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Strategie gegen den Hunger gesucht

Die Zahl der Hungernden weltweit wächst mit jedem Tag und angesichts milliardenschwerer Hilfsfonds für die Banken in den Industriestaaten hat die Deutsche Welthungerhilfe gestern ein "Rettungspaket gegen den Welthunger" gefordert. Zwei Entwicklungsorganisationen, Brot für die Welt und Germanwatch, haben jetzt die Auswirkungen der Nahrungsmittelkrise an konkreten Beispielen in der afrikanischen Sahel-Zone untersucht.

Von André Hatting | 15.10.2008
    Die gemeinsame Studie von Brot für die Welt und der Entwicklungsorganisation Germanwatch hat sich auf zwei Staaten in der Sahel-Zone konzentriert. Tobias Reichert, Referent für Welthandel und Ernährung bei Germanwatch und Autor der Studie hat besonders die Situation der Kleinbauern in Burkina Faso und in Mali untersucht:

    "Es gibt Bauern, die haben etwas bessere Möglichkeiten zu produzieren, die normalerweise auch Lebensmittel verkaufen, Reis oder Hirse, die profitieren von den höheren Preisen eher. Das ist leider die Minderheit. Die Mehrheit der Kleinbauern in Mali und Burkina Faso arbeitet hauptsächlich für die Subsistenz, also für den eigenen Verbrauch. Oft reicht deren Ernte nicht einmal mehr aus, um sich das ganze Jahr selbst zu ernähren, sie sind also darauf angewiesen, noch zusätzliches Einkommen zu erzielen."

    Die Gründe dafür sieht Reichert vor allem in einer verfehlten Entwicklungspolitik der Industrieländer. Jahrelang habe man Grundnahrungsmittel wie Reis zu verbilligten Preisen in die armen Länder exportiert.

    "Wäre es vor zehn, zwanzig Jahren eine Strategie gewesen, dass die Kleinbauern ihre Produktion erweitern, um auch die städtische Bevölkerung in den eigenen Ländern zu ernähren, hätten wir das Problem in dieser Größe nicht. Und auch die Exporte damals von der EU und den USA - die haben das damals als Lebensmittelhilfe eher getarnt als tatsächlich gemeint - waren weniger dazu gedacht, tatsächlich Hilfe zu leisten, sondern die Überschüsse, die die Agrarpolitiken der USA und der EU aufgebaut haben, möglichst kostengünstig in andere Länder zu vermarkten."

    Die Folgen dieser Politik hat Michael Yanogo täglich vor Augen. Yanogo leitet das Wirtschaftszentrum Albert Schweitzer in Burkina Faso. Das Land in Westafrika zählt trotz leichter Erholung noch immer zu den ärmsten Gebieten der Welt und belegt in dem gestern von der Welthungerhilfe veröffentlichten Welthungerindex einen der hintersten Plätze. Für viele Menschen sind Lebensmittel dort nicht mehr bezahlbar. Mehr als die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren ist unterernährt:

    "Es kommt in bei uns darauf an, die Landwirtschaft zu intensivieren, die Produktion und den Konsum im eigenen Land zu fördern. Außerdem muss der Handel mit Rohstoffen in Afrika verbessert werden. Denn die hohen Nahrungsmittelpreise, die das Leben verteuern, destabilisieren das soziale und das politische Leben. In der Vergangenheit hat die Bevölkerung mit ziemlich gewalttätigen Protesten reagiert."

    In diesem Jahr habe sich die Lage allerdings etwas beruhigt, da die Lebensmittelpreise leicht gesunken sind und außerdem die Kleinbauern einer verhältnismäßig günstigen Ernte entgegen sähen.
    Um das Problem des Hungers und der Armut in Länder wie Burkina Faso und Mali langfristig in den Griff zu bekommen, müssten die reichen Industrieländer dringend in den Aufbau der Landwirtschaft investieren, fordert Tobias Reichert von Germanwatch. Die von der Bundesregierung zusätzlich bereit gestellten 600 Millionen Euro begrüßte der Welthandelexperte als einen bedeutenden Schritt vorwärts verglichen mit dem bisherigen Niveau der deutschen Entwicklungshilfe:

    "Ein anderer Punkt, wo die Bundesregierung sich leider noch nicht so stimmig verhält, ist auf EU-Ebene, wo die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, gerade Agrarexportsubventionen, die im letzen Jahr nicht ausgegeben werden mussten, in Höhe von einer Milliarde, also fast doppelt so viel wie das, was die Bundesregierung selber jetzt ausgeben will, umzuwidmen in Entwicklungshilfe für den Agrarsektor in den betroffenen Ländern. Da hätte sie eigentlich die Verantwortung zu sagen: Diese Exportsubventionen, die in der Vergangenheit genau mit dazu geführt haben, dass wir das Problem haben, das wir jetzt haben, die müssen wir umwidmen, jetzt müssen wir das Geld nehmen, um zu helfen, den Schaden, den wir mit angerichtet haben, zu reparieren."