recht, geheime Informationen zu schützen und Durchstechereien zu verfolgen.

Peter Hoeres im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 02.08.2015
    Teilnehmer einer Demonstration von Unterstützern des Internetportals Netzpolitik.org halten am 01.08.2015 in Berlin bei der Demonstration ein Schild "Ein Abgrund von #Landesverrat.!"
    Etwa 1300 Menschen protestierten in Berlin gegen das Strafverfahren gegen "netzpolitik.org". (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    "Ich bin etwas skeptisch gegen diese Tendenz, alles als Faksimile, im Original zu veröffentlichen", sagte Hoeres, der an der Universität Würzburg Neueste Geschichte lehrt. "Das ist ja auch keine journalistische Leistung mehr, das heißt, keine Einordnung und Frage der Relevanz."
    Hoeres, zu dessen Forschungsschwerpunkten politischer Journalismus gehört, forderte eine Abwägung: zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an Information und dem Interesse des Staates, dass vertrauliche Dokumente nicht an die Öffentlichkeit gelangen. "Ich denke nicht, dass es legitim ist, einfach alles zu veröffentlichen, was man auf welchem Wege auch immer erhält."
    Kein Anrecht auf totale Transparenz
    Es gebe nirgendwo ein Anrecht auf totale Transparenz und Öffentlichkeit. Wenn es etwa im Parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste immer wieder zu Durchstechereien komme, sei es verständlich, dass Behörden reagieren. "Ob es in diesem Fall sinnvoll war, möchte ich bezweifeln", ergänzte Hoeres allerdings", "weil das, was veröffentlicht wurde, kaum als Staatsgeheimnis zu bezeichnen ist." Im Grundsatz sei es aber legitim, dass solche Durchstechereien verfolgt werden.
    Warum Vertraulichkeit in der Politik wichtig ist, erläuterte der Historiker am Beispiel der Atomverhandlungen mit dem Iran. Wären alle Schritte im Voraus öffentlich gemacht worden, wären die Verhandlungen nie zum Abschluss gekommen, weil es keinen Spielraum für Verhandlungen mehr gegeben hätte. Vertrauliche Gespräche seien daher in der Außenpolitik gang und gäbe und auch notwendig. Innenpolitisch sei zudem die Piratenpartei mit ihrem Anspruch auf totale Transparenz gescheitert. "Indem alles öffentlich gemacht wurde, konnte keine vernünftige Politik mehr gemacht werden", sagte Hoeres. "Ich plädiere nicht für totale Geheimhaltung, die Öffentlichkeit muss unterrichtet werden. Sondern für eine Balance."
    Das komplette Interview können Sie noch für mindestens fünf Monate in unserem Audio-on-Demand-Bereich hören.