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Strahlendes Erbe

Uran verspricht eine zuverlässige Energieversorgung und schafft Horrorszenarien von waffenfähigem Spaltmaterial in den Händen von Terroristen. Die Risiken seiner Nutzung stehen seit dem Amtsantritt von US-Präsident Obama wieder ganz oben auf der weltpolitischen Agenda.

Von Andrea Rehmsmeier | 12.10.2009
    "Viele haben hier Krebs. Jeden Tag sterben Leute an Krebs, das ist doch inzwischen statistisch erwiesen! Wir leben auf dem Uran! Wir atmen es ein, und wir essen es in unseren Lebensmitteln. Auch unsere jungen Leute, die gar nichts mehr mit dem Uranbergbau von früher zu tun haben: Krebs, Krebs, Krebs. Die Kinder: Die haben auch Krebs."
    Die Geschichte des Bergstädtchens Mailuu-Suu, durch das der gleichnamige Fluss fließt, ist die Geschichte vom strahlenden Erbe der Atom-Supermacht Sowjetunion. Sie beginnt in den 50er-Jahren. Hier, im zentralasiatischen Kirgistan, gelegen an der Grenze zu Usbekistan, schlugen Bergleute damals das Uranerz zur Bestückung der ersten sowjetischen Atombombe aus dem Gestein. Dass sie damit noch eine zweite Zeitbombe zum Ticken brachten, ahnten sie damals nicht: Mailuu-Suu ist einer von geschätzten 3500 Orten dieser Region, in denen radioaktives Material lagert. Ein Sicherheitsrisiko, das heute Milliardensummen an internationalen Steuergeldern frisst – sei es, weil Terroristen davon abgehalten werden müssen, mit wenig Aufwand Bomben aus der radioaktiven Altlast bauen zu können, sei es, weil die ökologischen und gesundheitlichen Folgeschäden des atemlosen Wettrüstens erst jetzt sichtbar werden und die Hilfe viel Geld kostet. Der Rentner Boris sieht sie jeden Tag an seinem behinderten Enkelkind. An die Tage des Uranbergbaus kann er sich noch erinnern.

    "Sie haben die Uranminen ausgebeutet, wie sie konnten, und die radioaktiven Schlacken einfach so in die Landschaft gestreut. Dabei zerfällt das Uran unter freiem Himmel! Die riesigen LWK haben überall geleckt. Und die ganze Zeit wehte der Wind und verteilte den Staub. Die Schlämme haben sie es dahin gebracht, wo heute der Markt ist. Das müssen Sie sich vorstellen: Sie haben den Schutt mit Sand bestreut, und einen Markt darauf gebaut!"
    Uran – der Stoff, aus dem die Bombe gemacht wird. Es ist ein außergewöhnliches Schwermetall, dessen Atomkerne die natürliche Eigenschaft besitzen, zu zerfallen, und dabei Radioaktivität freizusetzen. Seit dem Nuklearboom in den 50er-Jahren lagert es in riesigen und ständig wachsenden Mengen auf allen Teilen der Erde: in seinem schwach strahlenden Naturzustand; angereichert für die Stromherstellung, die zivile Nutzung, und hoch angereichert für den militärischen Einsatz; in Form von Atommüll, mit Rückständen von hoch radioaktivem Plutonium oder ohne. Uran nährt gleichzeitig die Hoffnung auf eine zuverlässige Energieversorgung und schafft Horrorszenarien von waffenfähigem Spaltmaterial in den Händen von Terroristen, Fundamentalisten und Diktatoren. Die Risiken und Nebenwirkungen seiner Nutzung stehen spätestens seit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama wieder ganz oben auf der weltpolitischen Agenda.

    "Eines der Themen, über die ich heute sprechen möchte, ist elementar für die Sicherheit unserer Länder und den weltweiten Frieden. Das ist die Zukunft nuklearer Waffen im 21. Jahrhundert: Der Kalte Krieg hat ein gefährliches Erbe hinterlassen: Tausende von Atomwaffen."
    "Global Zero" lautet das Schlagwort für Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt. Angesichts des iranischen Nuklearprogramms, angesichts der Raketentests in Nordkorea und auch angesichts der fundamentalistischen Strömungen in Ländern wie Pakistan, wurde Obamas Vision, die er im April in Prag skizzierte, nicht als Utopie eines friedensbewegten Romantikers abgetan. Erst vergangene Woche wurde der US-Präsident unter anderem dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, und auch der UNO-Sicherheitsrat ruft inzwischen per Resolution zur Schaffung einer atomwaffenfreien Welt auf. Verhandlungen um Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen werden mit fieberhaftem Eifer geführt. Und die Frage lautet nicht mehr: Welcher Staat darf Atomwaffen besitzen und welcher nicht? Sondern: Wird es überhaupt möglich sein, das brisante Spaltmaterial wieder vom Erdboden verschwinden zu lassen, bevor es Unheil anrichtet?
    Vor dem Hintergrund des Schreckensszenarios von gewaltigen Mengen Nuklearstoffs, die sich unkontrolliert über den Erdball verteilen, gerät sogar die zivile Nutzung der Kernkraft zunehmend in den Fokus militärpolitischer Risikoüberlegungen. Henry Sokolski, der seit Jahren beratend im US-Kongress tätig ist und das "Zentrum für Nicht-Verbreitung von Atommaterial" in Washington leitet, ist inzwischen der Auffassung, dass die zivile und die militärische Nutzung der Kernkraft zwei Seiten derselben Medaille sind. Dass man nicht gleichzeitig das eine fördern und das andere bekämpfen kann.

    "Ich bin Republikaner. Und ich muss zugeben, dass mein Team Fehler begangen hat, indem es die Kernenergie und den Kernenergieexport gefördert hat. Sind wir uns ausreichend bewusst über die Gefahr, dass zivile Programme der Kernkraftnutzung militärisch genutzt werden könnten? Ich glaube, in diesem Punkt haben wir unsere Lektion immer noch nicht gelernt. Zwar haben wir versucht, uns diesem Problem mutig zuzuwenden. Wir haben gesagt, bestimme Dinge sind unvermeidbar, und wir tun unser Bestes, um den militärischen Missbrauch zu verhindern. Und dann haben wir gesagt: Jetzt ist das alles kein Problem mehr. Ich glaube aber, es ist noch immer ein Problem."
    Aber werden die Weltmächte jetzt im Eiltempo nachholen können, was sie viele Jahre vernachlässigt haben? Sämtliche großen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsverträge sind veraltet oder liegen auf Eis. Start I, der russisch-amerikanische Vertrag über die gemeinsame Reduzierung nuklearer Sprengköpfe und Trägersysteme, läuft im Dezember dieses Jahres aus. Über einen Nachfolgevertrag wird die US-amerikanische Außenministerin, Hillary Clinton, morgen in Moskau mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow sprechen.
    Schwieriger als die Abrüstungsverhandlungen - denen die Präsidenten Obama und Medwedew längst gleichermaßen positiv gegenüberstehen - dürfte sich die Neuauflage des Atomwaffensperrvertrags gestalten, die Selbstverpflichtung der 184 Unterzeichnerstaaten, Atombomben abzurüsten oder gar nicht erst zu bauen. Die letzte Überprüfungskonferenz war 2005 an unüberbrückbaren Differenzen gescheitert. Die nächste steht wegen des eskalierenden Atomstreits mit dem Iran unter einem sehr viel höheren Erfolgsdruck, berichtet Oliver Thränert, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

    "Das wäre das zweite Mal, dass die Konferenz scheitert. Und dass die nukleare Nichtverbreitungsnorm möglicherweise geschwächter dastehen würde. Und dass Länder wie Iran und andere argumentieren könnten: Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag ist nichts wert, weil die Nichtverbreitungsgesellschaft selbst in sich zerstritten ist. Und sich beflügelt fühlen, an ihrem Atomprogramm weiterzuarbeiten."
    Die Fähigkeit, Uran anreichern zu können, bis zu einer Konzentration, die für eine nukleare Detonation nötig ist, verleiht Iran politisches Gewicht. Und längst nicht nur der Iran zeigt Ambitionen, in die elitäre Riege der Atommächte aufsteigen zu wollen. Auch die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten gelten als Staaten, die sowohl den politischen Willen als auch die Fähigkeit zum Bau oder Erwerb von Atombomben besitzen. Auf der Überprüfungskonferenz im Mai 2010 wird der Atomwaffensperrvertrag also beweisen müssen, dass er kein Papiertiger ist. Ob das gelingen kann? Die Voraussetzungen dafür seien nicht schlecht, glaubt Thränert:

    "Anders als 2005 wurden wichtige Verfahrensfragen schon vorab geklärt. Zudem kommt die Obama-Administration mit einer anderen Attitüde. Die Obama-Leute haben gesagt, wir wollen mit der Abrüstung wirklich ernst machen. Das wird ein anderes Klima geben. Aber problematisch ist, dass Iran ein Land ist, wo die Frage nicht geklärt ist, ob es sich um ein geheimes Nuklearprogramm handelt, ob nun die Vertragsstaaten die drei Grundpfeiler des Abkommens – nukleare Abrüstung, Nichtverbreitung und freier Zugang zur zivilen Kernkraft – im Konsens bestätigen wollen."
    Abrüstung, Nichtverbreitung, Nuklearsicherheit – Themen, die plötzlich wieder im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen. Doch im Windschatten der Debatte tobt der Kampf gegen die Gefahren, die von abertausenden Tonnen strahlendem Hochrisikomaterial weltweit ausgehen. Während die Folgen der zivilen Nutzung der Atomkraft die breite Öffentlichkeit beschäftigen, gerät das militärisch genutzte Material kaum in den Fokus des Interesses.
    Der bislang wichtigste Abrüstungsvertrag wurde bereits 1987 beschlossen, die Präsidenten der USA und der Sowjetunion hießen damals Ronald Reagan und Michail Gorbatschow: Von den etwa 100.000 vorhandenen nuklearen Sprengkörpern jener Zeit, wurden seither drei Viertel abgerüstet. So steht es in den Geschichtsbüchern. Was aber bedeutet "Abrüstung", was ist aus dem angereicherten Material geworden? Reicht es, den Zünder vom Sprengkopf, und die Rakete vom Trägersystem zu montieren? Was ist geschehen mit dem nuklearen Sprengstoff aus 75 000 abgerüsteten Atomsprengköpfen? Fragen an den Sicherheitspolitikexperten Thränert.
    "Die meisten sind in Einzelteile zerlegt, und die Einzelelemente zerstört, das Waffenplutonium wird möglicherweise in zentralen Lagern eingelagert. Und wie wir alle wissen, auch aus der zivilen Nutzung, ist es sehr schwierig, Endlager zu finden. Und das ist nach wie vor eine offene Frage. Das Plutonium kann man nicht in ein Wasserglas halten, und dann ist es weg. Das ist da, und das kann man nicht ohne Weiteres zerstören."
    Wohin mit dem hoch angereicherten Uran, wohin mit dem Waffenplutonium? Ein weitgehend ungelöstes Problem, das Diplomaten, Wissenschaftler und Ingenieure auf der ganzen Welt beschäftigt. Heute sollen in 40 Staaten an die 2500 Tonnen Spaltmaterial lagern, aus denen theoretisch weitere 200.000 Kernwaffen gebaut werden könnten, auf diese Zahl beruft sich das Auswärtige Amt.
    Auch schwach- und mittelradioaktives Material kann schnell zur großen Bedrohung werden. Im Jahr 2001, als die Türme des World Trade Center fielen, erschauderte die Fachwelt vor einem neuen Risiko: Ob es möglich sei, dass Terroristen beim nächsten Anschlag auf Massenvernichtungsmaterial zugreifen könnten? Diese bange Frage stellten sich die G8 auf ihrem Gipfeltreffen im kanadischen Kananaskis. Ja, das wäre gut möglich, urteilten Sicherheitsexperten. Denn Munition – nukleare, biologische und chemische – fänden sie in großen Mengen und häufig nicht ausreichend gesichert auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.
    Das war die Geburtsstunde der "Globalen Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und –materialien", aus der Taufe gehoben im Jahr 2002 unter Federführung von Gerhard Schröder und Vladimir Putin. Sie machte die technischen Fragen von Abrüstung, Nichtverbreitung und Nuklearsicherheit zum Weltprojekt. Die G8 verpflichteten sich, den damals krisengeschüttelten russischen Staat bei der Vernichtung seiner Massenvernichtungsmunition zu unterstützen – der nuklearen, der chemischen und der biologischen - oder diese wenigstens umweltgerecht und vor unbefugtem Zugriff geschützt einzulagern. Insgesamt 20 Milliarden Dollar verpflichteten sich die G8-Staaten, bis 2012 für diesen Zweck zu investieren. Was danach geschieht, ist bislang weitgehend offen, berichtet Claus Wunderlich, Stellvertreter des Regierungsbeauftragten für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle im Auswärtigen Amt.

    "Das Programm Globale Partnerschaft läuft bis 2012, und wir werden im nächsten Jahr wieder Kanada als G8-Vorsitz haben, und in dieser kanadischen Präsidentschaft im nächsten Jahr wird die Entscheidung getroffen, ob das Programm 2012 ausläuft, oder ob wir eine andere Zweckbestimmung finden, neue Gelder in dieses Programm mit neuen Zeilen und Aufgaben geben. Aber das ist im Augenblick alles offen. Wir gehen zunächst einmal davon aus, dass das Programm bis 2012 läuft, und es gibt keine Absicht, als Bundesregierung dieses Programm zu verlängern."

    Die Globale Partnerschaft der G8 mit ihrem Projektvolumen von insgesamt 20 Milliarden Dollar ist nur eines von Hunderten internationaler Programme, die sich mit den technischen Fragen von Abrüstung und Nuklearsicherheit befassen. Umweltschäden beheben, Gesundheitsrisiken begrenzen – das ist oft nur ein untergeordnetes Ziel. Es ist das Schreckensszenario von der "Atombombe" in den Händen von Terroristen, das Steuermillionen in Bewegung setzt. Ein Szenario, das Anthony Seaboyer, Nichtverbreitungsexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, allerdings eher für ein Phantom hält. Viel konkreter seien die Gefahren, die von den Altlasten des Wettrüstens auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ausgingen.

    "Es gibt 3500 Atommülldeponien, wo sie irgendwo an irgendwelchen Stellen verseuchtes Material verklappt haben. Das ist mehr als wir wollen, und mehr als ein Programm wie Global Partnership auch nur im Ansatz anpacken kann. Da ist verstrahltes Material. In welchem Grad das verstrahlt ist, da können Sie keine Atombomben bauen, sondern nur Dirty Bombs. Sie brauchen nur eine verstrahlte Metallplatte nehmen, das einschmelzen, und das in einen konventionellen Sprengsatz zu bauen. Das kann jeder ganz leicht. Die Frage ist: Warum passiert es nicht?"
    Bislang ist es nicht passiert. Und das, obwohl ein nuklearer Terroranschlag seit mehr als 30 Jahren in manchen Debatten geradezu heraufbeschworen wird. Die sogenannte "Schmutzige Bombe", der Sprengstoff mit verstrahltem Material, ist der wichtigste Grund, warum Nuklearsicherheit auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion heute überhaupt als Weltprojekt gehandelt wird. Und als Wissenschaft für sich: Denn die radioaktiven Altlasten müssen dokumentiert und als Sicherheitsrisiko bewertet werden. Sie müssen umweltverträglich gelagert und mit moderner Sicherheitstechnik und geschultem Fachpersonal bewacht werden. Tickende Zeitbomben müssen gefunden und entschärft werden. Bereits entstandene Schäden müssen eingedämmt, leidtragende Personen betreut und entschädigt werden.
    Eine Herkulesaufgabe, deren Bewältigung im alltäglichen Ringen um Projektfinanzierungen, behördliche Zuständigkeiten und zwischenstaatlichem Interessenausgleich quälend langsam voranschreitet. Und die jetzt neue Fragen aufwirft. Wie soll es weitergehen, jetzt, wo eine selbstbewusste russische Regierung sich mit immer neuen zivilen und militärischen Atomprogrammen brüstet, aber an Sicherheitsmaßnahmen spart? Wird sich die Weltgemeinschaft auch in Zukunft für Russlands Nuklearsicherheit zuständig fühlen? Abrüstungsexperte Anthony Seaboyer glaubt nicht daran.

    "Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden Probleme offensichtlich, die Russen sagen, wir haben kein Geld, und jeder hat das auch so angenommen. Jetzt ist die Situation anders, Russland steht anders da, und das ist eine große Kritik an dem Programm: Warum sollten wir zahlen, wenn sie es selber zahlen könnten. Das führt zu einer geringeren Motivation. Die haben soviel Geld durch ihre Energie. Aber da steht man ja auch vor so einer Zwickmühle. Da kann man nichts machen. Sie wollen da definitiv nicht so viel investieren. Und sie wissen auch, sie bekommen es anders, weil der Westen ist genauso abhängig davon, dass die Materialien nicht verfügbar sind. Das ist die Pattsituation, in der man drin ist."
    Zwischenstaatliche Pattsituationen, Abrüstungsdiplomatie und internationale Nuklearsicherheits-Standards – für die Menschen in Mailuu-Suu sind diese Art weltpolitische Gefechte weit weg. Dabei tickt in dem 25.000-Einwohner-Städtchen, das auf den Deponien eines Uranbergwerks gebaut ist, tatsächlich eine dieser Zeitbomben, deren Entschärfung noch viel internationales Steuergeld kosten dürfte.

    "Sehen Sie, dort hinten, wo der Baumstumpf steht: Dort ist die Radioaktivität hoch: Sie liegt zwischen 40 und 50 Mikroröntgen, wenn man dicht am Erdreich misst. Dabei darf, wo sich Menschen aufhalten, der Grenzwert von 25 Mikroröntgen in der Stunde nicht überschritten werden. Dort herumzustehen, das ist gesundheitsschädlich."
    Am Stadtrand, wo auf der einen Seite der Fluss Mailuu-Suu vorbeirauscht, und sich auf der anderen steil ein Berghang erhebt, steht ein Warnschild mit schwarzem Atomkern-Symbol auf gelbem Grund. Doch nicht die erhöhten Strahlenwerte auf dem Deponiegelände machen dem Beamten des Katastrophenschutzministeriums Sorgen. Almasbek Umarlievs besorgter Blick ruht auf dem Abhang, wo zwischen losem Geröll Grasbüschel wachsen.

    "Das hier ist Deponie Nummer 3 – die gefährlichste überhaupt, wegen ihrer Nähe zum Flussufer. Sehen Sie: Da unten fließt der Fluss Mailuu-Suu. Und der Berg ist in Bewegung, die ganze Gegend ist Erdbeben-gefährdet. Wenn die Geröllmasse nach Erdstößen ins Rutschen gerät, dann werden die Uranschlämme und in den Fluss gerissen. Soweit ich weiß, handelt es sich immerhin um 180.000 Kubikmeter Masse, aber das ist noch nicht genau untersucht."
    Hier bräuchte es keinen Terroranschlag, um eine Katastrophe von länderübergreifender Tragweite auszulösen. Hier reichte schon ein Erdstoß, um Tausende Tonnen Geröll, giftig und noch immer radioaktiv, ins Rutschen zu bringen. Würden diese in den Fluss gelangen, könnte das Trinkwasser im nahe gelegenen, dicht besiedelten Ferganá-Tal verseucht werden. Und auch Wasserreservoirs in Usbekistan wären betroffen, weiterer Sprengstoff für das bereits hoch angespannte Verhältnis der Nachbarrepubliken Usbekistan und Kirgistan.

    Immerhin: Mailuu-Suu ist damit ins Rampenlicht gerückt. Die Stadt und ihr Umfeld wurden zum internationalen Projekt für Nuklearsicherheit erklärt, mit Dutzenden von Gutachten und einer Finanzierung durch die Weltbank – ein Sanierungsprojekt in Millionenhöhe. Unter der Leitung einer deutschen Firma aus Chemnitz - wo es seit der Sanierung der Uranerz-Deponien Wismut eine breite Expertise zum Strahlenschutz gibt - soll der radioaktive Hügel jetzt abgetragen werden. Doch im internationalen Kompetenzenwirrwarr schleppen sich die Entscheidungsprozesse dahin. Wann die Arbeit beginnen soll, ist bis heute nicht klar.
    Dabei ist die dritte Deponie nur eine von insgesamt 36: 80.000 Kubikmeter strahlendes Geröll sind in den vergangenen Jahren bereits umgelagert worden - von einer anderen Abraumhalde, die ebenfalls rutschgefährdet an einem Flussarm lag. Nach Auffassung der Chemnitzer Gutachter gilt die Gefahr damit an dieser Stelle als gebannt. Die Kirgisen sehen das anders. Der Katastrophenschutzbeauftragte Umarliev möchte, dass weiter gearbeitet wird. Er zeigt auf den einsamen Bagger, der auf den menschenleeren Schuttbergen herumsteht und noch immer auf seinen Einsatz wartet. Er wünscht sich, dass weiteres Geld fließt, damit die Gefahren für die Menschen eingedämmt werden:

    "Wie soll ich das sagen – die Materialmenge, die umgelagert werden muss, hat sich als größer erwiesen als im Projektgutachten eingeplant war. Aber bei der Weltbank sagt man uns: Bitte warten Sie ab, im Moment haben wir Wirtschaftskrise. Wir würden aber gerne weitere 60 000 Kubikmeter umlagern. Und dazu brauchen wir die doppelte Summe, um die Arbeit zu Ende zu bringen."
    Eine halbe Million Euro hat die Weltbank allein in die Umlagerung dieser einen Halde investiert, wie viel das Sanierungsprojekt insgesamt kosten wird, wird gerade ermittelt. Und Mailuu-Suu ist erst der Anfang: Uranbergwerke gab es zu Sowjetzeiten in vielen Regionen. Fast alle liegen an Flüssen, und keines wurde ausreichend gesichert.